Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 105† Rathaus † 1520 (?), 1526

Beschreibung

Quader aus Stein mit eingehauener Poeninschrift (A) unter dem Fenster der im Rathaus gelegenen „pfännerschaftlichen Holzstube“, bei der Restaurierung des Rathauses 1883 beseitigt.1) Schriftform unbekannt. Stein mit eingehauener Jahreszahl auf einem mit Linien abgegrenztem Schriftfeld (B) direkt unter der Konsole der Mauritiusskulptur, die an der Südwestecke des Gebäudes aufgestellt war; wohl bei Abbruch des ruinösen Gebäudes 1948 verlorengegangen.2)

A nach Knauth, B nach Grell.

  1. A

    Wirdestu alhier wetzenna) /Szo wirde man dich /In die Thenitzb) setzenn.1520.c)d)

  2. B

    · 1 · 5 · 2 · 6 ·

Versmaß: Drei Reimverse (A).

Kommentar

Die Form der Worttrenner zwischen den Ziffern (von B) ist nicht erkennbar; vor und nach der Jahreszahl stehen Worttrenner von der Form eines Paragraphzeichens.

wetzenn meint hier sicherlich „reizen“, „provozieren“.3) Thenitz oder „Themnitz“ ist ein mittelhochdeutsches Lehnwort aus dem Slawischen4) und bedeutet auch nach alter lokaler Überlieferung „Gefängnis“.5) Die Inschrift am Rathaus droht Unruhestiftern mit Arretierung im städtischen Gefängnis, das im Erdgeschoß des Rathauses lag.6) Die Inschrift unter den Fenstern der „pfännerschaftlichen Holzstube“, die sich an der Marktseite neben dem Eingang des Rathauses befand,7) war vermutlich an diejenigen gerichtet, die an dem vorm Rathaus gelegenen Brunnen zusammenkamen. Denn eine andere, an der Marktstaupe stehende Poeninschrift nahm ausdrücklich auf den daneben befindlichen Brunnen Bezug (Nr. 284). Als der Brunnen 1560 vom Rathaus auf den Kornmarkt verlegt wurde,8) ging der (vermutete) Zusammenhang verloren.

Die stark abweichende Lesung der Inschrift A von Gottfried Olearius ist offensichtlich auf eine Verwechslung der Inschrift am Rathaus mit der jüngeren, ähnlich lautenden Inschrift an der 1593 errichteten Staupsäule auf dem Markt zurückzuführen (Nr. 284). Die von Olearius und Runde überlieferte Lesung der Jahreszahl 1526 läßt die Möglichkeit offen, daß die Inschrift A nicht schon 1520, sondern gleichzeitig mit der inschriftlich auf 1526 datierten Mauritiusstatue am Rathaus angebracht wurde.9)

Textkritischer Apparat

  1. wetzenn] metzen Runde.
  2. Thenitz] Themnitz BKD Prov. Sachsen NF 1, Hallische Inschriften.
  3. 1520.] 1526. Olearius; g. 1526. Runde.
  4. Wer allhier will wetzen, / Den soll man in die Halßeisen setzen, 1526 . Olearius.

Anmerkungen

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 344.
  2. Die Skulptur befindet sich heute im Kunstmuseum Stiftung Moritzburg.
  3. Vgl. DWB 14, 1, 2, 1960, Sp. 799.
  4. Lexer 1986, S. 226; DWB 11, 1, 1, 1935, Sp. 501.
  5. Vgl. Spittendorff 1880, S. 98 f., 142, 179; Dreyhaupt 2, 1750, S. 359.
  6. Vgl. Nr. 210.
  7. Zur Lage der „Holzstube“ s. Rühl 2008a, S. 39, 99 und Grundriß im Anhang. Dreyhaupt 2, 1750, S. 359 nimmt irrtümlich an, die sogenannte Holzstube sei die Thenitz gewesen.
  8. Olearius 1667, S. 274.
  9. Die Jahreszahl wird bei Dolgner/Dolgner/Kunath 2001, S. 44 f. aus stilgeschichtlichen Erwägungen auf die Aufstellung der Skulptur bezogen. In diesem Sinne auch Gustav Schönermark in BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 344.

Nachweise

  1. Olearius 1667, S. 239 (A mit stark abweichender Lesung).
  2. Hallische Inschriften 1835, S. 379 (A).
  3. Knauth 1857, S. 725 (A).
  4. vom Hagen 1, 1867, S. 224 (A).
  5. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 340 (B), 344 (A).
  6. Schultze-Galléra 1920, S. 250 (A).
  7. Runde 1933, S. 330 (A).
  8. Grell 1990, S. 18 (B).
  9. Rühl 2008a, S. 37 (A unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 105† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0010503.