Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 89 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum 1507

Beschreibung

Altarretabel mit schwenkbarem Flügelpaar, Lindenholz, Tempera mit Öl (?), 1838 aus dem Besitz der Domgemeinde verkauft und seit 1924 im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt.1) Auf den Flügelaußenseiten links die hl. Apollonia und rechts die hl. Dorothea, auf den Innenseiten links der Protomärtyrer Stephanus und rechts der hl. Christophorus. Auf dem Hauptbild die Marter des hl. Sebastian; unterhalb seiner Füße ein Monogramm und eine Jahreszahl aufgemalt. Die Rahmen der mehrfach restaurierten farbigen Tafelgemälde im 19. Jh. erneuert.

Maße: H.: 121,2–121,6 cm; B.: 142 cm; Bu.: 0,9 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (Georg Janssen) [1/1]

  1. · HG · / · 1507 ·

Kommentar

Auf eine Auflösung der verschränkten Initialen, die zweifellos vom Maler Hans Baldung Grien stammen,2) wird verzichtet, weil die intendierte Namensschreibung nicht ersichtlich ist. Der Balken des H hat eine Ausbuchtung nach unten.

Das Retabel wurde vermutlich im Rahmen eines an die Werkstatt Albrecht Dürers erteilten Großauftrags durch den zu dieser Zeit für Dürer tätigen Hans Baldung Grien geschaffen. Es war zur Ausstattung der von Erzbischof Ernst von Sachsen erbauten und 1509 geweihten Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg bestimmt.3) Dieses und weitere Gemälde von der Hand Baldung Griens sind 1608 in der Maria-Magdalenen-Kapelle nachgewiesen.4) Sie müssen aber noch vor der dauerhaften Gefährdung der Moritzburg durch die Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges und vor dem Brand im Jahr 1637, der die Mittelschiffsgewölbe der Kapelle zum Einsturz brachte,5) entfernt worden sein, sonst wären sie sicherlich nicht erhalten geblieben. Schon bald nach 1608 könnte man sie zur Ausschmückung in den Dom, die fürstliche Hofkirche, versetzt haben, wo sie bis zu ihrem Verkauf standen.6)

Die Altargemälde sind Zeugnisse der anspruchsvollen Hofhaltung Ernsts von Sachsen, der zwar mit Bau und Ausstattung der erzbischöflichen Residenz Moritzburg und der Residenzkapelle die Stadt Halle zu einem höfischen Kunstzentrum des 16. Jh. machte, dessen Wirken aber nach Brand und Verfall der Moritzburg vom Nachruhm seines Amtsnachfolgers Albrecht von Brandenburg überstrahlt wurde und (beinahe) in Vergessenheit geriet. Markus Leo Mock, der die Bau- und Stiftungstätigkeit Erzbischof Ernsts in Magdeburg und Halle wieder ins öffentliche Bewußtsein hob, meint im Anschluß an Gert von der Osten, in dem am rechten Rand der Mitteltafel abgebildeten, prächtig gekleideten Mann den Auftraggeber zu erkennen.7)

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. GG 1079. Zur Provenienz des Werkes s. von der Osten 1983, S. 51 f. Herrn Dr. Daniel Hess, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, sei für seine Auskünfte herzlich gedankt.
  2. von der Osten 1983, S. 52.
  3. Siehe auch Nickel 1999b. Zur Weihe der Maria-Magdalenen-Kapelle s. Nr. 90.
  4. Mock 2007, S. 232 f. Außerdem der heute in den Staatlichen Museen zu Berlin befindliche Dreikönigsaltar; vgl. von der Osten 1983, S. 42–47 (Nr. 3).
  5. Zur Geschichte der Moritzburg s. Einleitung, S. XXVIII f.
  6. Der Sebastians- und der Dreikönigsaltar bei Büsching 1819, S. 400 erwähnt und vermutlich bei Gelegenheit der 1838 durchgeführten „Domreinigung“ verkauft; vgl. Albertz 1888, S. 117.
  7. von der Osten 1983, S. 50, 52; Mock 2007, S. 249 f.

Nachweise

  1. von der Osten 1983, S. 49 (Nr. 6).
  2. Mock 2007, S. 232.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 89 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0008901.