Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 81 Salinemuseum 15./A. 16. Jh., 1633

Beschreibung

Abendmahlskelch, Silber, vergoldet, aus der Moritzkirche, jetzt als Leihgabe im Salinemuseum. Auf einem flachen Sechspaßfuß ein schmaler, steiler Anlauf mit sechsstrahligem Nodus. Auf jedem Fußsegment das gleiche Blattwerkornament; auf den Zungen des Nodus Maßwerk, auf den rautenförmigen Rotuli eine Anrufung (A). Unter dem Standring ein Stiftervermerk (B). Sämtliche Ornamente und Inschriften graviert. Der Kelch vermutlich bis auf den Nodus 1633 neu geschaffen.

Maße: H.: 20 cm; D.: 10,8 cm (Kuppa), 14,5 cm (Fuß); Bu.: 0,8–1 cm (A), 0,3 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/3]

  1. A

    m // a // r // i // a // h(ilf)a)

  2. B

    SPOLIVM · PONTIFICIVM · IN · PIVM · COENAE · DOMINICAE · CONVERTIT · VSVM · M(AGISTER) : LVCAS · RVDOLPHI : AEDIS · HVIVS · MAVRITIAN(AE) : PASTOR ANN(O) : XVII AETATIS · SVAE · LXIX : ANNO · D(OMI)NI : M : D : CXXXIII :

Übersetzung:

B Diese papistische Hinterlassenschaft wandelte zum frommen Gebrauch für das sonntägliche Abendmahl Magister Lukas Rudolphi, Pfarrer der Kirche des (hl.) Mauritius im 17. Jahr (seines Dienstes und) im 69. Jahr seines Alters im Jahr des Herrn 1633.

Kommentar

Die Buchstaben der Inschrift A sind sehr sorgfältig graviert. Ihre Konturen werden durch außen ansetzende Schattenschraffuren hervorgehoben. Die Doppelpunkte fungieren in den meisten Fällen sowohl als Kürzungszeichen als auch als Worttrenner.

Die Buchstaben der Inschrift B zeichnen eine gleichmäßige Strichstärke und strichförmige Sporen aus. Ihre Ausführung ist unregelmäßig, wohl den Umständen geschuldet. Die Inschrift steht auf einem schmalen, vom Standring abgesetzten Ring. Als einziges sicher identifizierbares Kürzungszeichen in Inschrift B steht über den Buchstaben DNI ein Kürzungsstrich. Die Worttrenner haben indifferente Formen.

Inschrift A ist eine der im Spätmittelalter typischen Heiligenanrufungen, die auch auf liturgischen Gefäßen häufig vorkommen. Bei einer Reinigung oder Restaurierung vor 1886 wurde der Nodus verkehrtherum eingeschraubt, so daß Gustav Schönermark bei seiner Inventarisierung den auf dem Kopf stehenden und im Uhrzeigersinn gelesenen Buchstaben der Inschrift A keinen Sinn entnehmen konnte.1)

Der alte Kelch wurde wahrscheinlich bis auf den Nodus eingeschmolzen und der neue in Anlehnung an die mittelalterliche Gefäßform geschaffen. Die Neustiftung mittelalterlichen Kirchengeräts war ein üblicher, vielfach inschriftlich belegter Vorgang (vgl. Nr. 75, 443).2) Viele der Vasa ecclesiastica sind handelbar geworden, als während und nach der reformatorischen Neuordnung der kirchlichen Liturgie das Gerät der nicht mehr genutzten Nebenaltäre sowie der aufgelassenen Klosterkirchen und Kapellen verkauft wurde.3)

Inschrift B läßt erkennen, daß sich der Stifter, der lutherische Pfarrer Lukas Rudolphi,4) der vorreformatorischen Herkunft des Kelches bewußt war. Die Neuwidmung nutzte er, um gegen die katholische Abendmahlspraxis zu polemisieren, die Rudolphi offenbar nicht als PIVM VSVM verstand. Die Inschrift ist ein seltenes Beispiel konfessioneller Polemik.

Textkritischer Apparat

  1. m h p i a p] BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 163.

Anmerkungen

  1. Vgl. Anm. a.
  2. Vgl. auch DI 62 (Lk. Weißenfels), Nr. 28 (Stiftung von 1637); Fritz 2004, S. 88 f. (Abb. 37–39), S. 340 f. (Nr. 4: Stiftung von 1642).
  3. Vgl. Seyderhelm 2001, S. 27–32.
  4. Zu L. Rudolphi s. Nr. 480.

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 163.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 81 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0008108.