Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 78 Diemitz, Johanneskirche 15. Jh. (?)

Beschreibung

Abendmahlskelch, Silber, vergoldet, mit rundem Fuß ohne Stehrand, aber mit profilierter Zarge. An der Oberseite ein Achtpaß ausgetrieben, der in einen breiten, runden Anlauf übergeht. In die Zwickel des Achtpasses je drei Blätter graviert. Auf einem Fußsegment ein Kruzifix mit graviertem Kreuztitulus aufgenietet. Über einem geriffelten Reif ein schmalerer, runder Stilus aus zwei getriebenen Streifen mit Ranken-Blumen-Motiv, von je einer Perlschnur begleitet.1) Dazwischen der getriebene Rippennodus aus sechs Zungen mit Mittelgrat; der Zwischenraum von je zwei Graten gefüllt.

Maße: H.: 16,8 cm; D.: 10,5 cm (Kuppa), 11,4 cm (Fuß); Bu.: 0,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. i(hesus) n(azarenus) r(ex) i(udeorum)2)

Übersetzung:

Jesus von Nazareth, König der Juden.

Kommentar

Die einzelnen Teile des Kelches haben vermutlich ein unterschiedliches Alter. Die ältesten Teile sind Stilus, Nodus und vielleicht auch die Kuppa; der nächstjüngere Teil ist das Kruzifix und der jüngste der Fuß. Vergleichbare Nodi werden zwar schon in das 13. Jh., aber auch und mehr noch in das zweite Viertel bzw. in die Mitte des 14. Jh. datiert.3) In Halle selbst begegnet eine vergleichbare Form des Nodus an einem Reliquienkreuz, das heute in der Marienbibliothek aufbewahrt wird (Nr. 12). Zwei der hier zum Vergleich herangezogenen Kelche haben auch runde Schäfte, bestehend aus je zwei rankenverzierten getriebenen Metallstreifen mit begleitenden Perlschnüren bzw. Taustäben wie der hier vorliegende.4)

Die gestreckte Form des Kruzifixus und die Schrift weisen eher in das 15. Jh., ohne daß eine genauere zeitliche Eingrenzung möglich wäre. Die ungewöhnliche Form des Fußes hat ihre nächste Entsprechung an einem auf 1542 datierten Kelch aus Regensburg, der zudem die gleiche florale Gravierung, aber auch einen breiten (beschrifteten) Stehrand aufweist.5) Bei einem Lübecker Kelch von 1521 ist ein Sechspaß aus einem Sechseck herausgetrieben; einen bis dahin seltenen Achtpaßfuß hat ein Kelch in Niedersachsen, datiert 1547.6) Analog dazu könnte der Fuß des Diemitzer Kelches im zweiten Viertel des 16. Jh. entstanden sein.

Anmerkungen

  1. Die am anderen Rand parallel verlaufende Perlschnur ist vielleicht bei Umarbeitung oder Reparatur des Kelches verlorengegangen.
  2. Io 19,19.
  3. Vgl. Kohlhaussen 1968, S. 126 (Abb. 217 f.), 129 f. (Nr. 214: M. 14. Jh.; Nr. 215: 14. Jh.); Katalog Magdeburg 2001, S. 189 f. (Nr. 17: 3. V. 13. Jh.; Kathrin Ellwardt), 222 f. (Nr. 37: 2. V. 14. Jh.; Bettina Seyderhelm), 226 f. (Nr. 40 f.: M. 14. Jh.; Bettina Seyderhelm).
  4. Vgl. Kohlhaussen 1968, S. 126 (Abb. 217), 129 (Nr. 214); Katalog Magdeburg 2001, S. 222 f. (Nr. 37).
  5. Vgl. Fritz 2004, S. 111 (Abb. 89), 360 (Nr. 45).
  6. Vgl. Fritz 2004, S. 112 (Abb. 93), 126 (Abb. 124), 362 (Nr. 51: 1547), 373 (Nr. 75: 1521).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 78 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0007801.