Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 75 Marienbibliothek 15. Jh., 1613

Beschreibung

Abendmahlskelch, Silber, vergoldet, wahrscheinlich aus dem Hospital St. Cyriaci et Antonii. Sechspaßfuß mit breitem, wulstigen Stehrand, profilierter Zarge mit feinem graviertem Ornament und schmalem Anlauf. Unter dem Stehrand eine gravierte Instandsetzungsinschrift (B). Auf einem Fußsegment ein plastischer Kruzifixus. Flacher scheibenähnlicher Nodus mit sechs rautenförmigen, mit violetten Halbedelsteinen (oder Glas?) ausgelegten Rotuli. Auf den Zungen oben Blätter und unten alternierend Blätter und Vögel graviert. Über und unter dem Nodus gravierte Schriftbänder mit Gebet (A), von geriffelten Stegen eingefaßt.

Maße: H.: 17 cm; D.: 9,4 cm (Kuppa), 13 cm (Fuß); Bu.: 0,8 cm (A), 0,4–0,5 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    avea) · maria // gracia · plena1) ·

  2. B

    ANNO · 1613 · RENOVA=/TVR HIC CALIX · / · WOLFGANG · SCHICKE/NTEWOLF · VORSTERERb) · / MAGTHALENA · HANS · / HVBENERS · ELIGE · HAVS/FRAW · HOFMEISTERN · / S(ANCTI)c) · CYRIACI ·

Übersetzung:

A Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade.

B Im Jahr 1613 ist dieser Kelch erneuert worden. (...)

Kommentar

Die Buchstaben der Inschrift A stehen auf einem kreuzschraffierten Hintergrund und sind auf das Sorgfältigste ausgeführt. Den Schaft des g begleitet ein Zierstrich; das obere Schaftende des l ist gespalten, das untere Bogenende des p ist durch den Schaft hindurchgesteckt. Die Worttrenner haben die Form fünfblättriger Blüten. Der zweite Teil der Inschrift wird durch einen Niet gestört. Inschrift A enthält den Anfang des Ave-Maria-Gebets, das sich häufiger auf spätmittelalterlichen Kelchen findet (vgl. Nr. 71B, 79B, 80C). Die ersten beiden Zeilen der Inschrift B sind in kleinerem Schriftgrad übereinander auf ein Fußsegment geschrieben. Die Buchstaben von B sind linear graviert und durch z. T. kräftige, strichförmige Sporen ausgezeichnet.

Das Hospital St. Cyriaci war 1341 vom Stadtrat gegründet und 1529 an den Moritzkirchhof verlegt worden. Von 1571 an errichtete man einen Neubau mit kleiner Kapelle auf dem Gelände des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters St. Georg in der hallischen Vorstadt Glaucha, der 1576 bezogen wurde. Das Hospital leiteten zwei Vorsteher und – ihnen unterstellt – ein Hofmeister, der „die Küchen-Rechnung und andere Ausgaben geführet“.2) Der Ratsverwandte Wolfgang Schickentewolf war von 1611 bis 1614 einer der beiden Hospitalvorsteher;3) Hans Hübner amtierte offensichtlich 1613 als Hofmeister.4)

Die im Katalog Halle 2002 vorgeschlagene Datierung „um 1300“5) ist unzutreffend. Die Gesamtgestaltung des Kelches, die Form seiner Kuppa und seines Nodus sowie die Verwendung der Gotischen Minuskel, die an hallischen Goldschmiedearbeiten erst um 1400 auftaucht (vgl. Nr. 16, 17), weisen auf das 15. Jh.

Textkritischer Apparat

  1. ave] Davor ein graviertes Blatt.
  2. VORSTERER] Sic! Für VORSTEHER. Das dritte R deutlich kleiner.
  3. SANCTI] Kein Kürzungszeichen. Das S ist genau auf den Schnittpunkt zweier Fußsegmente geschrieben. Der Text setzt sich dann auf dem ersten Segment mit dem Anfang der Inschrift fort.

Anmerkungen

  1. Liturgischer Text nach Lc 1,28; CAO III, Nr. 1539.
  2. Dreyhaupt 2, 1750, S. 247–249; zur Geschichte des Hospitals s. auch Nr. 30, 128.
  3. StAH H A 14, S. 53; StAH H B 2, S. 105 f., 108.
  4. Vgl. Eckstein 1841a, S. 23.
  5. Katalog Halle 2002, S. 268 (Nr. 218).

Nachweise

  1. Katalog Halle 2002, S. 268 (Nr. 218).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 75 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0007500.