Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 70† Laurentiuskirche 3. D. 15. Jh.

Beschreibung

Altarretabel mit zwei schwenkbaren Flügelpaaren, Holz, geschnitzt und farbig gefaßt, Tafelmalerei, 1984 weitgehend verbrannt.1) Auf der bemalten Außenseite des äußeren Flügelpaares die Verkündigung Mariae; auf einem mehrfach gewundenen Spruchband ein Bibelzitat. Nach der ersten Wandlung Gemälde der Apostel,2) die in vier Dreiergruppen geordnet und in Innenräumen abgebildet sind. Jede Gruppe von einem Segmentbogen überfangen, den Ranken umspielen. Auf der Festtagseite des Retabels die gefaßten Schnitzplastiken der hll. Katharina und Barbara als Begleiterinnen einer Mondsichelmadonna im Mittelschrein sowie Johannes des Täufers und eines hl. Diakons auf dem linken und des hl. Mauritius und eines Ritterheiligen auf dem rechten Flügel.3) Jede Skulptur von einem geschnitzten Kielbogen mit Rankenschleier überfangen. Die Predella mit dem Relief des Abendmahls vermutlich erst 1869 geschaffen.4)

Nach Fotografie.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

MLU Halle-Wittenberg, IKARE [1/1]

  1. AVE · GRAC(IA)a) / BLENAb) · DOMIN/VS [·] TECVM5)

Übersetzung:

Gegrüßet seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir.

Kommentar

A hat einen überstehenden Deckbalken und gebrochenen Mittelbalken. Das offene, kapitale D mit einwärts abgewinkeltem Schaft könnte aus dem unzialen D entwickelt worden sein. Verwendet wurden das zweibogige E und das eingerollte G. Die Schrägschäfte des M sind etwa auf Höhe der Mittellinie zu einem Mittelschaft zusammengeführt. Die Form der Worttrenner ist nicht sicher erkennbar.

Das Retabel wurde 1570 von Johannes Trautenbuhl (Nr. 250), dem Besitzer der ehemaligen Kapelle in Mücheln bei Wettin nördlich von Halle, an die Laurentiuskirche geschenkt und hier 1869 einer durchgreifenden Restaurierung unterzogen,6) die vermutlich den Gesamteindruck des Altaraufsatzes bis zum Brand der Kirche bestimmte. Das qualitätvolle Retabel gehört zu einer Gruppe von Altaraufsätzen, deren Malerei und Plastik fränkisch beeinflußt ist. Die künstlerische Verwandtschaft mit dem großen, auf 1488 datierten Marienretabel aus der Ulrichskirche (Nr. 60) ist schon im 19. Jh. erkannt worden.7) Im 20. Jh. hat man noch das Retabel des Hauptaltars in der Andreaskirche zu Eisleben (westlich von Halle) dieser Gruppe zugeschlagen.8) Ob diese Werke in Halle gefertigt wurden und ob das vorliegende anspruchsvolle Retabel ursprünglich für die Kapelle in Mücheln bestimmt war, ließ sich bislang nicht ermitteln.

Textkritischer Apparat

  1. GRACIA] Kein Kürzungszeichen erkennbar.
  2. BLENA] Sic!

Anmerkungen

  1. Zur Geschichte der Laurentiuskirche s. Einleitung, S. XXXIII f.
  2. Den meisten Aposteldarstellungen liegen Stiche Martin Schongauers zugrunde; Ritter 2011, S. 13.
  3. Zwei der Heiligen fehlen Attribute, so daß eine zweifelsfreie Identifizierung nicht möglich ist.
  4. Eine Inschrift an der Predella nahm auf die Instandsetzung 1869 Bezug.
  5. Lc 1,28. Vermutlich liturgischer Text; vgl. CAO III, Nr. 1539.
  6. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 267 f.
  7. Kugler 1854, S. 32.
  8. Eine ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte bei Ritter 2011, S. 48–68.

Nachweise

  1. Fotografie der Film- und Bildstelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sign. v 1435.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 70† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0007005.