Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 67 Marktkirche vor 1499

Beschreibung

Farbiges Tafelbild mit Austreibung der Wechsler aus dem Tempel an der Ostwand des Nordseitenschiffs. Links unten ein querrechteckiges Schriftfeld mit Bibelzitat als Bildbeischrift aufgemalt. Außerdem hebräische Schriftzeichen (0,5–2,5 cm) an den Gewandsäumen zweier Wechsler, am Kragen eines derselben sowie auf Schriftzettelchen, die der andere und zwei weitere Wechsler an ihren Hüten tragen. Das Gemälde mehrfach ausgebessert bzw. restauriert.

Maße: H.: 167,5 cm; B.: 112 cm; Bu.: 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. Mein · haus · ist · / ein · Bethausa)1) ·

Kommentar

Die oberen und unteren Schaftenden der Minuskelbuchstaben sind mit gelegentlich verzogenen Quadrangeln abgeschlossen. Das untere Bogenende des h geht in eine weit ausschwingende Zierschleife über. Als letzter Buchstabe steht ein Minuskel-s, bei dem der linke, senkrechte Teil des gebrochenen oberen Bogens bis zur Grundlinie der Schriftzeile herabgeführt und mit dem unteren Teil des gebrochenen unteren Bogens zusammengeführt ist. Die Bogensegmente weisen Schwellungen auf. Die Worttrenner haben unterschiedliche Gestalt: Der erste und der letzte sind vierblättrige Blüten mit ausgezogenen und eingerollten Blattspitzen. Die übrigen sind Quadrangel, an deren Spitzen geschwungene Zierlinien ansetzen.

„Der Maler des Bildes hat versucht, vermeintliche hebräische Schriftzeichen sorgfältig und seitenrichtig zu übernehmen, besonders in den Sauminschriften, und durch Ziehen von Hilfslinien (in den Kopfbedeckungen) die Buchstaben als ‚Quadratbuchstaben‘ zwischen die Linien zu plazieren. Daß das nur in begrenztem Umfang gelungen ist, liegt wohl daran, daß der Maler des Hebräischen nicht mächtig war und einzelne Buchstaben mit ihren jeweiligen charakteristischen Eigenschaften nicht identifizieren und nicht eindeutig unterscheiden konnte. Obwohl einzelne Zeichen insbesondere an den Hüten gut zu erkennen sind, ergibt die Zusammenstellung m. E. keinen Sinn. Ein Rückschluss auf die Vorlage ist leider auch nicht möglich.

Während in den Hutinschriften die einzelnen Buchstaben noch als solche wahrgenommen werden können, haben wir in der größten Sauminschrift in der Bildmitte und zum Teil in der Sauminschrift rechts unten Zeichen vorzufinden, die keine Buchstabenrekonstruktion zulassen. Der Maler hat hier vielleicht in Unkenntnis der hebräischen Schriftzeichen Buchstaben miteinander verbunden und dafür andere Teile dieser Buchstaben weggelassen. Auch hier gilt, dass die identifizierbaren Buchstaben in dieser Reihenfolge, auch wenn man an einigen Stellen versucht, Buchstaben zu rekonstruieren, keine sinnvollen Wörter oder Sätze ergeben und so keine Rückschlüsse auf die Vorlage oder eine besondere Intention des Malers oder Auftraggebers zulassen“2) – außer der, die jüdischen Händler und Wechsler durch hebräische Schriftzeichen kenntlich zu machen.

Das Gemälde entstand wahrscheinlich als Stiftung des Nikolaus Schildberg, der 1499 den Vorsteher der ebenfalls von ihm vor dem Klaustor gestifteten Maria-Magdalenen-Kapelle beauftragte, für die Erhaltung des Bildes Sorge zu tragen. In der entsprechenden Urkunde heißt es: „Die Figur, wie Gott der Herr aus dem Tempel habe geschlagen die Verkäuffer, als offte das noth wird seyn zu verneuen, die figur ewiglich in Weesen zu behalten, das sollen verschaffen die Vorsteher der Capellen vorgenant.“3) Das Bild kann sicherlich als Warnung an die Kirchenbesucher verstanden werden, daß unziemliches Verhalten oder profane Geschäfte die Sakralität des Ortes schmälern und den Zorn des „Hausherrn“ Jesu Christi hervorrufen würde. Zwei Legate der umfangreichen Stiftungen Schildbergs waren für die Anstellung von Kirchenhütern gedacht, die in der Maria-Magdalenen-Kapelle und in der Marienkirche, wo das Bild hing, für Ruhe, Sauberkeit und Ordnung zu sorgen hatten.4) Ihre Tätigkeit sollte die Würde der heiligen Orte bewahren. Der vermutlich in fränkischen Werkstätten geschulte unbekannte Maler, der zuvor vielleicht das große, auf 1488 datierte Altarretabel der Ulrichskirche geschaffen hatte (Nr. 60), nutzte wie schon bei seinem älteren Werk mit Sicherheit eine aschkenasische Handschrift, möglicherweise aus dem 14.–15. Jahrhundert, als Vorlage zur Nachbildung hebräischer Inschriften.5)

Textkritischer Apparat

  1. Bethaus] Bethaus 1498 BKD Prov. Sachsen NF 1. Eine Jahreszahl ist heute nicht erkennbar.

Anmerkungen

  1. Mt 21,13, Mk 11,17, Lk 19,46.
  2. Für die mühevolle Lesung und Kommentierung der hebräischen Schriftzeichen sei Herrn Jens Kotjatko-Reeb M. A., Halle (Saale), herzlich gedankt.
  3. Dreyhaupt 1, 1749, S. 1035 (Nr. 322: 1499 Juli 15).
  4. Ruprecht 2007, S. 53–55; siehe auch Ruprecht 2011, S. 47 f.
  5. Freundliche Mitteilung von Herrn Jens Kotjatko-Reeb.

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 71.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 67 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0006708.