Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 38† Wasserkunst † 1465 (?), 1548

Beschreibung

Zwei Bauinschriften (A, B) am Turm der städtischen Wasserkunst, der auf einer Ecke der neben der Neumühle vorspringenden Stadtmauer aufgesetzt war (nördlich der Mühlpfortenbrücke zwischen Neumühle und Robert-Franz-Ring). Der Standort der Inschrift A, die schon im 17. Jh. „theils verderbt“ war,1) nicht überliefert; eine Steinplatte mit dem Stadtwappen von Halle, um das herum eine Jahresangabe und die Initialen der Namen von Magistraten (B) geschrieben waren, an der Westseite des Turmes.2) Beide Inschriften spätestens beim Brand des Kunstturmes 1875 oder beim Abbruch desselben 1903 verlorengegangen.3) Die Jahresangabe und das letzte Wort der Inschrift B stehen über bzw. unter dem Wappen, das erste und zweite sowie das vierte und fünfte Initialenpaar stehen zu beiden Seiten des Wappens einander gegenüber. Das dritte Initialenpaar war einem Steinmetzzeichen gegenübergestellt.4) Schriftformen und Art der Schriftausführung nicht überliefert.

A nach Olearius, B nach Knauth.

Maße: H.: ca. 100 cm (B); B.: ca. 100 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis (?) (B).

  1. A

    Anno Domini M.CCCC.LXV. / haec [- - -] confecta est [- - -] juncta [- - -]a)

  2. B

    AN(N)Ob) D(OMINI) 1548 / P(ETER) W(EISZKER)c) // I(OCHIM) B(EYER) / N(ICKEL) H(OFMAN)d) / B(ARTEL) K(UNATH) // M(ATTHES) S(CHELLER) / BAUMEISTERe)

Übersetzung:

A Im Jahr des Herrn 1465 ist dieses (Werk?) vollendet worden (...) das verbunden wurde (...)

B Im Jahr des Herrn (...)

Kommentar

Der Chronist Gottfried Olearius weist Inschrift A trotz der von ihm selbst überlieferten Jahresangabe 1465 dem Jahr 1565 zu, in dem vermutlich die im Vorjahr unter Mitwirkung eines Leipziger Röhrenmeisters begonnene Erweiterung der Wasserkunst um ein zweites Druckwerk abgeschlossen wurde.5) Dem steht aber die Kleinschreibung der Inschrift (Gotische Minuskel?) und die Schreibung der Jahreszahl mit römischen Ziffern entgegen, die eher für eine Anfertigung im 15. als in der zweiten Hälfte des 16. Jh. spricht, als die (original erhaltenen) Bauinschriften Halles fast durchweg in Großbuchstaben ausgeführt und mit arabischen Ziffern datiert wurden. Auch läßt der schon im 17. Jh. schlechte Erhaltungszustand auf ein höheres Alter schließen.

1462 und 1467 bemühten sich Franziskaner und Dominikaner um den Bau einer Wasserkunst zur Verbesserung der städtischen Wasserversorgung.6) Johann Christoph von Dreyhaupt zufolge sollen wohlhabende Bürger eine „Wassergewerckschafft“ gebildet und den Stadtrat veranlaßt haben, neben der Neumühle eine Wasserkunst zu bauen und ein Röhrennetz anzulegen, das seit 1474 auch den Marktbrunnen versorgte.7) Nach einer Erneuerung des Pumpwerks 1525 (s. Nr. 116) fand in den Jahren 1548/49 eine Rekonstruktion der Wasserkunst statt, die der Wittenberger Kunstmeister Matheus Moß durchführte8) und an der vielleicht auch der Werkmeister Nickel Hofman beteiligt war. An vielen seiner Bauten (Marktkirche, Moritzkirche, Rathaus, Stadtgottesacker) ließ er seine Mitwirkung durch die Initialen NH und sein Steinmetzzeichen dokumentieren (vgl. Nr. 152; Anhang 1, Nr. 17, 19). Träfe das zu, wäre der Umbau der Wasserkunst das erste inschriftlich bezeugte Werk Hofmans in Halle und vielleicht sogar sein erstes hallisches Werk überhaupt. Seit 1549 ist Nickel Hofman als Werkmeister an der Marktkirche bezeugt.9)

Die vier einander gegenüberstehenden Initialenpaare lassen sich analog vergleichbarer Inschriften als Namen amtierender Magistrate auflösen (vgl. Nr. 246B). Peter Weißker und Jochim Beyer waren 1548 Ratsmeister; Bartel Kunath und Matthes Scheller führten wahrscheinlich als Ratsmitglieder die Bauaufsicht und werden deshalb inschriftlich als BAUMEISTER bezeichnet.10) Weißker war erstmals 1535 und von 1539 an im üblichen Dreijahresrhythmus bis 1551 Ratsmeister; Jochim Beyer versah von 1548 an dreimal das Amt. Scheller hatte nur einmal (1553), Bartel Kunath hingegen zwischen 1555 und 1567 fünfmal das höchste Ratsamt inne.11)

Textkritischer Apparat

  1. Zu ergänzen ist ein feminines Nomen, z. B. structura.
  2. ANNO] O in kleinerem Schriftgrad wiedergegeben.
  3. WEISZKER] Schreibung in jüngerer Literatur: Weißker. Die zeitgenössische Schreibung in Großbuchstaben unklar.
  4. NICKEL HOFMAN] Auflösung nach Nr. 152MA.
  5. Die Schreibung der Namen der Ratsverwandten folgt der ältesten epigraphisch oder literarisch bezeugten Form.

Anmerkungen

  1. Bei Olearius 1667, S. 281 die Inschrift mit Fehlstellen wiedergegeben.
  2. „Am Thurme der Wasserkunst selbst, aber verdeckt von dem westlich anliegenden Wohngebäude (...) eine etwa drei Fuß im Quadrat große Steintafel“; Knauth 1857, S. 902.
  3. Vgl. Philipp 1993, S. 59.
  4. Die Form des Steinmetzzeichens ist nicht überliefert.
  5. Olearius 1667, S. 279, 281; Dreyhaupt 2, 1750, S. 375.
  6. Olearius 1667, S. 197, 200.
  7. Dreyhaupt 2, 1750, S. 374; zum Marktbrunnen s. auch Olearius 1667, S. 203.
  8. Dreyhaupt 2, 1750, S. 375; zur Geschichte der Wasserkunst s. auch Philipp 1993, S. 58 f.
  9. Die Wasserkunst ist nicht bei Broda 1998 verzeichnet. Zu N. Hofman s. Nr. 152.
  10. Zum Amt des „Baumeisters“ s. Einleitung, S. XIV.
  11. Zu den Amtszeiten s. StAH H B 2, S. 68, 72–79, 81 f., 84 f.; Dreyhaupt 2, 1750, S. 343. Zu P. Weißker s. Nr. 175.

Nachweise

  1. Olearius 1667, S. 263 (B), 281 (A).
  2. Knauth 1857, S. 902 (B).
  3. Jäger 2009, S. 9 f.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 38† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0003807.