Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 9 Lettin, Wenzelskirche E. 13./1. V. 14. Jh.

Beschreibung

Glocke1) mit kleiner emporgewölbter Platte und steiler Schulter. Unter der Schulter zwei Paare von Taustäben, die umlaufend den Anfang eines Gebets einfassen. Die Inschrift in erhabener Konturschrift ausgeführt. Unter der Schriftzeile ein umlaufender breiter Streifen der Flanke durch einen Steg abgesetzt und mit neun Heiligenfigürchen bzw. Reliefs geschmückt: Unter dem Invokationskreuz eine sitzende Maria mit Kind (H.: 5,6 cm); rechts folgen stehend oder sitzend Heilige: einer mit einem Schwert in beiden Händen (H.: 6,3 cm), ein weiterer (H.: 5,8 cm), einer ohne Nimbus (H.: 5,5 cm), ein Medaillon mit Christus in der Vorhälle (D.: 5 cm), nochmals das Marienbild, ein weiterer Heiliger (H.: 5,6 cm), einer mit (leerem oder nicht lesbarem) Spruchband (H.: 4,8 cm) und schließlich ein Medaillon mit einem Sitzenden mit (leerem oder nicht lesbarem) Spruchband (D.: 5 cm). Am Wolm ein Steg.

Maße: H.: 55 cm; D.: 61,5 cm; Bu.: 2,5–3 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission 8Markus Scholz) [1/4]

  1. + · A · V · M · E · A · A · R · I · A · G · Ra)b)2)

Übersetzung:

Gegrüßet seist du, Maria (voll der) Gnade.

Kommentar

Der dritte und vierte Buchstabe wurde vertauscht und das erste A des Wortes GRA(CIA) versehentlich in den Namen „MARIA“ gesetzt. Das trapezförmige A hat einen weit überstehenden Deckstrich, nach unten stark verbreiterte Schäfte und zweimal einen geknickten, einmal einen rechtsschrägen und einmal keinen Mittelbalken. E und M sind unzial. Die beiden R-Formen variieren stark. Ein A sowie E, V und M wurden durch Abschlußstriche geschlossen. Abschlußstriche und Sporen sind generell weit ausgezogen und am Ende gebogen oder eingerollt. Zwischen den Buchstaben stehen Kreise in unterschiedlicher Höhenstellung.

Das Ave-Maria, das ursprünglich nur aus zwei biblischen Grußworten an Maria bestand,3) wurde im frühen Mittelalter in die Liturgie eingeführt und hat, begünstigt durch kirchliche Verordnungen und monastische Praxis, als Gebet weiteste Verbreitung gefunden. Es wurde neben dem Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser als christliches Grundwissen gelehrt.4) Im 13. Jh. entwickelte sich die Gewohnheit, durch Glockenläuten dreimal täglich zum Gebet, insbesondere zum Ave-Maria, aufzurufen.5) Die Anfangsworte des Gebets kennzeichnen die Glocke vermutlich als sogenannte Ave-Maria-Glocke, die täglich zur Andacht aufrief. Eine „Bet- oder Ave-Glocke“ gehörte, wie Konrad Bund annimmt, zum dreiteiligen Geläut, das wohl an den meisten Pfarrkirchen vorhanden war.6)

Textkritischer Apparat

  1. GR] Zu ergänzen ist GRACIA PLENA.
  2. + AVME MARIA GR BKD Prov. Sachsen NF 1.

Anmerkungen

  1. Gewicht 150 kg, Schlagton gis; Bartsch 2006, S. 135.
  2. Liturgischer Text nach Lc 1,28; vgl. CAO III, Nr. 1539.
  3. Lc 1,28 und 1,42; vgl. ML 1, 1988, S. 309 f. (H. Dünninger); RGG 1, 1998, Sp. 1021 (William Flynn).
  4. Vgl. ML 1, 1988, insbesondere S. 311–313 (P. Wiertz/H. Dünninger), 314 (W. Lipphardt/T. Maas-Ewerd/F. Baumeister).
  5. Vgl. Otte 1884, S. 36–40; ML 1, 1988, S. 146 f. (H. Schauerte/T. Gebhard). Vgl. auch Hense 1998, S. 39–42.
  6. Bund 1999/2000, S. 4.

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 514 f.
  2. Bartsch 2006, S. 135.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 9 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0000903.