Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 1 Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum 3. V. 12. Jh.

Beschreibung

Taufbecken aus rotem Sandstein (?), aus der St.-Briccius-Kirche in Halle-Trotha, schon 1842 in Besitz des Thüringisch-Sächsischen Geschichtsvereins, bei Auflösung der Sammlungen des Vereins 1911 vom Museum übernommen.1) Die acht Seitenflächen des blockhaften Taufbeckens durch Blendarkaden gegliedert, die von rechteckigen Rahmen überfangen werden. Die Säulen und blockhaften Kapitelle der Arkaden von unterschiedlichster Gestaltung. Oberer und unterer Rand der Seitenflächen fast durchgängig von Palmettenfriesen gesäumt. Unter den Bögen schweben (!) Maria, Jesus und Heilige, deren Namen in die erhaben ausgeführten Bögen eingehauen sind (A–H). Sie tragen fast alle einfache Gewänder und sind überwiegend durch Attribute bezeichnet: Maria mit leerem Spruchband (?) (A), Jesus mit Kreuznimbus und einem Buch (B), Johannes mit leerem Spruchband (C), heiliger Bischof mit Kasel und Krummstab (D), Heiliger mit Stab und Buch (?) (E), Heiliger mit Stab (F), Petrus mit Buch (?) (G), Heiliger mit Buch (H). Die Heiligen beiderseits von Christus durch Kopfwendung diesem zugewandt. An allen Teilen des Taufbeckens Verwitterungsspuren und Beschädigungen unterschiedlicher Größe; Teile der Wandung bei D weggebrochen.

Maße: H.: ca. 82,5 cm; D.: ca. 92 cm; Bu.: 2,5 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/4]

  1. A

    MARIA · MAT(ER)a)

  2. B

    (IHESVS)b) [ · ]c) (CHRISTVS)d)

  3. C

    [IOHANN]ESe)

  4. D

    [.]OD[ – – – ]f)

  5. E

    [- - -]V[- - -]g)

  6. F

    [- - -]R[- - -]Sh)

  7. G

    PETR[VS]

  8. H

    [..]O[- - -]Si)

Übersetzung:

A Maria, Mutter (Gottes).

Kommentar

Die Inschriften zeigen das unziale, in G vermutlich geschlossene E. In B steht ein unziales H. Bemerkenswert ist die trotz des geringen Buchstabenbestandes variantenreiche Schriftausführung in A: außer einem unzialen A zwei trapezförmige A, eines mit geradem und eines mit gebrochenem Mittelbalken. Das M ist kapital bzw. unzial und links geschlossen. Die Bögen der Buchstaben sind ohne Schwellungen und weisen zumeist dreieckige Sporen auf. Der einzige erhaltene Worttrenner (A) ist kreisförmig.

Die Ausführung des Ganzen ist aufwendig, aber derb; Verwitterung und Beschädigung der Oberfläche verunklären zudem viele Details. Der Vielfalt der Buchstabenformen entsprechen vielfältige Säulenformen (eckige, kannelierte und gewundene) und eine vielgestaltige Kapitelldekoration (Zungen- und Akanthusblätter). Vergleichbare Säulen- und Kapitellformen begegnen in der deutschen Architektur schon vor der Mitte des 12. Jh. Als mitteldeutsche Beispiele seien hier der Kreuzgang des Liebfrauenstifts zu Magdeburg und die etwas jüngere Krypta des Naumburger Domes genannt.2) Sie wurden der Datierung zugrunde gelegt.

Ein Taufstein mit einer vergleichbaren Ausschmückung durch Heilige unter aufgeblendeten Säulenarkaden hat sich im nahegelegenen Merseburg erhalten. Seine Plastik weist aber entwickeltere Formen auf, die der gut begründeten Datierung um 1180 durchaus entsprechen.3) Ihm gegenüber wirkt der Trothaer Taufstein archaisch. Das Merseburger Werk hat ein gänzlich anderes Bildprogramm, das an der Wandung des Taufsteins zwölf Apostel auf den Schultern von Propheten zeigt.4) Ihre Namen sind auf Spruchbänder und die Arkaden geschrieben. Auch Maria und Johannes am Trothaer Taufstein halten Spruchbänder (A, C). Sie flankieren Jesus und bilden erkennbar eine Gruppe mit ihm, die einer Deesis, einer Fürbitte, gleicht. Es ist aber fraglich, ob es sich um den ursprünglich zur Deesis gehörenden Johannes den Täufer oder um Johannes den Evangelisten handelt, der in der mittelalterlichen Ikonographie den Täufer ersetzen konnte.5) Der in neutestamentlichem Sprachgebrauch begründete Ehrentitel MATER (DEI) hebt darauf ab, daß Maria wegen der Göttlichkeit ihres Sohnes Jesus Christus eben „Mutter Gottes“ ist.6) Das verleiht ihrer Fürsprache einzigartige Wirksamkeit.

Die Identifizierung der Figur unter Inschrift D mit dem 1131 heiliggesprochenen Bischof Godehard von Hildesheim7) entspräche der Darstellung eines Bischofs mit Krummstab und Kasel.8) Träfe sie zu, wäre das Bildprogramm nicht wie in Merseburg nur auf biblische Heilige beschränkt.

Textkritischer Apparat

  1. MATER] Kein Kürzungszeichen erkennbar. Zu ergänzen ist vielleicht DEI.
  2. IHESVS] Befund (unsicher): IHC; die Auflösung hier in zeitüblicher Schreibweise.
  3. [·] In Analogie zu A ergänzt.
  4. CHRISTVS] Befund: XPC.
  5. Ergänzt in moderner Schreibung.
  6. GODEHARDVS? Der Bogen des E noch zu erahnen, Lesung und Ergänzung trotzdem unsicher.
  7. Lesung unsicher; außerdem weitere Buchstabenfragmente.
  8. Als erster lesbarer Buchstabe auch ein K möglich; außerdem weitere Buchstabenfragmente.
  9. THOMAS? Die Zahl der verlorenen Buchstaben vor dem O nicht zweifelsfrei gesichert; außerdem Buchstabenfragmente.

Anmerkungen

  1. Neuß 1955, S. 7; Inv.-Nr. Mo III 00141.
  2. Zu Magdeburg: Weidel/Kunze 1925, S. 99 f. (Abb. 55 f.), 109 (wohl 1150/60 vollendet); zu Naumburg: Schubert 1997, S. 11–16 (um 1160/70).
  3. Katalog Merseburg 2004, S. 116–118 (Nr. III. 9; Christian Forster).
  4. Ebd.; DI 11 (Merseburg), Nr. 9 (Datierung um 1200).
  5. Vgl. LdK 2, 1996, S. 100 f.
  6. ML 2, 1989, insbesondere S. 684 f. (G. L. Müller).
  7. LexMa 4, 2002, Sp. 1531 f. (J. Fleckenstein).
  8. Vgl. LCI 6, 1994, Sp. 415 f. (Erich Endrich).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 1 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0000100.