Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 243(†) Liebfrauen 1614, 1615

Beschreibung

Taufbecken mit Deckel; im Chorjoch der sog. Taufkapelle, ehemals im westlichen Mittelschiff;1) Metall (Bronze, Messing?); gut erhalten, der steinerne Standfuß und das umgebende geschnitzte hölzerne und vergoldete Geländer fehlen heute; bestehend aus einem mittels Ketten im Chorgewölbe befestigten Deckel von geschweiftem Umriß, auf dem obersten Knauf eine vergoldete, gekrönte Figur der Jungfrau mit dem Kind, an seinem unteren Rand in zeilenhoch eingetiefter Inschriftenleiste das Bibelwort (A); das kelchförmige Becken – die Außenseite der Kuppa ist durch drei Wülste gegliedert – ist jeweils von durch gratige Stege eingefaßten Inschriften umgeben, am oberen Rand umlaufend das Bibelwort (B) und die Verweisinschrift (C), nach unten folgen in einem breiten Feld die Wappen der Chorherren mit den darunter plazierten ein- oder zweizeiligen, durch umalufende Stege getrennten Wappenbeischriften (D); am unteren Ende des mit breitem Nodus versehenen Schafts in zeilenhoch eingetieftem Inschriftenfeld auf scharriertem Grund die Gießersignatur (E); sämtliche Inschriften erhaben ausgeführt; der Fuß ist durch Kehlen, Wülste und Grate gegliedert. An dem ehemals darunter befindlichen steinernen Standfuß war die Meistersignatur (F) eingehauen. An dem ebenfalls verlorenen Geländer befanden sich Name und Wappen des Kanonikers Julius Matthias Hecht und die Jahreszahl 1685.2)

Ergänzungen nach Haber.

Maße: H. 108,5 cm (Kessel), 125 cm (Deckel mit Skulptur, ohne Aufhängung), D. 76,1 cm, Bu. 2 cm (A), 2 cm (B), 2,2 cm (C, E), 1,1 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/4]

  1. A

    · WER GLEVBET VNDT GETAVFFET WIRDT DER WIRDT SELIG WERDEN WER ABER NICHT GLEVBET DER WIRDT VERDAMMET WERDEN · MARCI · AM · 16 · CAPa) 3)

  2. B

    · ES SEY DEN DAS IEMANT GEBOREN WERDE AVS DEM WASSER VND GEIST SOb) KAN ER NICHT IN DAS REICH GOTTES KOMEN IOHANNIS AM 34) ·

  3. C

    · NOMINA CANONICORVM RESIDENTIVM ECCLESIAE BEATAE MARIAE VIRGINIS HALBERSTADENSIS ANNO DOMINI · 1614 ·

  4. D

    HANS GEORG VON · / BRITZKEc) DECHANT · // ALBRECHT VON · / KREIENDORFd) SENIORe) · // CHISTOFF VON · / BRISTf) · // CHRISTOFFg) · / WVLFF · // HINRICVSh) A · / WERDER · // IACOBVSi) A BIEREN · / DOMHER ZV MINDEN · // AVCTORj) BALSTOCHk) · / · // CHRISTOFFl) VON · / HONRODTm) · // IODOCVSn) PETRI · / CELLARIVS · // VICTOR IVST(VS)o) · / SCHENCKE · // WILHELMVSp) AB · ARNSTEDTq) · // OTTO SCHWETZINr) · MELCHIOR AB · / RINDTORFs) ·

  5. E

    ·· MATTHIAS KIPMANt) · HAT MICH GEGOSSENu) ZV HALBERSTAT

  6. F †

    M(ei)st(e)r Heinr(ich) Santer gemacht M DC XV

Übersetzung:

C: Die Namen der residierenden Chorherren der Halberstädter Kirche der seligen Jungfrau Maria im Jahre des Herrn 1614.

Wappen:
Britzke5)Kreiendorf6)Briest7)Wulff8)Werder9)Bieren10)Balstoch11)Honrodt12)Petri13)Schenck von Flechtingen14)Arnstedt15)Schwetzin16)Rintorf17)

Kommentar

Auffälligste Buchstaben der nicht ganz klassischen Kapitalis der Inschriften A–C und E sind das M mit einem sehr stark verkürzten Mittelteil, das R mit der geschwungenen, die Grundlinie nicht berührenden Cauda und das spitzovale O. Die Ligatur AE weist immer ein leicht schräggestelltes A auf, das, wie die Cauda des R, keinen Kontakt mit der Grundlinie hat. In der Inschrift F ist das R langgestreckt und gerade und reicht bis zur Mittellinie oder bis fast dorthin. Nicht alle Buchstaben weisen Serifen auf.

Thieme/Becker bieten zu Mathias Kipman, wohl nach Lüer, nur den lapidaren Eintrag, daß er Gießer in Halberstadt gewesen sei, ein von ihm 1614 gegossener Bronzetaufkessel sich in der Liebfrauenkirche befände und der Deckel von einer vergoldeten Madonnenfigur bekrönt sei.18) Wie überhaupt Nachrichten über die Fünte spärlich fließen. Nach Haber ist das Becken erst am 19. Juni 1615 fertiggestellt und am 20. September desselben Jahres aufgestellt worden.19) Sein Gewicht soll danach achteinhalb Zentner betragen, und es soll 157 Thaler und zwölf Groschen gekostet haben. Die Angaben zu Gewicht und Anschaffungspreis differieren jedoch. Plato gibt an, das Taufbecken wiege neun, Lucanus nennt achteinhalb Zentner.20) Es habe mehr als 160 Reichstaler gekostet, so informiert uns Plato im Jahr 1791, eine Angabe, die Lucanus ein gutes halbes Jahrhundert später – offensichtlich nach Haber – auf 157 und einen halben Reichstaler präzisiert. Das Gußjahr wird in diesen Publikationen aber ebenfalls mit 1615 angegeben.21) Der Bildhauer oder Steinmetz Heinrich Santer läßt sich nicht nachweisen.

Das Stift war im Jahre 1604 reformiert worden, nachdem schon seit 1591 keine Messe mehr gehalten wurde.22) Das Taufbecken gehörte nach Lucanus zur protestantischen Ausstattung der Kirche.23) Offensichtlich hatte man sich nicht aber entschließen können, den Taufstein in die Nähe von Kanzel und Altar zu versetzen, wie es für protestantische Kirchen üblich war.24) Lutherischen Bildschmuck weist der Taufkessel nicht auf. Mit ihren Wappen und Namen stehen die Stiftsherren, ganz gleich welcher Konfession sie im einzelnen im Jahr 1614 noch angehört haben mochten, aber gemeinsam für das dadurch demonstrierte Programm.25) Die Inschriften A und B sind wortwörtlich der Lutherbibel entnommen und beziehen sich direkt auf das Sakrament. Inschrift A zitiert aus dem Missions- und Taufbefehl, den Jesus beim Abschied den Jüngern erteilt (Mk 16,15–16). Damit wird die Abschiedsszene, wie sie das Taufbecken von 1571 in der Wolfenbütteler Hauptkirche Beatae Mariae Virginis ohne erläuternde Inschriften zeigt, evoziert.26) Inschrift B ruft durch die Bibelstelle (Jh 3,5) die Begegnung Jesus' mit Nikodemus in das Gedächtnis, die ebenfalls am Wolfenbütteler Becken zu sehen ist. Die Inschriften verweisen genau wie auch die Darstellungen am Wolfenbütteler Becken auf Glaube und Gnade als Voraussetzung für die Wirkung der Taufe.27)

Zu den Stiftsherren Hans Georg von Britzke,28) Albrecht von Kreiendorf,29) Christoph von Briest,30) Christoph Wulff,31) Heinrich von Werder,32) Jacob von Byern (Bieren),33) Autor Balstock,34) Christoph von Honrodt,35) Jodocus Petri,36) Melchior von Rintorff37) siehe unter den entsprechenden Anmerkungen.

Textkritischer Apparat

  1. CAP] Vermutlich für CAPTEL oder CAPITVLVM.
  2. SO] Fehlt BKD.
  3. VON BRITZKE] Brietzke Haber; Breitzke Scheffer.
  4. KREIENDORF] Kreiendorff Haber.
  5. SENIOR] Fehlt BKD.
  6. BRIST] Briest Haber.
  7. CHRISTOFF] Fehlt Haber.
  8. HINRICVS] Heinrich Haber.
  9. IACOBVS] Jacobus Haber; Jakobus BKD.
  10. AVCTOR] Auror Haber.
  11. BALSTOCH] Ballstock Haber.
  12. CHRISTOFF] Christoph Haber.
  13. HONRODT] Hohnroth Haber; Heuroth BKD.
  14. IODOCVS] Jodocus Haber, BKD.
  15. IVSTVS] Kürzungszeichen fehlt. Just Haber, BKD.
  16. WILHELMVS] Wilhelm Haber; Wilhelmmus BKD.
  17. ARNSTEDT] Arenstedt Haber.
  18. SCHWETZIN] Schwerin Haber; Schwitzin BKD.
  19. RINDTORF] Rintorff Haber.
  20. KIPMAN] Kippmann Haber.
  21. GEGOSSEN] gemacht Haber.

Anmerkungen

  1. Haber 1737, S. 20; Plato 1791, S. 339.
  2. Haber 1737, S. 21.
  3. Mk 16,16; vgl. auch Luther Heilige Schrifft Deudsch Bd. 2, S. 2068. Zur Häufigkeit der Stelle an niedersächsischen Taufbecken siehe Mathies 1998, S. 98.
  4. Jh 3,5; vgl. auch Luther Heilige Schrifft Deudsch Bd. 2, S. 2141.
  5. Sechsstrahliger Stern, HZ: gekrönt, drei Pfauenfedern; vgl. Siebmacher AnhA, S. 11 mit Taf. 5; ebd. PrE, S. 30 mit Taf. 24.
  6. Zwei voneinandergewendete Krähen, HZ: Wulst, zwischen offenem Flug die Krähe; vgl. die abweichenden Wappenfiguren bei Siebmacher AnhA, S. 35 f. mit Taf. 20 und S. 80 mit Taf. 46; ebd. SaA, S. 94 mit Taf. 60.
  7. Ein Anker, HZ: Wulst, gestulpte Mütze; vgl. die abweichende Wappenfigur bei Siebmacher BraA, S. 14 mit Taf. 7; ebd. SaA, S. 27 mit Taf. 16.
  8. Ein aus dem Busch hervorspringender Wolf, HZ: gekrönt, der Wolf wachsend; vgl. Siebmacher Pr, S. 460 mit Taf. 499; ebd. Pr, S. 71 mit Taf. 92.
  9. Drei Lilien schrägrechtsgestellt, begleitet oben von vier, unten von drei fünfstrahligen Sternen, HZ: gekrönt, zwischen offenem Flug Säule mit dem darüber gelegten Wappenbild; vgl. Siebmacher Pr, S. 443 mit Taf. 484 mit leicht abweichender Wappenfigur.
  10. Quadriert, 1. und 4. ein sitzender Hund rechtsgewendet und zurückblickend, 2. und 3. Blätterkranz, HZ: gekrönt, der sitzende Hund; vgl. Siebmacher PrE, S. 35 mit Taf. 29; ebd. Pr, S. 104 mit Taf. 137.
  11. Quadriert, 1. und 4. ein Ball, 2. und 3. zwei geschrägte Stöcke, HZ: über einem Wulst die geschrägten Stöcke, im oberen Winkel der Ball; vgl. Siebmacher Bg3, S. 41 mit Taf. 42.
  12. Quadriert, 1. und 4. Pelikan seine Jungen atzend, 2. und 3. gekrümmter beiderseits stumpf geasteter Baumstamm, HZ: der Baumstamm nach links gekrümmt; Siebmacher AnhA, S. 29 mit Taf. 17; ebd. SaA, S. 10 mit Taf. 7; ebd. SaAE, S. 74 mit Taf. 46.
  13. Das Wappen gewendet; gespalten, vorn Hl. Petrus mit Schlüssel, hinten: Hausmarke (Doppelhaken, kreuzendig, in der Mitte mit einem C überlegt), HZ: der Heilige; vgl. Siebmacher Bg6, S. 83 mit Taf. 94; siehe auch die Abb. der Hausmarke bei Scheffer 1864, S. 55 mit Abb. Nr. 37.
  14. Zwei laufende Biber übereinander, HZ: zwischen den Biberschwänzen 6 Fähnchen, drei nach rechts, drei nach links wehend; Siebmacher SaA, S. 147 mit Taf. 96; ebd. AnhA, S. 52 mit Taf. 30; ebd. Pr, S. 351 mit Taf. 404.
  15. Drei Rosen schrägrechtsgestellt, HZ: offener Flug diagonal belegt mit den Rosen; vgl. Siebmacher PrE, S. 6 f. mit Taf. 4; ebd. AnhA, S. 4 mit Taf. 1; ebd. BraA, S. 3 mit Taf. 1.
  16. Geteilt, oben zwei oberhalbe Bracken, HZ: Wulst, die Wappenfigur wachsend.
  17. Auf Rasensoden schreitender Stier, um den Hals ein Band mit zwei abflatternden Enden, HZ: zwischen Hörnern der Stier wachsend; vgl. Siebmacher AnhA, S. 49 mit Taf. 28; ebd. BraA, S. 75 mit Taf. 44.
  18. Thieme/Becker Bd. 20, Sp. 341; Lüer 1904 Bd. 1, S. 492; siehe auch BKD, S. 345; die Taufe erwähnt Elis 1886, S. 12; Doering/Voß 1905, S. 27.
  19. Haber 1737, S. 25; Nieter 1812, S. 31 f.
  20. Plato 1791, S. 339; Lucanus 1848, S. 22; BKD, S. 345.
  21. Plato 1791, S. 339; Lucanus 1848, S. 22; Niemann 1824, S. 52.
  22. Lucanus 1848, S. 4, wie Niemann 1824, S. 52 gibt er als Gußjahr der Taufe 1615 an, nur um sich auf S. 22 dann zu berichtigen.
  23. Lucanus 1848, S. 4.
  24. Poscharsky 2006, S. 25 f.
  25. Vgl. das Bild-und Textprogramm der Kanzel im Halberstädter Dom, DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 231 und Fuhrmann 2006 b, S. 269 f. sowie Nr. 191.
  26. Mathies 1998, S. 69–72 mit Abb. 60 und 61.
  27. Ebd., S. 71.
  28. Siehe auch Nr. 217, 227, 242, 261 †, 265.
  29. Siehe auch Nr. 217, 241, 265.
  30. Siehe auch Nr. 217, 241, 265.
  31. Siehe auch Nr. 217, 241, 265, 279.
  32. Siehe auch Nr. 217, 241, 265.
  33. Siehe auch Nr. 233, 241.
  34. Siehe auch Nr. 217, 241, 265.
  35. Siehe auch Nr. 217, 241, 265, 301.
  36. Siehe auch Nr. 241, 265.
  37. Siehe auch Nr. 241, 265.

Nachweise

  1. Haber 1737, S. 21 (A, B C, sämtlich nur teilweise, D, E, F).
  2. BKD, S. 345 (A–E).
  3. Scheffer 1864, S. 19 (C, teilweise).

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 243(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0024303.