Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 239 Städtisches Museum n. 1612 (1615–1618?)

Beschreibung

Inschriftentafel (I) und Bildnis (II) zum Erbbegräbnis der Familie Weste als Fragmente eines Altaraufsatzes eines Epitaphaltars aus der Siechenhofkapelle gehörend; Inv.-Nr. K 1 0306; Holz, Ölfarbe, bis auf einige Bestoßungen am Rahmen und einem Riß im unteren Drittel des Gemäldes gut erhalten; zu Anfang des 20. Jahrhunderts enthielt der Altaraufsatz noch – ehemals in eine manieristische Architektur der Spätrenaissance eingefügt1) – im Hauptfeld ein Tafelgemälde der Grablegung unter einem Abschluß mit der Halbfigur eines segnenden Christus,2) erhalten hat sich das Bildnis des Hans Westen und seiner dreizehnköpfigen Familie sowie die zugehörige Inschriftentafel; vor einer Landschaft, die in einem Fensterausschnitt zu sehen ist und in den größeren Zusammenhang der ehemaligen weiteren Darstellungen gehört, kniend links der Stifter und sein erwachsener Sohn sowie ein männlicher Säugling, eingewickelt in das Taufkleid, rechts ist seine verstorbene erste Frau und seine noch lebende zweite Frau samt neun weiblichen Nachkommen postiert, darunter ein Neugeborenes sowie ein weiteres Kind im Taufkleid; die zum Zeitpunkt der Herstellung des Bildes verstorbenen Familienmitglieder mit roten Kreuzen über den Häuptern gekennzeichnet, die verheirateten Frauen mit Hauben, die noch jungfräulichen weiblichen Mitglieder mit Jungfrauenkränzchen im Haar. Die Personen sind bis auf Säuglinge und ein Kleinkind sämtlich in Schwarz gekleidet und tragen Halskrausen. Auf der oblongen Inschriftentafel zeilenweise gold auf Schwarz die Sterbevermerke samt Fürbitte.

Maße: H. 19 cm (I), 34,9 cm (II), B. 61,8 cm (I), 83,1 cm (II), T. 4,5 cm (I), 5 cm (II), Bu. 1,7 cm (I).

Schriftart(en): Kapitalis.

Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 1/12 2012, S. 13 Abb. 11 (Olaf Karlson) [1/4]

  1. ANNO . 1612 . IST DES ERBARN VND WOLGEACHTEN . / HANS WESTEN EHLIGE HAVSFRAWE ILSEBE WEBERS . IN / GOTT SELIGLICH ENTSCHLAFEN, AM DAGE ELISABET3) , DES / ABENSa) ZWISCHEN . 6 . V(ND) 7 . VHR ; DER GOTT GNEDIG SEI , IHRS ALTERS . / 34 IHAR , A(NN)O , 1611b), IST MARGRETA WESTEN , IN GOT SELIG ENTSCHLAFENc) / IHRS ALTERS IM 16 IHAR , CATTRINAd) VND ILSEBE WESTEN , SIND / GESTORBEN . A(NN)O . 1612 , DEREN GOT ALLEN GNEDIG SEY , AM(EN)

Kommentar

Das Schriftbild wird durch zahlreiche vergrößerte Anfangsbuchstaben geprägt, nur Artikel, Konjunktionen und Präpositionen sind ausgenommen. Die Buchstaben weisen Linksschrägenverstärkungen und Bogenschwellungen auf. Schäfte und Balken enden oft in rechtwinklig angesetzten Sporen, die bisweilen auch einzelne Buchstaben miteinander verbinden können. In den unteren Zeilen erscheinen Ligaturen wie HA, HE, HR oder NE. I wurde fast immer mit i-Punkten versehen, auch die beiden Schrägschäfte des Y im vorletzten Wort weisen sie auf. Die nach rechts gebogene Cauda des R reicht oft unter die Grundlinie.

Die Familie Weste ist seit dem 15. Jahrhundert in Halberstadt belegt. Der Familienname leitet sich von dem Dorfe Weste (Waste, Westeden) im Verdenschen Amte Medingen her.4) Die landwirtschaftliche Bebauung des Gutes beim Siechenhof war wohl schon 1595 bis nach 1675 über achtzig Jahre lang in den Händen der Familie des Stifters.5) Die Einkünfte des Gutes wurden „teilweise für die Erhaltung der alten Leute im Siechenhof“ genutzt.6) Hans Weste d. Ä. hatte als „Hofmeister“ seit 1606 den Siechenhof gepachtet und dem Hospital und dem Domkapitel Pacht zu zahlen.7) Seine Familie fiel fast vollständig der Pest zum Opfer.8) Er selbst verstarb 1632.9) Unter den verlorenen Gemälden, von denen Jacobs berichtet, daß sie in der Kapelle gehangen haben, soll sich ein Ölbild eines Bürgers, Brauherrn und Kirchvaters zu St. Moritz Hans Westen (17. Jahrh.) befunden haben, auf welchem derselbe mit seinen 23 Kindern abgebildet war.10) Bei diesem handelte es sich wohl um einen Sohn des Hans Joachim Weste namens Hans. Die Datierung der Inschrift vom Epitaphaltar des Hans Weste d. Ä. auf das Jahr 1617 bei Pregla beruht wohl auf dem Lesefehler von Doering.11) Zumindest das Gemälde kann aber nur zwischen 1615, als Hans Weste d. Ä. nach dem Tod Ilsebe Webers, seiner ersten Frau, Margarete Rönnicke geheiratet hatte,12) und der Geburt des ersten überlebenden Sohnes aus dieser Ehe, Mathias,13) enstanden sein, da außer seinem ältesten Sohn Hans d. J. und einem als Säugling gestorbenen männlichen Kind, keine Nachkommen männlichen Geschlechts auf der Tafel (II) zu sehen sind. Deshalb könnte das Entstehungsdatum 1617 hinsichtlich des Gemäldes durchaus zutreffend sein.

Textkritischer Apparat

  1. ABENS] Sic!
  2. 1611] 1617 BKD.
  3. ENTSCHLAFEN] Ligatur von drei Buchstaben.
  4. CATTRINA] Cathrina BKD, Niedersächsisches Geschlechterbuch.

Anmerkungen

  1. Dieser Begriff trifft den Charakter des Aufbaus eher als der von Pregla 2012, S. 19 Anm. 44 benutzte Ausdruck „Frühbarock“; zur Bauforschung siehe Karlson 2012.
  2. So auch Niedersächsisches Geschlechterbuch Bd. 14, S. 490; BKD, S. 441 und Doering 1927, S. 34 sahen dort eine Auferstehung, die aber auf einer erhaltenen Photographie nicht zu finden ist.
  3. 19. November.
  4. Jacobs 1895, S. 353 mit Anm. 4.
  5. Ebd., S. 353 mit Anm. 3.
  6. Ebd., S. 353.
  7. Niedersächsisches Geschlechterbuch Bd. 14, S. 490.
  8. Ebd., S. 491.
  9. Ebd.
  10. Jacobs 1895, S. 353 mit Anm. 3; Niedersächsisches Geschlechterbuch Bd. 14, S. 494–496, bes. S. 495 f. IIb.
  11. BKD, S. 442; Pregla 2012, S. 12.
  12. Niedersächsisches Geschlechterbuch Bd. 14, S. 491.
  13. Ebd., S. 492.

Nachweise

  1. BKD, S. 441 f.
  2. Pregla 2012, S. 13 Abb. 11.
  3. Hans Fuhrmann/Cornelia Neustadt

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 239 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0023906.