Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 238(†) Städtisches Museum 1612, 1771

Beschreibung

Inschriftenplatte; ohne Inventarnummer; ehemals im Turmknopf des nördlichen Turms der Martinikirche;1) Kupfer; hochrechteckig, mit einem Gewicht von 3100 g; die Platte war beidseitig mit Inschriften versehen, auf der Vorderseite eine Historische Nachricht (A) aus dem Jahr 1612 „in sehr schöner und scharfer Gravierung“. Auf der Rückseite befand sich eine weitere Historische Nachricht (B) aus dem Jahr 1771 mit einem Zusatz aus dem Jahr 1902 (C).

Text nach Siebrecht.

Maße: H. 52 cm, B. 37 cm, T. 0,2 cm, Bu. –.

  1. A

    Ein Ernvester Undt Wolweiser Radt der Stadt Halberstadt hat Im Jhar nach Christi unseres Hern seligmachers und Erlösers gebürt. Ein Taüsendt sechshüdert Zwolffe montages Postgallis ist gewesen der neunhschende octobris2) dieses kleinen Thormsknooff Ihrer kirchen Sancti martini episcopi renoviren undt wieder ofsetzen Lassen ist geschehen bey Löblicher Regierung folgender beschriebener HernDes Hochwürdigen Dürchleuchtigen und Hochegeborenen Fürsten Und Hern Hern Heinrich July postulirten Bischoffes dieses Stiffts Halberstadt undt Hertzogen züe Braünschweigk und Lüneburgk. Des Hochwürdigen Dürchleüchtigen undt Hochgebornen Fürsten undt Hern Hern Philippi Sigismündi postulirten Bischoffes Der Stiffte osnabrück undt vehrden Domprobsten dieses Stiffts Halberstadt und Herzogen züe Braünschweigk undt Lüneburgk.Des Ehrwürdigen Edlen undt Ernvesten Matthias von oppen Domdechanden undt Portanarien der hohen Bischofflichen Kirchen allhie. Undt dan ferner Eines Ernvesten undt wolweisen Radts des Hern Andreas Sisenisen bey der Rechten ligentiaten und Regierenden Bürgermeisters Frantz Meschman. – Arnoldt Meyer. – beyden Reitenden Borgermeistern Hans Alsleben. Bürchardt Hartmann – großen Kemmerern Bastian Boleman – Rüdolf Büsekiste – Müntzhern Esaias wülff, Henrich wefer – Klein kemmerers Daniel Retzman, benedictus meyer – Zinshern Christian Scheüren, Zacharias oppermann – Stadt Syndici

    H. W. 1612 M. Melcher Marckert 
     Schiverdecker 
  2. B

    Da im Jahre 1771 an den kleinern St. Martini Kirchthurm, durch einen starcken und einem Erdbebengleichenden Windsturm großer Schaden geschehen ist, dem durch eine kostbahre Reparatur abgeholfen werden müssen und dabey verspüret worden, daß auch der Knopf sehr durchlöchert gewesen, so ist derselbe ebenfalls mit ausgebessert worden, und waren zu der Zeit am Rathe:1. Bernhard Widela, Consul dirigens2. Benjamin Lieberkühn, Proconsul3. Heimbertus Lehmann, Judex4. Friedericus Bollmann, Syndicus et Secretarius5. Christian Gottlieb Raetzel, erster Camerarius6. Friederich Herman Lucan. D(octor)a) : Medicinae und 2ter Camerarius7. Johann Gottlieb Küster8. Christian Andreas Bodenstein9. Andreas Rosemeier10. Carl Matthias Rosenthal Senatores11: August Wilhelm Lessmann RegistratorDieses Jahr war übrigens durchgängig theure und überall nahrlose Zeit: Gott nehme diese gute Stadt und Land in seine gnädige Vorsorge, und helffe die verfallene Nahrung wieder auf.Halberstadt, den 19ten Martii 1771

    M. Chr. Schmidt M. Glum 
    Kupfer-Schmidt Schiefferdecker 

  3. C

    Diese Platte befand sich von 1612 bis Oktober 1902 im Knopf des kleinen nördlichen Martinikirchturms.

Kommentar

Die Kupfertafel wurde nach Notizen von 1771 und 1902, die sich auf ihrer Rückseite befinden, im Turmknopf des nördlichen, kleineren Martinikirchturms gefunden.3) Dort heißt es inschriftlich, daß diese Tafel seit 1612 bzw. 1771 in dem Turmknopf eingeschlossen war und im Oktober 1902 dort entnommen wurde. Da sie anschließend nicht wieder zurückgelegt worden war, sondern anscheinend durch andere Dokumente ersetzt worden ist, entgingen auf diese Weise diese, wie acht weitere Inschriftenplatten aus Blei (siehe dazu Nr. 166) der Vernichtung durch den alliierten Bombenangriff am 8. April 1945. Offensichtlich blieb die Kupferplatte wie die übrigen im Städtischen Museum erhalten und wurde in den fünziger Jahren, nach der Chronologie von Ernst Siebrecht wohl 1955, von Mitarbeitern der Einrichtung wieder aufgefunden und von Letzterem 1964 publiziert. Mittlerweile ist sie leider verschollen.

Nach dem Text der Inschrift A hatte der Rat den Turmknauf des nördlichen Turms erneuern und wieder auf die Turmspitze aufsetzen lassen. Ein Grund für die Zerstörung oder Beschädigung des Knaufs, ob durch ein Unglück oder nur altershalber, wird nicht erwähnt. Im Jahr 1771 hingegen wird auf einen Sturm als Ursache hingewiesen.

Das Formular der Historischen Nachricht im Turmknopf nennt neben dem Landesherrn, Bischof Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg,4) seinen Bruder, Philipp Sigismund,5) der selbst Bischof der Hochstifte Osnabrück und Verden war, gleichzeitig auch Dompropst des Halberstädter Domkapitels und den Dekan dieser Institution, Matthias von Oppen.6) Diese Angaben dienten nur der zeitlichen bzw. politischen Einordnung. Als Vertreter der Stadt werden die Verantwortlichen genannt, nach dem Regierenden Bürgermeister Andreas Zisenise7) die beiden Reitenden Bürgermeister Frantz Meschman und Arnold Meier.8) Die Reitenden Bürgermeister gehörten wohl nach Boettcher zu den beiden Rydeheren, unbesoldeten Beamten, die die Außenbeziehungen der Stadt pflegten und die das Bürgerheer befehligten.9) Die Reihe wird durch die Vertreter in den weiteren städtischen Ämtern, den Großen Kämmerern Hans Alsleben10) und Burchardt Hartmann,11) fortgesetzt, nennt die Münzherren Bastian Boleman und Rudolf Busekiste,12) die Kleinen Kämmerer Esaias Wulff und Heinrich Wefer sowie die beiden Zinsherren Daniel Retzman und Benedikt Meyer und schließt mit dem Stadtsyndicus Zacharias Oppermann. Als ausführender Handwerker ist zuletzt der Name des Schieferdeckermeisters Melcher Marckert genannt.

Textkritischer Apparat

  1. Doctor] Gekürzt durch einen nachfolgenden Doppelpunkt; D: Siebrecht.

Anmerkungen

  1. Diese wie die folgenden Ausführungen samt dem Zitat und den Maßangaben nach Siebrecht 1964, S. 228.
  2. 19./29. Oktober.
  3. Auch zum Folgenden Siebrecht 1964, S. 228.
  4. Siehe Nr. 164 (†), 192, 196, 233; siehe weiter DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 223, 225, 231, 236, 252, 258 †.
  5. Siehe Nr. 233.
  6. Siehe Nr. 192, 233; siehe auch DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 155, 231, 246, 248, 249, 252, 254 †, 255, 260 †, 273.
  7. Siehe Nr. 166 (als Ratsherr), 179 (als Kämmerer), Nr. 210 (als Bürgermeister).
  8. Diese beiden Namen werden in den Halberstädter Inschriften sonst nicht genannt. Ein Arndt Meier kommt unter den Halberstädter Brauberechtigten 1570 und 1571 vor, ein Konsul Meschman wird 1654 genannt; vgl. Bandau 1932, S. 37 f.
  9. Boettcher 1913, S. 240 f.
  10. Siehe Nr. 229; ein weiterer dieses Namens Nr. 206.
  11. Siehe Nr. 205. Zum Amt des Kämmerers Boettcher 1913, S. 241.
  12. Die beiden Münzherren ließen sich nicht in anderen Inschriften belegen. Ein Hans Bolmann braute 1547, 1553 und 1570; vgl. Bandau 1932, S. 20. Ein Henning Busekyste findet sich im Steuerverzeichnis von 1531; vgl. Magdeburg, LHASA , Cop. 571, fol. 45r und v. Ebenso ließen sich die Kleinen Kämmerer und die Zinsherren nicht namentlich belegen; zu den Ämtern siehe Boettcher 1913, S. 240 f. Auch die Namen des Stadtsyndicus und des ausführenden Schieferdeckers waren nicht ermittelbar.

Nachweise

  1. Siebrecht 1964, S. 228 f.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 238(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0023802.