Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 189 Hoher Weg 1 1594

Beschreibung

Fachwerkhaus „Kulkmühle“; traufenständig, zweistöckig mit vorkragendem Obergeschoß, von 12 Gefachen einschl. zurückgesetztem südlichen Anbau; die Füllhölzer des Schwellbalkens mit Schnürrollenornamentik verziert, die Brüstungszone mit Blendarkaden geschmückt und oben von einem Zahnschnittfries abgeschlossen, weiteren Schmuck bilden Rosetten, sechsstrahlige Sterne, verschiedene Symbole wie Drudenfuß, Tatzenkreuz usw., farbig gefaßt, auf dem Schwellbalken einzeilig erhaben in zeilenhoch eingetieftem Inschriftenfeld die vielleicht anläßlich des Richtfestes angebrachte Bauinschrift mit Datumsangabe (B) und die Paraphrase der Eingangsverse eines Kirchenliedes (C), über dem Türsturz an der südlichen Giebelseite begleitet vom Halberstädter Stadtwappen die Datierung (A), ehemals durch „rothe Farbe hervorgehoben“,1) heute weiß auf schwarzem Grund.

Maße: H. ca. 800 cm (A), B. ca. 20 cm (A), T. ca. 20 cm (A), Bu. ca. 9–10 cm (A).

Schriftart(en): Kapitalis (B, C), gotischeMinuskel mit Frakturversalien (A).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/7]

  1. A

    Anno domini 1594 Den 12 Juny

  2. B

    ANNOa) 1594 DEN 26 IVNIIb) HAT EIN ERBAR WOLWEISER RATH DIESE MVHLLE AVFS NEWE ERBAWEN VND RICHTEN LASSEN

  3. C

    GIB VNS O HERR DAS TEGLICH BRODT BEHVTH VNS FVR FEVR VND WASSERS NOT2)

Versmaß: Deutscher Reimvers (C).

Wappen:
Stadt Halberstadt3)

Kommentar

Die gotische Minuskel der Inschrift A ist unauffällig. Der Versal ist in Fraktur gebildet, ein vereinzeltes d weist in diese Richtung. Die Inschrift B ist teilweise in scriptura continua angebracht. In den Inschriften B und C zeigt das spitze A einen leicht nach links überstehenden Deckbalken. Der untere Bogen des B ein wenig größer als der obere. I weist in der Mitte des Schafts einen Nodus nach rechts auf. N ist durchweg retrograd gestaltet. Es kommt ausschließlich spitzes V vor, und W besteht aus zwei verschränkten spitzen V.

Nach Scheffer zeigt sich in den Inschriften B und C zum ersten Mal in Halberstadt „reines, correktes Hochdeutsch“, worauf er versucht war, auf eine um ein Jahrhundert verzögerte Anbringung zu schließen und annahm, daß man „die alte Inschrift dem Inhalte nach beibehalten habe“ und „nur die Form geändert“ habe. Anhand der heute noch erhaltenen Hausinschriften läßt sich das nicht verifizieren. Die Buchstaben selbst wirken nicht verdächtig. Der Türstock, der offenbar zwei Wochen früher beschriftet wurde, zeigt eine unauffällige gotische Minuskel. Die Kapitalis der Inschrift B, die vielleicht anläßlich eines Richtfestes angebracht worden war, fügt sich in die Zeit. Auf „recht fröhliche Feier[n]“ bei dieser Gelegenheit weisen Quellen des 16. Jahrhunderts hin.4) Der Text der Inschrift C beruht wohl auf einer Abänderung der ersten Strophe eines Kirchenliedes von Nikolaus Herman (1480–1561).5)

Textkritischer Apparat

  1. ANNO] Sämtliche N in Inschrift B und C retrograd.
  2. IVNII] Juni Scheffer.

Anmerkungen

  1. Scheffer 1864, S. 19.
  2. Paraphrase des Eingangsverses eines Kirchenliedes; vgl. Wackernagel Bd. 3, Nr. 1434 S. 1228 „Bescher uns, Herr, das teglich Brot / fur thewrung und fur hungers not / Behüt uns durch dein lieben Son, / Gott Vater in dem höchsten Thron.“
  3. Siebmacher St, S. 144 mit Taf. 175.
  4. Dirlmeier 1991, S. 360; Reith 1999, S. 116.
  5. Zu Nikolaus Herman siehe BBKL, Bd. 2, Sp. 747 f. (Friedrich Wilhelm Bautz).

Nachweise

  1. Scheffer 1884, S. 19 (A, B).
  2. Arndt 1910 a, S. 101.
  3. Spohr 1926, S. 39.
  4. Kunze 2001, S. 31 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 189 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0018901.