Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 92 Liebfrauen 1524

Beschreibung

Grabplatte für den Seniorkommissarius Johannes Müller;1) an der Nordwand des Langhauses als neunte Platte von Osten auf 25 cm hohem Steinsockel; Sandstein, hell; ein diagonaler, heute verfugter Riß teilt die Platte, Ausbrüche an der oberen und rechten Kante, Abplatzungen im Innenfeld, Schriftverlust; Relief, im Innenfeld unter einer Rankenarchitektur frontal stehend ein Kleriker in Birett, Kasel, Dalmatika und Albe gekleidet, mit der Linken den Schaft eines Kelches umfassend, die heute zerstörte Rechte ehemals segnend davor haltend, am Rand umlaufend, durch fein eingehauene Linien vom Innenfeld abgetrennt, einzeilig eingehauen der Sterbevermerk. Wenn ein Wappen in der linken unteren Ecke der Platte vorhanden war, dann ist es heute nicht mehr erkennbar.

Maße: H. 185,5 cm, B. 100 cm, T. 20 cm, Bu. 8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien in gotischer Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. Anno d(omi)nia) [15]24b) [.....]a[.]t · / [.]v[..] martyc) obyt honorabil(is) d(omi)n(u)sd) io(hann)ese) mullerf) hui(us) eccl(es)ie / ad altare Cosme et damiani + / Com(m)issarius Seniorg) cuius a(n)i(m)a requiescath) i(n) pacei) amenj)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1524 [- - -] des März starb der ehrwürdige Herr Johannes Müller, Senior, Kommissarius am Altar des Cosmas und Damian in dieser Kirche. Seine Seele ruhe in Frieden, amen.

Kommentar

Die Schrift ist neben normalen Brechungen oft sehr spitz umgeknickt. Einzelne Schaftenden sind zu Quadrangeln reduziert. Sonst schließen die Ober- und Unterlängen mit Serifen. Das a kommt in zwei unterschiedlichen Formen vor. Zum einen ist das doppelstöckige a zu sehen, in einer Variante, beschränkt auf die untere und linke Schriftleiste, finden wir das kastenförmige, unten offene a. Die aufgelösten Bögen des b und d werden sehr weit nach oben geführt, ehe sie umgebrochen werden. Ähnliches gilt für denjenigen des h. Der obere Bogenabschnitt des c ist sehr stumpf gebrochen, der rechte Teil des oberen Bogenabschnitts des e hingegen sehr spitz. Der Balken fehlt meistens. Der Schaft des l endet oben stumpf.

Die Fahne des r kommt nur als isoliert stehendes Quadrangel vor. Die beiden Bögen des s haben keinerlei Verbindung miteinander. Der Balken des t weist nur nach rechts. Die Schrift auf der unteren Leiste, von ecclesie bis damiani stammt vermutlich von anderer Hand. Die Strichstärke der Buchstaben ist breiter. Hier kommt bis auf eine Ausnahme das kastenförmige a vor. Der Bogen des e verläuft eher etwas gerundet als gebrochen. Das Majuskel-C ist aus zwei Bögen zusammengesetzt. Während der obere Teil gebrochen ist und eckig wirkt, ist der untere gerundet. Die beiden Bögen des nur fragmentarisch erhaltenen S sind beide stark gerundet. Aus einem Werkstattzusammenhang scheinen diese Grabplatte gemeinsam mit der mit Nr. 111 bezeichneten und – abgesehen von der Schrift – Nr. 118 zu stammen und sind mit dem Notnamen Werkstatt H6 der Halberstädter Grabplatten benannt worden.

Der Allerweltsname Johannes Müller bzw. latinisiert Molitor findet sich zeitnah in den Jahren 1519 und 1521, als jeweils ein Kleriker Johannes Müller als Zeuge in Urkunden des Paulsstiftes vorkommt.2) Damit ist jedoch nicht gesagt, daß es sich um eben jenen Seniorkommissar und Pleban des Altars St. Cosmas und Damian in der Liebfrauenkirche gehandelt hat. Um den kaiserlich bestallten öffentlichen Notar Johannes Müller (Molitor) kann es sich dabei nicht gehandelt haben, denn dieser lebte noch 1525 und kopierte und beglaubigte damals eine Reihe von Urkunden des Johannesstifts, die bis vor die Mitte des 12. Jahrhunderts zurückreichten.3)

Textkritischer Apparat

  1. Anno domini] Die Buchstaben noch ansatzweise entzifferbar.
  2. 1524] Stark beschädigt. Ergänzt nach Doering, der die Jahreszahl offensichtlich noch vollständig lesen konnte; vgl. BKD, S. 351 Nr. 7.
  3. marty] Lesung unsicher.
  4. dominus] Die beiden letzten Buchstaben beschädigt.
  5. iohannes] Sämtliche Buchstaben beschädigt.
  6. muller] Vielleicht war das u mit einem übergeschriebenen e versehen, so daß der Umlaut gelesen werden kann: müller.
  7. Senior] Sämtliche Buchstaben beschädigt.
  8. requiescat] Sämtliche Buchstaben beschädigt.
  9. pace] Sämtliche Buchstaben beschädigt.
  10. amen] Die ersten drei Buchstaben beschädigt.

Anmerkungen

  1. Vgl. BKD, S. 351 Nr. 7.
  2. UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 407 S. 531, Nr. 415 S. 533.
  3. UB St. Johann, Register S. 621.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 92 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0009201.