Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 62(†) Liebfrauen 4. V. 15. Jh.?

Beschreibung

Metallteile des Grabdenkmals Bischof Rudolphs I. († 1149); im Chorquadrat auf 25,5 cm hohem Steinsockel; ehemals von einem eisernen Gitter umgeben;1) Metall (Bronze oder Messing); Hochrelief, fast freiplastisch, die auf einer sechseckigen Konsole stehende Figur ist gut erhalten, die Inschriftenleiste einschließlich der Evangelistensymbole im 19. Jahrhundert erneuert bzw. nachempfunden, vier Löcher an den Rändern dienten zur Befestigung der Skulptur auf einem Träger; der Bischof, bekleidet mit Mitra, Amikt, Kasel, Manipel, Stola, Dalmatika und Albe, die behandschuhte Rechte zum Friedensgruß erhoben, hält in der Linken das (erneuerte) Pedum, heute am Rand umgeben von der modernen Grabschrift, deren Entstehungszeit und -geschichte nicht mehr genau nachvollziehbar sind. Die erhaltene, zweizeilig erhaben ausgeführte, moderne Inschrift in zeilenhoch eingetieften Inschriftenleisten wird unterbrochen durch die Evangelistensymbole und beginnt am unteren Ende der linken Seite.2) Die Entstehungszeit der historischen Grabbezeugung läßt sich nur annähernd einschätzen.

Text Abel 1754 nach Leuckfeld 1721.3)

Maße: H. 163,5 cm, B. 73 cm, T. 26,3 cm, Bu. 6,3 cm.

Schriftart(en): Moderne Unziale.

  1. Hoca) in loco S(anctae)b) memoriaea) sepultum est corpus Rodolphic) quondam Episcopi Halberstadensis renovatoris huius ecclesiaed) Anno Dominie) MCXLVIIIIf) . secundo Non(as)g) Octobris4) eiush) anima requiescati) in pace . Amenj) .

Übersetzung:

An diesem Ort heiligen Gedenkens ist beigesetzt worden der Leichnam Rudolphs, des einstigen Bischofs von Halberstadt, Erneuerers dieser Kirche, im Jahre des Herrn 1149 an den zweiten Nonen des Oktober.4) Seine Seele ruhe in Frieden, Amen.

Kommentar

Bischof Rudolph von Halberstadt (1136–1149) ist nach einer zwiespältigen und nicht anerkannten Bischofswahl im Frühherbst 1135 auf Geheiß Kaiser Lothars III. am 1. März in der Goslarer Pfalz gewählt und am 12. April in Erfurt durch den Mainzer Erzbischof geweiht worden.5) Er betrieb eine Ausgleichspolitik zwischen den Ansprüchen von Bistum und Reich.6) 1138 entschied er sich „als einziger geistlicher Fürst Ostsachsens“ reichspolitisch für den Staufer Konrad III.7) Er förderte während seiner Amtszeit sowohl Stifte als auch den Regularklerus der Diözese; zusammen mit der Quedlinburger Äbtissin Beatrix gilt er als Gründer des Klosters Michaelstein.8) Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt ließ er von Grund auf erneuern und weihte sie im Jahr 1146.9) In dieser Kirche wurde er begraben.10)

Die Metallteile der Grabplatte gehören nicht zusammen. Die heutige Inschrift wurde im 19. Jahrhundert nachempfunden.11) Über die Figur, von der schon Leuckfeld und Haber berichten,12) gehen die Meinungen weit auseinander. Lentz vermutete – sich auf die inkorrekte Jahreszahl Habers „quadricentesimo VII“ beziehend – „die Inscription ist aber von F. Rudolphi II. von Anhalt [er pontifzierte von 1401 bis 1406, Anm. d. Bearb.] Sterbe=Zeit [obwohl auch unrichtig, Anm. d. Bearb.] genommen worden“.13) Abel glaubt, sie sei „erst nach vielen Jahren“ [d. h. viele Jahre nach dem Tod Rudolphs 1149, Anm. d. Bearb.] zu Ehren Bischof Rudolphs gemacht worden.14) Lucanus nahm an, sie sei wie „Arnulphs Grabplatte ... erst um 1372 ... gegossen“ (vgl. dazu Nr. 14 †).15) Scheffer meint, daß es „nicht mehr die alte Grabplatte sei“, sondern eine Nachbildung des 19. Jahrhunderts.16) Elis wiederum glaubt, daß die Figur aus dem 15. Jahrhundert stamme, Doering nimmt für die Figur eine Entstehungszeit im 16. Jahrhundert an.17) Die jüngste diesbezügliche Forschung nimmt eine Entstehung um die Mitte 15. bzw. im 3. Viertel des 15. Jahrhunderts an.18) Niemann schrieb übrigens zuerst, daß die Figur „nicht in Lebensgröße“ abgebildet ist.19) Gegen eine Entstehung im späten Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit kann man die Kleidung des Dargestellten anführen. Die Kasel und die Dalmatika, die der Bischof trägt, sind ungewöhnlich kurz für eine Entstehungszeit im 15. oder im 16. Jahrhundert. Es war nicht möglich, Vergleichsbeispiele aus dem entsprechenden Zeitraum beizubringen. Ein letztes Urteil über den Guß zu erlangen, dürfte schwierig sein. Aus den Fundumständen schließt Doering, daß „Bischof Rudolf fern von der Heimat gestorben und in der beschriebenen Conservierung in diese wieder zurückbefördert ist.“20) Der Hinweis im Text der Inschrift, daß der Bischof am Ort seiner Memoria begraben war, spricht für ein unauffälliges ursprüngliches Grab und eine Erneuerung aus Pietät und zur Aufwertung seines Totengedenkens in späterer Zeit.21)

Textkritischer Apparat

  1. Hoc–memoriae] Dieser Textteil fehlt bei Leuckfeldt 1710b (statt dessen stehen ein lateinisches Kreuz und drei Striche); Leuckfeld 1721, Haber, Lentz, Lucanus 1805, Nieter, Lucanus 1848, Scheffer, Mülverstedt, Elis, BKD, Wäß.
  2. Sanctae] Kürzung durch einen nachgestellten Punkt auf der Grundlinie. Die Auflösung nach Derling. Es wäre jedoch auch die Auflösung suae memoriae für „seines Gedenkens“ möglich.
  3. Rodolphi] Rudolphi Haber, Lentz, Derling, Nieter, Lucanus 1848, Scheffer; Rudolfi Lucanus 1805, Mülverstedt, Elis, BKD, Wäß.
  4. ecclesiae] ecclesia Wäß.
  5. Domini] C. BKD, Wäß.
  6. MCXLVIIII] MCXLVII Leuckfeld 1710 b, Scheffer, Elis 1886. quadricentesimo VII Haber, Lucanus 1848; ducentesimo quadragesimo septimo Derling; MCXLIX Lucanus 1805, Nieter, Mülverstedt; MLXLVII BKD; MCXLVII Wäß.
  7. secundo Nonas] Mens(e) Haber, Lucanus 1848, Scheffer, Elis, BKD, Wäß.
  8. eius] cujus Leuckfeld 1710 b, Leuckfeld 1721, Haber, Lentz, Derling, Lucanus 1805, Nieter, Lucanus 1848, Scheffer, Mülverstedt, Elis, BKD, Wäß.
  9. requiescat] requiescet Lucanus 1848; requiscat Wäß.
  10. Amen] Fehlt Derling.

Anmerkungen

  1. Nieter 1812, S. 31. Zu den Grabungen und den Fundumständen des Grabes Bischof Rudolphs Doering 1899, S. 121 f.
  2. Die im 19. Jahrhundert hergestellte und angebrachte Inschrift lautet: SEPULTUM EST CORPUS // RUDOLFI // QUONDAM EPISC(OPI) HALBERST(ADENSIS) // RENOVATORIS / HUIUS ECCLESIAE ANNO D(OMINI) MCXLVII MENSE // OCTOBRIS // CUIUS ANIMA REQUIESCAT IN PACE // AMEN. Diese Inschrift mit einigen Abweichungen auch voneinander BKD, S. 353 f. und Wäß 2006, S. 259.
  3. Der Text wird hier nach Leuckfeld 1721 mit dem von Abel und Derling gebrachten Zusatz als lectio difficilior ediert. Unberücksichtigt bleibt die älteste bekannte Edition des Textes, die von Leuckfeld 1710 b geboten wurde. Diese Lesung hat zwar am Anfang graphische Zeichen, die als Stellvertreter für eine Auslassung gedeutet werden könnten, ist jedoch, wie von Abel bemerkt, hinsichtlich des Todesjahres ungenau, stimmt aber auch bezüglich der einleitenden Worte, die auch bei Leuckfeld 1721 fehlen, nicht exakt mit dem von Abel wiedergegebenen Text überein.
  4. 6. Oktober 1149.
  5. Vgl. Bogumil 1972, S. 228 f.; Averkorn 1997, S. 15; Meier 1967, Nr. 256 S. 324 f.; Fritsch 1913, S. 71–79; Boettcher 1913, S. 54 f.; vgl. dazu auch DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 9 † und Fuhrmann 2010, S. 136 f.
  6. Siehe dazu Bogumil 1972, S. 228–234; Averkorn 1997, S. 15 f.; Boettcher 1913, S. 54–57.
  7. Bogumil 1972, S. 233.
  8. UBHH Bd. 1, Nr. 226 f. S. 193–196; Averkorn 1997, S. 16; Boettcher 1913, S. 65.
  9. GEH, S. 107.
  10. Ebd.; vgl. auch Päffgen 2006, S. 237 f.
  11. Niemann 1824, S. 50 bemerkt als erster, daß die ursprüngliche Inschrift fehlt. So auch Quast 1845, S. 218. Lucanus 1848 fügt hinzu, daß auch der Bischofsstab fehlt. Scheffer 1864, S. 48 nennt die Umschrift so, wie sie das Denkmal auch heute noch zeigt: also mit ausschließlich rundem U, der Namensform RUDOLFI, unkorrekter Jahreszahl und durch nachstehenden Punkt gekürztem D für D(omini). Demnach dürfte sie nach 1848 und vor 1864 entstanden sein.
  12. Leuckfeld 1721, S. 56; Haber 1737, S. 8.
  13. Lentz 1749, S. 81.
  14. Abel 1754, S. 223 f.
  15. Lucanus 1848, S. 21.
  16. Scheffer 1864, S. 49.
  17. Elis 1886, S. 4; BKD, S. 353; Doering 1927, S. 26.
  18. Dehio Sachsen-Anhalt I, S. 332; Findeisen 1996, S. 25.
  19. Niemann 1824, S. 50.
  20. Doering 1899, S. 122.
  21. Z. B. durch Erzbischof Ernst von Sachsen; vgl. dazu DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 114 (†) bei und mit Anm. 25; Fuhrmann 2002a, S. 203 mit Anm. 1 und S. 213 mit Anm. 109; Neugebauer/Brandl 2012, S. 49 f.

Nachweise

  1. Leuckfeld 1710 b, S. 20 Anm. (x).
  2. Leuckfeld 1721, S. 56 Anm. (d).
  3. Haber 1737, S. 8.
  4. Lentz 1749, S. 81.
  5. Abel 1754, S. 223 f.
  6. Derling 1756, S. 3 (unpaginiert).
  7. Lucanus 1805, S. 58.
  8. Nieter 1812, S. 31.
  9. Lucanus 1848, S. 21.
  10. Scheffer 1864, S. 48.
  11. Mülverstedt 1871 a, S. 409 Anm. 4.
  12. Elis 1886, S. 4.
  13. BKD, S. 353 f.
  14. Wäß 2006, S. 259.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 62(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0006208.