Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 60 Städtisches Museum E. 15. Jh.

Beschreibung

Zwei Tafeln eines Flügelaltars; Herkunft unbekannt; Holz, Farbe; beide mit goldenem trassierten Hintergrund, gut erhalten, nur an den Rändern bestoßen. Die Tafeln zeigen Szenen aus dem Leben der beiden Johannes: Tafel I stellt die Selbstbestattung Johannes des Evangelisten dar. Linksmittig Johannes in priesterlichem Gewand in dem von ihm ausgehobenen Grab, die Hände im Gebetsgestus erhoben. Rechts hinter ihm auf einem Altar stehen noch liturgisches Gerät und ein Retabel, das wohl eine Mariendarstellung enthält. Oben links im Bild – rechter Hand des Evangelisten – Christus als Halbfigur, mit der rechten Hand auf ein Schriftband (A) zeigend. Ein zweites Schriftband (B) befindet sich links von Johannes. Am unteren linken Rand des Bildes eine Pflanze, wohl eine weiß blühende Akelei. Auf Tafel II eine Szene aus dem Leben Johannes' des Täufers, der barfüßig, einen roten Mantel über das härene Gewand geworfen, ein geöffnetes Buch auf dem Schoß, links im Bild sitzt. Von rechts kommen die Abgesandten der Jerusalemer Priesterschaft in kostbaren Gewändern. Ein Spruchband (C) befindet sich zwischen diesen und Johannes, der auf ein zweites über ihm befindliches (D) weist. Die Schrift auf den Spruchbändern ist jeweils braun auf Weiß gemalt; der heutige Zustand ist das Ergebnis umfassender Restaurierungen.1)

Maße: H. 60,5 cm (I), 60,3 cm (II), B. 34,5 cm, T. 1,5 cm (I), 1 cm (II), Bu. 2,3 cm (I), 2,5 cm (II).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit einem Versal der gotischen Majuskel.

Halberstadt, das erste Bistum Mitteldeutschlands, Halberstadt 2004, Abb. VI.1. [1/1]

  1. A

    · ueni · ad · me · q(uia) · iea)2)

  2. B

    tu · d(omi)ne · eccl(esi)a(m) · q(uam) · edib) · p(ro)regec)3)

  3. C

    · Tu · quis · es · ioh(annis) · io4)

  4. D

    · ego · uox · clama(n)t(is) · ysa(ia)s · 405)

Übersetzung:

A: Komm zu mir, weil [es Zeit ist]. B: Du, Herr, beschütze die Kirche, die du hervorgebracht hast. C: Wer bist du? Johannis (im) ersten. D: Ich (bin) die rufende Stimme. Jesaja 40.

Kommentar

Die gotische Minuskel der Inschriften weist eindeutige Ober- und Unterlängen auf. Das Majuskel-T, das am Anfang von Inschrift C steht, besitzt sowohl einen Bogen als auch einen nach links gebogenen, kurzen Schaft. Der obere Bogen des doppelstöckigen a ist immer offen, ebenso der von d. Der Balken von e ist zu einem steil rechtsschräg verlaufenden Strich reduziert, nach unten rechts umgebogen. Aufgrund dieses Merkmales ließe sich die Schrift ungefähr ab der zweiten Hälfte des 15. Jh. einordnen. Die Inschriften sind jedoch durch Restaurierungen überformt, so daß der originale Zustand nicht ganz sicher zu eruieren und die Datierung auf dieser Grundlage problematisch ist. Die Kürzungen sind alle durch Zeichen angegeben. Als Worttrenner fungieren bisweilen sehr reduzierte Quadrangel mit Zierstrichen oben und unten, deren Enden eingerollt sind. Die arabische Ziffer in C unterscheidet sich nicht von i. In D erscheint die schlingenförmige 4.

Die Szene in Tafel I ist mit einigen Abwandlungen den Lesungen zum Festtag des Evangelisten Johannes (27. Dezember) entnommen, wie sie in dem 1515 bei Jörg Stüchs in Nürnberg gedruckten Breviarium Halberstadense zu finden sind. In der für andere Stellen dieses Druckes möglicherweise als Vorlage dienenden Handschrift eines Breviariums des 15. Jahrhunderts fehlt jedoch im Winterteil die Ordnung für den Johannestag, so daß in diesem Fall kein Vergleich mit Druck oder Inschriften möglich ist.6) Die Darstellung auf der Tafel entspricht teilweise auch der Johanneslegende in der Legenda Aurea, in welcher der Text der Inschrift A ebenfalls zu finden ist.7) Der Spruch des Johannes basiert auf der vierten Lesung im Breviarium, welche die letzte Meßfeier des Johannes und das von ihm dazu gesprochene Gebet zum Gegenstand hat.8) Die Tafel verknüpft gleichsam drei Momente aus der Erzählung zum Johannestod.9) Tafel II gibt eine bekannte Szene aus dem Johannes-Evangelium wieder, dort sind auch die Texte der beiden Inschriften (C, D) zu finden. Der zweite Spruch auf dem Tafelbild enthält aufgrund des beigefügten Bibelverweises eine typologische Verknüpfung Johannes des Täufers mit dem Propheten Jesaja, wobei beide als Vorboten Christi angesehen werden.

Sowohl die Gestaltung des Hintergrundes als auch die Ausführung der Bilder legen eine Zusammengehörigkeit dieser beiden Tafeln nahe, die aufgrund der „erhaltene(n), aufwendig gearbeitete(n) Punzierungen des Goldhintergrundes“ „eine Datierung auf kurz nach 1500“ gestattet.10) Die Nähe der Zitate in Tafel I zu den Anfang des 16. Jahrhunderts in Halberstadt üblichen Lesungen zum Johannestag läßt wohl auf eine Herkunft aus der Diözese Halberstadt schließen. Eine Gegenüberstellung von Szenen aus den Leben der beiden Heiligen, die als Seitentafeln eines Altars dienen, findet sich z. B. auch auf einem Altar aus dem Dom, der dem Ende des 15. Jahrhunderts zugeordnet werden kann.11)

Textkritischer Apparat

  1. ie] Sic! Mit einem Kürzungsstrich darüber; vielleicht als te zu lesen und dann als tempus aufzulösen.
  2. edi] Sic! Wahrscheinlich zu erweitern zu edidisti; Kürzungszeichen fehlen jedoch.
  3. prorege] Sic! Wahrscheinlich zu lesen als protege; entweder noch Fehler des Malers oder späterer Restauratoren.

Anmerkungen

  1. Katalog Halberstadt 2004, S. 286 (U[ta] S[iebrecht]).
  2. Verkürzt nach Breviarium Halberstadense 1515, fol. XLIv (linke Sp.): „ Veni ad me quia tempus est ut in mensa mea cum tuis fratribus epuleris“; vgl. auch Legenda aurea, Bd. 1, cap. IX, V. 140: „Veni dilecte mi ad me ...“.
  3. Verkürzt und leicht verändert nach Breviarium Halberstadense 1515, fol. XLIIr (rechte Sp.): „ Tu domine iesu christe ecclesiam tuam quam fabricasti tibi misericordia tua protege.“
  4. Io 1,19.
  5. Io 1,23 nach Is 40,3; so auch Mt 3,3; Lc 3,4; vgl. auch CAO III, Nr. 2610.
  6. Vgl. Anm. 2 und 3; zum Druck des Breviarium Halberstadense und zur Handschrift des 15. Jh., vgl. auch DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 176. Sommer- und Winterteil (Stolberg-Wernigerode, Za 42 und 44) sind 2012 den Erben der Grafen von Stolberg restituiert worden.
  7. Vollständige Szene: Legenda aurea, Bd. 1, cap. IX, V. 139–149; vgl. Legenda aurea dt. Übers., S. 72.
  8. Siehe Anm. 3.
  9. Vgl. im Unterschied dazu die Fenster im Halberstädter Dom, bei denen letzte Messe und Tod in zwei unterschiedlichen Szenen dargestellt sind: Fitz 2003, S. 223 und Abb. 140, 141.
  10. Zit. nach Katalog Halberstadt 2004, S. 286 (U[ta] S[iebrecht]).
  11. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 122.

Nachweise

  1. Katalog Halberstadt 2004, Nr. VI, 1 und 2 S. 286 mit Abb. (U[ta] S[iebrecht]).

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 60 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0006004.