Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 58 Liebfrauen 1495?

Beschreibung

Grabdenkmal für Mitglieder der Familie von Dorstadt; an der Südwand des Langhauses; Sandstein, hell; Rand bestoßen, untere Hälfte durch Feuchtigkeit stark verwittert, Schriftverlust; Relief, im Inneren stehen, umgeben von einem profilierten Rahmen, unter einer von Säulen mit Kapitellen und Kämpferplatten getragenen Kielbogenarchitektur, die mit Fenstermaßwerk, Kriech- und Kreuzblumen verziert ist, frontal zwei Ritter in voller Rüstung mit Halsberge, Achselstücken, Plattenharnisch, Tonnenrock, Armzeug mit Meuseln und Muscheln, Deichlingen, Beinrohren und Eisenschuhen, jeweils mit einer Hand den mit der Spitze auf dem Boden stehenden Zweihänder um Knauf und/oder Parierstange fassend bzw. mit der anderen eine Spitze des nach außen geneigten Schildes haltend. Am Rand einzeilig umlaufend die eingehauenen, z. T. noch mit dunkler Paste ausgefüllten, in der oberen Zeile durch Kreuzblumen unterbrochenen Sterbevermerke.

Maße: H. 213,5 cm, B. 134 cm, T. 22 cm, Bu. 7,5–8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien in gotischer Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A(n)no · d(omi)ni · // M // ccc // xxviia) / o(biit)b) · stephanvs · va(n) dorstat · miles A(n)no d(omi)ni · M · ccccc) [............ / ..................] A(n)nod) · d(omi)nie) · Mf) / ccccxc[v]g) bar(t)ol(omei)h) · o(biit) · hansi) · va(n) · dorstatj)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1327 starb Stephanus van Dorstadt, Ritter. Im Jahre des Herrn 14[- - -]. Im Jahre des Herrn 1495 Bartholomäi1) starb Hans van Dorstadt.

Wappen:
Dorstadt2)

Kommentar

Die Schaftenden der Buchstaben sind etwas ungelenk und nicht immer gleichmäßig gebrochen. Es gibt kaum Ober- und Unterlängen. Als Worttrenner verwendete man Quadrangel. Kurze, breite Kürzungsstriche, an den Enden abgeschrägt, wurden auf dem Rand eingehauen. Beide Hasten des flachgedeckten A sind leicht nach links durchgebogen. Die linke ist außen mit einer tropfenförmigen Bogenschwellung versehen, die rechte unten sehr breit gespalten, so daß ein Basisstrich daraus entsteht. Der lange, schmale Deckstrich wird an den Enden nach oben umgebogen. Das symmetrische unziale M, dessen seitliche Bögen außen Bogenschwellungen zeigen, hat eine aus den vereinten Bögen entstandene Mittelhaste mit einem Querbalken statt eines Nodus in der Mitte. Der lange untere Abschlußstrich ist schmal und an beiden Enden nach unten umgebogen. Der linke untere Bogen und der obere Teil des rechten Bogens des a berühren einander nicht. Der obere Bogenabschnitt des c wird nur nach rechts umgeknickt und nicht gebrochen. Die Oberlänge des d ist kurz, dabei ist der Buchstabe schmal proportioniert. Der Balken des e wird als Zierstrich lotrecht nach unten geführt und am Ende nach rechts eingerollt. Keine Verbindung zum Schaft hat der Bogen des h. Bogen und Schaft des p berühren sich nur am unteren Ende. Die kurze, spitz auslaufende untere Schaftspitze ist in die Mitte gerutscht. Die Fahne des r ist als Quadrangel über den Schaft gestellt. Vollständig gebrochen sind die beiden Bögen des s, dabei wird die untere Brechung zu Quadrangeln umgeformt. Gleich hohe Schäfte zeigt das v, die unteren Schaftenden werden zueinander hin gebrochen. Der Schaft des x wird von einem breiten kurzen Balken gekreuzt. Der schräglinke Schaft ist zu Quadrangeln aufgelöst, dessen in Strichstärke nach links unten verlaufendes Ende kreuzt Schaft und Balken und wird in Höhe der Grundlinie nach rechts umgebogen. Die Grabplatte stammt aus der Werkstatt H5 der Halberstädter Grabplatten, zu denen auch Nr. 70 und mit Einschränkungen Nr. 79 und Nr. 85 gehören könnten.

Das Grabdenkmal wurde vermutlich 1495 oder danach errichtet.3) Zwar sind in historisierender Weise zwei Ritter darauf abgebildet, jedoch scheint es für drei Mitglieder der Familie, die seit dem frühen 13. Jahrhundert in und um Halberstadt belegt ist,4) eingerichtet worden zu sein, wie aus den jeweils erneut beginnenden Sterbevermerken zu ersehen ist. Ein Stephanus von Dorstadt, der älteste in der Reihe, der 1327 gestorben sein soll, dessen Vorname neben Hans van Dorstadt in der Inschrift als einziger eindeutig zu entziffern ist, läßt sich nicht nachweisen. Nach dem Tode des Hans van Dorstadt erhielt sein Sohn Valentin, der 1492 an der Belagerung von Braunschweig teilgenommen hatte, dessen Güter verliehen.5) Valentin von Dorstadt, der vor 1506 VIII 22 gestorben war,6) käme also – neben möglichen Brüdern oder anderen Verwandten – als Stifter der Grabplatte in Frage, was u. U. auch den freigelassenen Raum an der linken Seite der Inschriftenleiste zur Anbringung eines eigenen Sterbevermerks erklären könnte. Die Grabplatte muß also nicht unbedingt im Jahr 1495, sondern könnte auch in den Jahren danach gestiftet und gefertigt worden sein. Gut einhundert Jahre nach der Entstehung des Grabmals findet sich auf der Grabplatte für Barbara von Dorstadt in der Liebfrauenkirche eine weitere Inschrift für ein Mitglied dieser Familie, das jedoch angeheiratet war.7) Ebenso hat sich in der Trillgasse eine Wappentafel für die Brüder Franz und Christoph von Dorstadt aus dem Jahr 1556 erhalten und in der Petrikirche in Emersleben befinden sich Epitaphien für drei Familienmitglieder des späten 16. Jahrhunderts.8)

Textkritischer Apparat

  1. Mcccxxvii] mcccxxiiii Wäß.
  2. obiit] Der geschwungene Kürzungsstrich etwas verrutscht.
  3. Mcccc] Die Buchstaben beschädigt.
  4. Anno] Die Buchstaben sehr verwittert und beschädigt.
  5. domini] Die Buchstaben sehr verwittert und beschädigt.
  6. M] Der Buchstabe kopfständig.
  7. ccccxcv] Vielleicht auch ccccxcii. Die Buchstaben sehr verwittert und beschädigt.
  8. bartolomei] Lesung unsicher; sua Wäß.
  9. hans] Der zweite Buchstabe beschädigt.
  10. dorstat] Es folgen ungefähr 80 Zentimeter, die nicht mit Schrift versehen waren.

Anmerkungen

  1. 24. August.
  2. Schild gelehnt, drei sitzende Bracken mit Halsbändern 2:1, das linke Wappen gewendet; vgl. Siebmacher AnhA, S. 15 mit Taf. 8; ebd. SaA, S. 38 mit Taf. 23 (Dorstadt III).
  3. BKD, S. 351 Nr. 1; Scheffer 1864, S. 49 behauptet, das Grabmal in der Liebfrauenkirche stamme aus dem Jahr 1227, führt jedoch keinen Beleg dafür an. Vermutlich handelt es sich um das Ergebnis eines Lesefehlers. Ebd., S. 15 eine Hausinschrift samt Wappen, die von Mitgliedern dieser Familie angebracht wurden; vgl. Nr. 135.
  4. UBHH Bd. 1, Nr. 499 S. 443 f.; ebd. Bd. 2, Register S. 630; ebd. Bd. 3, Register S. 673; ebd. Bd. 4, Register S. 641; UB S. Bonifacii et S. Pauli, Register S. 579; UB St. Johann, Register S. 584; UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Register S. 471.
  5. Hagen 1762, S. 37. Zur Belagerung von Braunschweig in den Jahren 1492/93 siehe die anschauliche Schilderung von Havemann 1837, S. 280–283.
  6. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 1051 S. 308 Anm.
  7. Vgl. Nr. 195.
  8. Vgl. Nr. 135, 153, 173, 182.

Nachweise

  1. Wäß 2006, S. 261.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 58 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0005804.