Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 54 St. Moritz 1488

Beschreibung

Leuchterkrone;1) in der Vierung; Metall (Bronze, Messing?); in den 1990er Jahren restauriert; der in Durchbruchsarbeit gefertigte Reif ist in drei durch Blüten und Maßwerk verzierte Zonen und in sechs Segmente eingeteilt, die jeweils durch einen Torturm bezeichnet sind. Die Baldachinarchitekturen in den von Kielbögen, Fialen und Kriechblumen bekrönten Türmen, vor welchen jeweils ein Leuchterhalter (mit Tropfschale) angebracht ist, sind heute leer. Darin sind jedoch noch Vierkante zum Aufstecken von Figuren vorhanden. Die Segmente des mittleren Bandes sind von jeweils 15 – insgesamt also 90 – Glassteinen in Kreuzblumenfassung geschmückt. Am oberen Rand werden sie von 12 Türmchen – zusammen mit den Tortürmen also 18 – und 18 mit Kriechblumen besetzten Giebeln bekrönt, mit letzteren ist je ein Kerzenhalter verbunden; ein Gestänge aus sechs Stäben dient als Halterung, an der ein weiteres zur Decke führendes Gestänge befestigt ist. Am unteren Schmuckreif zweizeilig in Durchbruchsarbeit der Herstellungsvermerk. Den unteren Abschluß bilden hängende Maßwerkbögen.

Maße: D. 230 cm, Bu. 3,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/3]

  1. anno · d(omi)ni · M · cccc · lxxxviii(us)a) · p(er)fe(c)tu(m) est / hoc op(us) · i(n) die s(an)c(t)eb) · margretec) · v(ir)g(in)is2)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1488 am Tag der Jungfrau Margarete2) ist dieses Werk vollendet worden.

Kommentar

Die Brechungen der aufgelösten Bögen sind ausgesprochen spitz ausgeführt. Ober- und Unterlängen sind nur wenig betont. Der obere Bogenabschnitt des c verläuft waagerecht wie ein Balken. Die Bögen des d sind aufgelöst und gebrochen. Der Schaft ist kurz und verläuft schräg. Nur vorsichtig gebrochen wurde das f. Der Querstrich sitzt sehr hoch und ist auch nur angedeutet. Der obere aufgelöste Bogenabschnitt des g wird weit über den Buchstabenkörper nach rechts geführt. Der Schaft ist nach rechts abgewinkelt und doppelt nach links gebrochen. Der untere Buchstabenteil ist geschlossen. Die Schaft- und Bogenenden sind zu Quadrangeln reduziert. Auch das obere Schaftende des i besteht aus einem Quadrangel. Oberer und unterer Bogenabschnitt des o sind sehr spitz ausgezogen. Der Bogen des p ist oblong, der Buchstabe hat fast keine Unterlänge. Nur in der angelehnten Form kommt r vor. Die Buchstabenenden sind stark quadrangelförmig. Mit einem Abschlußstrich ist das runde s versehen. Der Balken des t ragt kaum über den Schaft hinaus. Der linke Schrägschaft des x ist verstärkt und verläuft gerade, der rechte entsteht aus einem Quadrangel, ist dünner ausgeführt und hat einen Querbalken in der Mitte. Das M ist links geschlossen, gebrochen und verläuft rechts geschwungen. Als Worttrenner dienen in der Jahresangabe zu Stäben ausgezogene Quadrangel, im weiteren Text dreiblättrige Pflanzen.

Ornamentik und Zahlensymbolik weisen in eschatologischer Bedeutung auf den Mauerkranz des zwölftorigen Himmlischen Jerusalem und seine Übertragung auf das Kirchengebäude hin.3) Die Sechs als Anverwandlung des numerus perfectus enthält in ihrer Summe die Zahlen, durch die sie in ganze Zahlen geteilt werden kann, die Anzahl der Schöpfungstage, aus dem sich wieder Ableitungen wie Weltalter, Passion usw. ergeben. Die Zwölf als Verdoppelung der sechs und Anzahl der Apostel, die mit weiteren Bedeutungen wie der zwölf Stämme Israels, zwölf Propheten, zwölf Grundsteine Jerusalems, Anzahl der Monate des Jahres mit den Tierkreiszeichen und ebenso vielen Tagstunden und weiterem verbunden wird. Die Fünfzehn bezieht sich nach mittelalterlicher Vorstellung durch die Verbindung von der auf den Sabbat bezogenen Sieben und der Acht, die für die Auferstehung steht, auf die Verbindung von Gesetz und Gnade, die Zuordnung von Altem und Neuem Testament. Achtzehn ergibt sich durch die Verdreifachung der Sechs. Sie steht für die Zahlen des Gesetzes und der Auferstehung und gilt zugleich als Summe der Zahlen für das Gesetz des Alten und seine Erfüllung in der Gnade des Neuen Testaments. Die Vierundzwanzig verweist auf die Anzahl der Ältesten, die Bücher des Alten Testaments, die Stunden des Tages usw. Die Neunzig bezieht sich auf die Maßangabe, die in der Vision des Tempels des Propheten Ezechiel für die 90 Ellen des Tempels gerechnet wird. Auch im verwendeten Material wird die wie Gold, Edelstein und Glas leuchtende ewige Stadt wiedergegeben. Zu Stiftung und Funktion des Lichtgeräts ließen sich keine Nachrichten ausfindig machen.

Textkritischer Apparat

  1. lxxxviii(us)] Sic! Den Ziffern folgt eine durch nichts begründete us-Kürzung.
  2. sancte] ste BKD.
  3. margrete] Sic!

Anmerkungen

  1. Zur Form siehe auch BKD, S. 385 f.; Lüer 1904, S. 366 f.; Doering/Voß 1905, S. 27; Doering 1927, S. 34; vgl. auch die Lichtkronen Nr. 82; DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 118, 183 (†).
  2. 13. Juli 1488.
  3. Vgl. Apc 21,10–21. Siehe zu den jeweiligen Bedeutungen der Zahlen Sechs, Zwölf, Fünfzehn, Achtzehn, Vierundzwanzig, Neunzig, die sich auch auf die Zahlensymbolik von Tempel und Stadt Jerusalem beziehen Meyer/Suntrup 1987, Sp. 442–479, 620–645, 654–658, 664–668, 679–684, 778 f.; LexMa Bd. V, Sp. 28 f. (M[arion] Grams-Thieme); Lexikon der Kunst Bd. 3, S. 533 f.; siehe auch DI 31 (Kärnten 1), Nr. 28; DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 25. Lediglich die Anzahl der Tore ließ sich nicht exakt ins Bild setzen.

Nachweise

  1. BKD, S. 386.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 54 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0005406.