Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 47 Liebfrauen 1475

Beschreibung

Standleuchter; seit vor 1848 im Chor, ehemals zu Häupten des Grabes von Bischof Rudolph;1) Metall (Messing?); mehrfach gelötet, Schaftring mit Inschrift falsch montiert,2) sonst gut erhalten; dreiarmiger Leuchter in Form eines Baums, der mehrfach profilierte Standfuß, der von drei Löwen getragen wird, geht – sich verjüngend – in den Schaft über, der wiederum durch sieben Wirtel gegliedert ist, über dem fünften Schaftring zweigen die beiden seitlichen Leuchterarme ab, die von je drei Wirteln mit Blattansätzen unterteilt werden, über dem jeweils letzten Schaftring eine Tropfschale mit Dorn, graviert sind unterhalb der Verzweigung eine gekrönte Madonna mit Kind, beide eine Frucht in Händen haltend, darunter ein Wappen, nach unten anschließend ein Schaftring mit der einzeilig umlaufenden Jahresangabe (A), darunter eine Madonna, die das Kind mit beiden Händen hält, dann folgt das Meisterzeichen, darunter dann der mit Blattranken verzierte Standfuß, an dessen Rand einzeilig umlaufend der paraphrasierte Liedvers (B) folgt, am Schaftansatz darüber das Wappen mit dem Meisterzeichen.

Maße: H. 307 cm (mit Dorn ca. 320 cm), D. 69 cm (mit Löwen 80 cm), Bu. 2,1 cm (A), 3,8 cm (B).

Schriftart(en): GotischeMinuskel mit Versal in gotischer Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/21]

  1. A

    annoa) · d(omi)ni · Mo · cccco · lxxva) ·

  2. B

    · maria · du · geberes · eyn · sonb) · vnde · bleuest · ey(n) · rei(n)c) · matd) · maria · alle · dyn · leuent

Übersetzung:

A: Im Jahre des Herrn 1475. B: Maria, du gebärst einen Sohn und bleibst eine reine Magd dein ganzes Leben.

Wappen:
Block3)Meisterzeichen4)

Kommentar

Die meisten Buchstaben der Inschrift A berühren sich in den oberen Bereichen. Das a beginnt mit einem geschwungenen linken oberen Bogen über dem gebrochenen rechten. Das aufgelöste obere Bogenende des c verläuft waagerecht. Der Bogen des d wird aufgelöst und gebrochen, das aufgelöste rechte obere Bogenende ragt kaum über das linke hinaus. Am oberen linken Schaftrand des l zeigt sich ein rund-ovaler Knoten. Die linke Haste des x verläuft gerade, die rechte entwickelt sich aus einer Fahne, bleibt dünn und verläuft schräg. Das Majuskel-M hat einen fast geschlossenen linken Teil. Die Bögen sind aufgelöst. Der rechte Schaft ist leicht gerundet und endet auf der Grundlinie nach rechts und oben umgebogen und eingerollt. Als Worttrenner verwendete man Quadrangel. Die Buchstaben der Inschrift B sind stark gebrochen. Die Schaftenden wirken spitz. Die Buchstaben sind manchmal etwas gröber ausgeführt. Der Gesamteindruck ist jedoch gleichmäßig. Das untere Ende des oberen rechten Bogenabschnitts des e endet als dünnes Strichlein, das nach rechts leicht umgebogen wird. Die Bögen des g sind aufgelöst und gebrochen, im oberen Verlauf spitz. Ein Verbindungsstrichlein weist zum folgenden Buchstaben. Auch der Schaft ist gebrochen und durch einen Diagonalstrich abgeschlossen. Das obere Schaftende des l ist eingekerbt. An den Schaft des r ist als Fahne ein am Ende gerade nach unten ausgezogenes Quadrangel angefügt, das schließlich nach rechts umgebogen ist. Das runde s wird durch abschlußstrichartige Sporen geschlossen, die sich von der Mitte her zum Bogenende verjüngen. Als Worttrenner dienen ausgezogene Quadrangel und Blattornamente, teilweise in Kreuzform.

Den Leuchter hatte der spätere Dekan von Liebfrauen Dietrich Block noch als Scholaster gestiftet.5) Niemann und Scheffer nahmen aufgrund eines Versehens Niemanns an, daß der Dekan Heinrich Horn den Leuchter erworben habe, weil dieser bei Haber nur wenige Zeilen nach der Erwähnung von Dietrich Blocks Stiftung genannt wird. Horn hat jedoch 1475 wohl noch gar nicht gelebt.6)

Der Liedvers (B) am Leuchter gehört zu dem Vorläufer eines Kirchenlieds, das, 1587/88 zuerst aufgezeichnet, 1599 im Speyerischen Gesangbuch erschienen und 1609 textlich in protestantischem Sinne abgeändert, mit der Melodie von Michael Praetorius (1571–1621) verbunden in etlichen Varianten Allgemeingut ist. Es handelt sich um einen Vers der zweiten Strophe des Weihnachtsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“.7) Zurückgehend auf die Bibelstellen Is 11,1 und Lc 1,28–38 war der Gedanke schon seit dem 12. Jahrhundert in deutscher Dichtung in Form von Gebeten oder Liedern wiedergegeben worden.8)

Textkritischer Apparat

  1. anno-lxxv] Die Jahresangabe ist in vier Teile zerschnitten und in falscher Reihenfolge angebracht. Der erste Teil bis zum n des Wortes domini kopfstehend. Dann folgen die drei weiteren Teile in umgekehrter Reihenfolge, die letzten Teile der Zehnerziffern wieder kopfständig. Das zweite x durch den trennenden Schnitt beschädigt.
  2. son] con Scheffer.
  3. rein] rei Scheffer.
  4. mat] Der vordere Buchstabenteil des a fehlt; fehlt Haber, Niemann.

Anmerkungen

  1. Haber 1737, S. 8; Niemann 1824, S. 50; Lucanus 1848, S. 21; BKD, S. 345; erwähnt auch bei Lüer 1904 Bd. 1, S. 370.
  2. Zuerst von Scheffer 1864, S. 49 bemerkt.
  3. Ein schräggestellter, doppelt gestummelter Ast, oben und unten je ein Eichenblatt; die genaue Herkunft Blocks läßt sich nicht feststellen. Zwar gibt es einige ähnliche Wappenfiguren gleichnamiger adeliger Familien, die jedoch erst im 18. Jahrhundert zu diesem Titel gelangten und somit nicht in Frage kommen; das Wappen einer gleichnamigen preußischen Familie, für die Belege aus dem 14. Jahrhundert vorliegen, mit ähnlicher Wappenfigur dürfte ebenfalls nicht in Frage kommen; vgl. Siebmacher BrAE, S. 4 mit Taf. 2. Eine bürgerliche Abkunft scheint wahrscheinlicher. Das Wappen des gleichnamigen Dr. artium et medicinae, der Zeitgenosse war, aber ein wenig länger lebte, zeigt ein Wappen mit einer motivisch ähnlichen, jedoch nicht identischen Wappenfigur; siehe zu letzterem Siebmacher Bg8, S. 20 mit Taf. 22, DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 114 Anm. 10. Ob eine Verwandtschaft zwischen beiden bestand, ist ungewiß.
  4. Vgl. Tafel 62 Nr. 3.
  5. Haber 1737, S. 8; Elis 1886, S. 11; BKD, S. 345; siehe zu diesem Nr. 57 †. Auch Doering/Voß 1905, S. 27 erwähnen den Leuchter.
  6. Siehe zu Horn Nr. 128.
  7. Siehe zur Provenienzgeschichte Heinz 1986, S. 253–257. Die eigentlich zweite, hier die vierte Strophe einer älteren Fassung lautet: „Daß roßlein, daß ich meine / Als vns Jesaias sagt, / das ist Maria die reine / die uns das blümlein hat bracht / der Engel gab den rath / sie solt ein kindlein gebirn / vnd bleiben eine reine magt“; Kehrein 1859–1863 Bd. 2, Nr. 717 S. 690, siehe weiter ebd. Band 1, Nr. 118 S. 260; Wackernagel Bd. 2, Nr. 1153 S. 925; Gynz-Rekowski 1981, S. 34 f.; siehe auch die nur leicht abweichende Fassung der Niederschrift des Trierer Kartäuserfraters Conrad bei Heinz 1986, S. 264 Anm. 42.
  8. Vgl. z. B. das Arnsteiner Mariengebet von um 1150: „Sint du daz kint gebere / bit alle du were / luter unde reine / van manes gemeine“; Heinrich von Laufenberg (um 1390 bis 1460) „Es stot ein Lind in Himmelreich: Gegruosset siest maria / ein kron ob allen wiben / du solt ein kind geberen ja / und solt doch magt beliben“; Wackernagel Bd. 2, Nr. 789 S. 606; Haufe 1960, S. 26 f., 172 f. Siehe zur Geschichte des Liedes Geistliches Wunderhorn 2001, S. 135–145. Zu den biblischen Quellen und den liturgischen Grundlagen siehe Heinz 1986, S. 266–269, 280 f.

Nachweise

  1. Haber 1737, S. 8.
  2. Niemann 1824, S. 50.
  3. Scheffer 1864, S. 49, 55 mit Abb. No. 26 f.
  4. BKD, S. 345 f. mit Abb. 140 f.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 47 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0004701.