Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 44 St. Andreas um 1460

Beschreibung

Relief der Anbetung der Hl. Drei Könige; zusammen mit der 1945 schwer beschädigten,1) eigentlich nicht zu dieser Gruppe gehörenden Madonna mit Kind2) vom Hochaltar der Liebfrauenkirche stammend,3) seit vor 1848 auf einem Altar an der Wand des nördlichen Seitenschiffes,4) heute an der Westwand der Sakristei;5) Alabaster; farbig gefaßt, teilweise vergoldet, gut erhalten; vor einem von Engeln gehaltenen Vorhang hält die gekrönte Gottesmutter auf ihrem Schoße das stehende Jesuskind, das nach dem mit Goldmünzen gefüllten Behältnis in Händen des ersten, knienden Königs greift, der seine Krone zu Füßen Marias abgelegt hat. Der hinter ihm stehende König hält das Kästchen mit dem rot auf Weiß aufgemalten Buchstaben (A) in seiner Rechten und weist mit der Linken auf den Engel über ihm. Der dritte, schwarzhäutige König, der einen tief um die Hüften geschlungenen Schal wie einen Dusing trägt und einen Dolch an seiner Seite hat, hält in seiner Linken ein hornförmiges Gefäß. Joseph sitzt klein, mit seinem Krückstock in Händen rechts neben Maria. Im 18. Jahrhundert war darunter noch als Bildbeischrift die Spruchweisheit (B) zu lesen.

Text B nach Haber.

Maße: H. 30 cm, B. 49 cm, T. 9 cm, Bu. 0,9 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. A

    r

  2. B †

    Non mihi sed Nato

Übersetzung:

B: Nicht mir, sondern dem Sohn (Neugeborenen) [gelte eure Anbetung bzw. die Schätze].

Kommentar

Die Bedeutung der Inschrift A läßt sich nicht ermitteln. Nur eingeschränkt läßt sich Inschrift B entschlüsseln. Ähnliche Sprüche findet man in Devisen oder Merksprüchen. Hier bezieht sich der Text wohl auf den dargebotenen Schatz oder aber auf die Haltung zur Anbetung, die auch für die Gläubigen gelten soll. Eine ähnliche Spruchweisheit trägt auch ein Epitaph im Dom.6)

Es handelt sich wohl bei der Madonnenstatue und dem Alabasterrelief um ein- und dieselbe, in sich nicht zusammengehörige Figurengruppe, die sich noch 1824 in der Liebfrauenkirche befand.7) Dort hatte sie sich, wie Haber im Jahr 1737 schilderte, am Hauptaltar befunden, der vermutlich am Stipes oder auf der Mensa ein Gemälde des Abendmahls von Theodoor (Roderich, Dirk, Thierry) Stopp (1610?–1686) trug.8) Darüber, „in der mittelen Erhöhung“9) befand sich die Skulptur der Madonna mit dem Kind und darunter die Gruppe mit den Heiligen Drei Königen.10) Der dritte, nächsthöhere Teil des Altars zeigte als Gemälde die Kreuzigung und der oberste die Auferstehung. Wenn Uffenbach zwar die Kreuzigung des Hochaltars von Liebfrauen als von Alabaster beschreibt, hat er aber vermutlich nur Gemälde und Skulpturen verwechselt.11) Niemann gibt im Jahr 1824 eine eigenständige Beschreibung des Altars, die derjenigen Habers entspricht.12) Elis verweist wie nach ihm Doering bei der Behandlung der Skulpturen der Liebfrauenkirche bzgl. der Madonnenstatue auf die Andreaskirche.13) Doering greift jedoch an entsprechender Stelle zur Andreaskirche das Thema nicht mehr auf, sondern vermutet, das dort behandelte „marmorne“ Marienbild14) könne identisch sein mit dem 1466 provisorisch aufgestellten, schon älteren Marienbild, das auf dem von den Schneidergesellen gestifteten Altar stehen sollte, bis diese ein Altarbild stiften könnten.15)

Die Anbetung ist stilistisch eng verwandt mit dem alabasternen Kalvarienberg, der den Kreuzaltar des Domes schmückte.16) Norbert Jopek, der neuerdings jedoch die Plastik im Vergleich „zu plastischen niederländischen Kreuzigungsretabeln“ und durch „Parallelen zu bayerischen Kreuzigungsbildern der Zeit um 1430 und 1450“17) für etwa ein Dutzend Jahre älter hält, nimmt an, daß beide „zwar nicht vom gleichen Meister, so doch aber aus dem gleichen Atelier“18) stammen. Ein weiteres Anbetungsrelief, das vielleicht aus einer Kirche in Mühlhausen stammt und heute in Minneapolis aufbewahrt wird, ist nach Jopek noch etwas später entstanden, läßt aber möglicherweise Schlüsse auf Serienherstellung solcher Motive zu.19) Jopek und andere ordnen die zusammen mit dem Anbetungsrelief aufgestellte Maria wie weitere mitteldeutsche Alabasterkunstwerke, eine Diakonsstatue aus dem Halberstädter Domschatz, einen Schmerzensmann, der sich, wie auch ein Hl. Mauritius, in Magdeburg befindet sowie einen Erzengel Michael in Erfurt ein und demselben Meister zu, der um die Mitte der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts gearbeitet habe.20) Die Halberstädter Anbetung wird, wie der Kalvarineberg aus dem Halberstädter Dom einige Jahre älter geschätzt als diese Kunstwerke.21) Vielleicht ist das Bild aber – wie der Halberstädter Kalvarienberg – sogar noch früher als um 1460 entstanden, vergleicht man etwa den Dusing des schwarzen Königs. Aus kostümgeschichtlicher Sicht22) könnte er gerade noch auf die Zeit um 1420 bis 1430 hinweisen, wenn es sich nicht, wie der Taillengürtel nach französischer Mode des neben ihm stehenden Königs anzudeuten scheint, nur um einen Rückgriff auf eine verblühte Mode gehandelt hat.

Anmerkungen

  1. Dehio Sachsen-Anhalt I, S. 339.
  2. Ebd.; BKD, S. 414.
  3. Haber 1737, S. 35 f.
  4. Elis 1886, S. 8; BKD, S. 413 f.; Doering 1927, S. 80. Lucanus 1848, S. 20 erwähnt als erster, abgesehen von Quast 1845, der sich ausschließlich auf die Wandmalereien kaprizierte, den Hauptaltar in der Liebfrauenkirche nicht mehr. Lucanus geht auch in seinem 1866 veröffentlichten Werk nicht darauf ein; Lucanus 1866, S. 36–38. Elis spricht zuerst davon, daß die Marmorstatue des „Renaissance-Hochaltars“ „gerettet“ worden sei und sich in der Andreaskirche befinde.
  5. Wie Anm. 1.
  6. Vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 236 C: NON CRVCEM SED QVEM DESIGNAT ADORA. Vgl. auch ähnliche Sprüche wie: Non mihi sed aliis, Walther Proverbia, Nr. 38941 oder: Non mihi sed populo, Henkel/Schöne, S. 476 f.
  7. Niemann 1824, S. 48 f., vgl. auch Anm. 3.
  8. Vgl. zu diesem Parthey 1864, S. 589 f.
  9. Haber 1737, S. 5.
  10. Niemann 1824, S. 48 f.
  11. Uffenbach 1753, S. 151.
  12. Niemann 1824, S. 48 f.
  13. Elis 1886, S. 8; BKD, S. 349.
  14. Ebd., S. 413 f.
  15. Ebd., S. 416; so auch Jopek 1988, S. 81 f.
  16. Zur Geschichte des Kreuzaltars siehe jetzt Richter 2010, S. 16–37.
  17. Jopek/Roller 2010, S. 64–116.
  18. Jopek 1988, S. 73.
  19. Ebd., S. 73 f., 85 f., Katalog Nr. 37 S. 140 f.
  20. Ebd., S. 68–86, hier bes. S. 85 f., Katalog Nr. 39 S. 142 f., 41 S. 144 f., 42 S. 146 f., 43 S. 148 ff.; Der heilige Schatz 2008, Nr. 105 S. 350–353; Lehmann/Schubert 1988, S. 260; Jopek/Roller 2010, S. 84 f. Jopeks Annahme aber, der Erfurter Erzengel Michael stamme von einem Gedächtnismal für einen Verstorbenen, weil auf die Datierung Anno · d(omini) · // 1467 · ein folgendes „obiit“ zu ergänzen sei, dem die Nennung des Namens des Verstorbenen folgen könne, und somit Formularen von Inschriften von Epitaphien usw. gliche, entbehrt jeder Grundlage; vgl. Jopek 1988, S. 83, Jopek/Roller 2010, S. 84 f. mit Anm. 36. Entsprechende Datierungen finden sich an hunderten von Objekten der Zeit, ohne solche oder ähnliche Komplettierungen und ohne daß sie zu Grabdenkmalen gehören müssen.
  21. Jopek 1988, S. 68–74, Katalog Nr. 35, 36 S. 69–74.
  22. Vgl. zu kostümgeschichtlichen Einordnungen des Kalvarienberges Jopek 1988, S. 72; Jopek/Roller 2010, S. 91.

Nachweise

  1. Haber 1737, S. 6.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 44 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0004400.