Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 9 Liebfrauen E. 13.–1. V. 14. Jh.

Beschreibung

Glocke; Südwestturm, Glockengeschoß, östlicher Glockenstuhl; Bronze, abgesehen von wenigen Ausbrüchen an der Schärfe, gut erhalten, 1997/98 durch Aufschweißen und Rekonstruktion des Henkels restauriert; Krone von sechs eckigen, durch in der Mitte aufgelegten Rundstab profilierte, nach innen leicht abgefaste, geschwungene Henkel um Mittelöse, Kronenplatte abgesetzt, Haube flach abfallend, Übergang gerundet, an der Schulter zwischen doppelten Bandstegen in Konturschrift einzeilig erhaben umlaufend die Inschrift, am Wolm drei gestufte Rundstege. Gewicht: 460 kg, Ton: as1.1)

Maße: H. 73 cm (Krone 25 cm), D. 95 cm, Bu. 5,8–6,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. + Q(VO)a) · COR · LETETVRb) 2) · DEVS · Ac)

Übersetzung:

Dadurch [das Geläut?] soll das Herz erfreut werden, Gott angebetet werden.

Kommentar

Die Schrift ist in teilweise konturierten Buchstaben ausgeführt. Schaft- und Balkenenden sind verbreitert. C und unziales E werden durch Abschlußstriche begrenzt. In Buchstaben oder Buchstabenteilen, die aus Bögen bestehen, werden Zierstriche, oft mit Ausbuchtungen, eingestellt, die nicht parallel zum Kontur verlaufen. Verschiedene Zierformen wie s-förmige Ornamente, geschlängelte Linien und Kreise schmücken die Buchstaben. Als Worttrenner verwendete man Kreise. Die linke Haste des flachgedeckten A weist außen eine spitzige Bogenschwellung auf. C und unziales E sind fast oval. Spitzoval geformt ist das Q. Die Cauda ist rechts stark verbreitert, an ihrem Ende als einzelner Strich nach unten umgebogen. Als einziger Buchstabe wurde S nicht in Konturschrift ausgeführt. Schaft und Balken des unzialen T berühren sich nicht. Die obere, nach links spitz zulaufende Balkenkontur gibt dem Buchstabenteil ein asymmetrisches Aussehen.

Nach den Schriftformen und dem Dekor entstand die Glocke zwischen dem Ende des 13. und dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts. Ähnliche – jedoch weniger elaborierte – Buchstabenformen weisen drei Chorglocken des Halberstädter Doms vom Ende des 13. Jahrhunderts,3) eine Glocke in der Halberstädter Pfarrkirche St. Martini (Nr. 8) und eine in der Stiftskirche St. Johannes (Nr. 10) auf, die nach ihren Schriftformen durchaus in derselben Werkstatt gegossen worden sein könnten und die hier den Notnamen Halberstädter Gießerwerkstatt G2 erhalten hat. Eine 1288 gegossene Glocke aus Kittendorf bei Malchin und die 1333 hergestellte älteste erhaltene Glocke aus der Nikolai-Kirche in Quedlinburg sowie eine Glocke in Alikendorf im Bördekreis, die nach Schubart „wohl noch im 13. Jahrhundert“ entstand, weisen ähnliche Formen auf.4)

Die Ergänzung der Inschrift kann nur ein Vorschlag sein und erhebt keinen Anspruch auf letzte Gültigkeit. Der letzte Buchstabe der Inschrift ist deutlich ein A mit einem folgenden Kürzungsstrich. Jedes weitere im Zusammenhang sinnvolle Wort könnte ebenso gut ergänzt werden. Die Lesung A et ω kann jedoch ausgeschlossen werden. Eine literarische oder liturgische Vorlage konnte nicht nachgewiesen werden.5) Die Bedeutung der Inschrift weist nach der vorgeschlagenen Übersetzung auf den durch das Erz (Bronze) verursachten Klang der Glocke hin.

Textkritischer Apparat

  1. QVO] Durch hochgestelltes O gekürzt.
  2. LETETVR] LETETVS BKD, Hartmann, Glocken der Heimat.
  3. A] Folgt hochgestellter Kürzungsstrich. Vielleicht zu ergänzen zu ADORETUR; A. et O. Nebe, A Ω (Minuskel-ω mit Kreuz über dem Mittelschaft), BKD, fehlt Hartmann, Glocken der Heimat.

Anmerkungen

  1. Vgl. zu dieser Glocke Peter 2003/2004, S. 6 Glocke IV; ebd., S. 14 f. Glocke I.
  2. Auch aktivisch übersetzbar; vgl. Heinichen, S. 248.
  3. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 28, 29, 30 mit Abb. 43–45.
  4. Schilling 1988, S. 138 mit Abb. 241; Treuber/Oehlmann 2007, S. 119–121 mit Abb.; Schubart 1896, S. 115 f. mit Abb. 4.
  5. Das Psalmenwort PsG 104,3 nach I Par 16,10 „laetetur cor querentium dominum“ stimmt nur annähernd überein.

Nachweise

  1. Nebe 1876, S. 294.
  2. BKD, S. 341.
  3. Hartmann 1964, S. 247.
  4. Glocken der Heimat 1996, S. 7.
  5. Peter 2003/2004, S. 15 mit Abb. 3–6.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 9 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0000908.