Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 5 St. Martini A. 14. Jh.

Beschreibung

Taufkessel; im nördlichen Querhaus, im 19. Jahrhundert in der Taufkapelle unter den Türmen im Westen des Mittelschiffs, später mitten vor dem Altar;1) Metall (Messing oder Bronze); gut erhalten; überrestauriert, Farbfassung (Ölfarben) des 19. Jh.; auf vier freiplastischen Figuren, die, die vier Paradiesflüsse symbolisierend, als Standfüße dienen und vier Gießgefäße in Händen halten, aus denen Wasser fließt, ruht der Kessel, dessen oberen und unteren Rand Palmettenranken schmücken, unter genasten Dreipaßbaldachinen, die von krabbenbesetzten Wimpergarchitekturen überfangen werden, die wiederum auf Säulen ruhen, welche von kreuzblumenbekrönten Fialen abgeschlossen werden, zeigen sieben Bildfelder in Relief neun Szenen aus Kindheit und Jugend Jesu: Verkündigung an Maria mit dem Bibelwort (A) und der Bildbeischrift (B) auf den Spruchbändern in Händen Marias und des Engels sowie der Heimsuchung mit der Bildbeischrift (C) über der Heimsuchungsszene, Geburt Jesu mit den Bildbeischriften (D, E) auf der Wiege und über der Gestalt Josephs am Fußende des Wochenbettes, Verkündigung an die Hirten mit dem paraphrasierten Bibelwort (F) und der Bildbeischrift (G) auf den Spruchbändern in Händen des Engels und eines Hirten, Anbetung der Hl. Drei Könige mit dem Antiphonanfang (H) auf dem Spruchband zwischen den Dargestellten, der bethlehemitische Kindermord mit der Bildbeischrift nach dem Bibelwort (I), die Darbringung Jesu im Tempel mit den Bildbeischriften (K, L, M) auf dem Spruchband des Simeon, über dem Kopf des Jesuskindes und über zwei Frauen, eine davon Maria, mit Kerze und Tauben, Flucht nach Ägypten mit der Bildbeischrift (N) und Taufe Jesu mit den Bildbeischriften (O, P) über den Szenen. Ein Aufsatz, der mit „kostbarem Blattwerk, Distelkronen, Spitzen und Rosen“ verziert war, wurde um seines Metallwertes willen um 1820 verkauft.2)

Maße: H. 101,2 cm, D. 116,3 cm, Bu. 0,5 cm–1,1 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/13]

  1. A

    AVE GRA(TIA) PLENA3)

  2. B

    AINNVNTIAT(I)Oa) ·

  3. C

    SALVT/A[T]IOb) EL/IZABETHc) / AD MARI/AM4)

  4. D

    PVERPERIV(M)

  5. E

    IOSEPd)

  6. F

    [N]V(N)CTOe) VOBIS GAV[DIVM]5)

  7. G

    PASTORES

  8. H

    · TRIAf) · SV(N)T MVNERA6)

  9. I

    ERODESg) I/RAT(VS)h) 7) ·

  10. K

    SIMEON

  11. L

    IH(ESV)Si)

  12. M

    [.]AR/[I]A ·j)

  13. N

    HIC FVG(IVNT)k) / INl) EGYP[T]VM8)

  14. O

    BAPTISMV(M)

  15. P

    IH(ESV)Si)

Übersetzung:

A: Gegrüßet seiest du, voll [der Gnade]. B: Verkündigung. C: Der Gruß Elisabeths an Maria. D: Das Kindbett. E: Joseph. F: Ich verkünde euch [große] Freude. G: Die Hirten. H: Es sind drei Geschenke [die die Magier dem Herrn darbringen]. I: Der erzürnte Herodes. K: Simeon. L: Jesus. M: Maria. N: Hier fliehen sie nach Ägypten. O: Die Taufe P: Jesus.

Kommentar

Die Schrift entspricht derjenigen, die schon den Taufkessel aus St. Paul, der sich heute im Domschatz befindet, auszeichnet. Die Buchstaben weisen ebenso verbreiterte Schaft- Balken-, und Bogenenden auf. Auch hier weisen die stark gerundeten Formen von C und E gegenläufig gebogene Abschlußstriche und eingestellte Zierstriche auf.

Zum identischen Bild- und Inschriftenprogramm der beiden Fünten aus St. Paul, die heute im Domschatz aufbewahrt wird, und in St. Martini siehe DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33. Abgesehen von Kleinigkeiten, wie etwa der Darstellung der Purificatio, die leicht abweicht, haben beide Werke neben ihrem identischen Bildprogramm und der Ikonographie einen weitgehend übereinstimmenden Textbestand, der meistens sogar wortgleich ist. Man kann vermuten, daß zumindest die Entwürfe, wenn nicht sogar beide Werke selbst in engem zeitlichen Zusammenhang am Anfang des 14. Jahrhunderts in derselben Werkstatt entstanden sind.9) Welche der beiden Taufen zuerst entstand, läßt sich nicht mehr sagen. Die elaborierteren Formen könnten eher eine spätere Entstehung der Fünte aus St. Martini nahelegen.10) Die Vermutung Mundts, in der vorderen der beiden Frauen in der Darstellung im Tempel, die die Tauben trägt, Maria statt Hanna sehen zu dürfen, scheint in den wenigen noch lesbaren Buchstaben eine Bestätigung zu finden.11) Allerdings geht er fehl in der Annahme, in der männlichen Person der Szene statt Simeon Joseph dargestellt zu finden. Simeons Name zeigt eindeutig das Schriftband, das von seiner Linken herabhängt (K). Die Buchstaben beider Taufen sind oft – aber nicht immer – in Konturschrift ausgearbeitet. Selbst bis in Einzelheiten hinein ergeben sich Übereinstimmungen. So beginnen an beiden Taufkesseln die Worte des Engels an die Hirten mit derselben fehlerhaften Form NVNCTO. Auch die hyperkorrekten Formen ERODES und IOSEP finden sich an beiden Fünten. Außerdem ergeben sich hinsichtlich der Schriftformen Zusammenhänge mit weiteren um 1300 entstandenen Halberstädter Gußwerken wie etwa Glocken des Doms12), in St. Martini13), St. Moritz14) und Liebfrauen15). Um das Jahr 1300 scheinen wegen des Heiligen Jahres häufiger Ablässe erwirkt worden zu sein, die besonders die Ausstattung der Kirchen förderten.16) Siehe zur möglichen Werkstattzugehörigkeit oben Nr. 4.

Textkritischer Apparat

  1. AINNVNTIATIO] Sic! T kaum erkennbar, wohl als Kürzungszeichen für das folgende I hochgestellt.
  2. SALVTATIO] Die ersten drei Buchstaben kaum mehr erkennbar.
  3. ELIZABETH] Der letzte Buchstabe ein wenig nach unten gesetzt.
  4. IOSEP] Sic!
  5. NVNCTO] Sic! Statt NVNCIO bzw. NVNTIO. So auch auf der Fünte aus St. Paul im Domschatz, Inv.-Nr. 399; vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33.
  6. TRIA] Vor dem ersten Buchstaben steht ein Stern.
  7. ERODES] Die Schreibweise hyperkorrekt.
  8. IRATVS] Das VS-Kürzungszeichen liegend über der Schriftzeile.
  9. IHESVS] Befund: IHC.
  10. [.]ARIA] Lesung unsicher.
  11. FVGIVNT] Das V über das G gestellt, Kürzungszeichen fehlt.
  12. IN] Das Wort hochgestellt, Lesung unsicher.

Anmerkungen

  1. Zschiesche 1895, S. 174, der jedoch die Zeitstellung völlig falsch einschätzt; BKD, S. 405 mit Abb. S. 406 Fig. 168; Lüer 1904 Bd. 1, S. 313; Katalog Magdeburg 2006, A 3 S. 247–248 mit Abb. S. 249 (H[artmut] M[ai]). Den Taufkessel erwähnte schon Büsching 1819, S. 266.
  2. Lucanus 1866, S. 62; Katalog Magdeburg 2006, A 3 S. 247–248 S. 249 mit Abb. (H[artmut] M[ai]); zum Verlust an Taufdeckeln und -aufsätzen siehe Seyderhelm 2006, S. 173.
  3. Lc 1,28.
  4. Nach Lc 1,41.
  5. Nach Lc 2,10; vgl. CAO Vol. IV, Nr. 6576; siehe auch DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33 Anm. 7.
  6. Antiphon zu Epiphania Domini; vgl. CAO Vol. III, Nr. 5181.
  7. Nach Mt 2,16.
  8. Nach Mt 2,13.
  9. Zu Vermutungen über die Werkstatt siehe DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33 Anm. 12
  10. So auch Mundt 1908, S. 59–61 mit Taf. XXXV, der die Taufe in St. Martini auf das erste Viertel des 14. Jahrhunderts datiert. Auch Doering/Voß 1905, S. 27 mit Abb. S. 109 gehen von diesem zeitliche Ansatz aus.
  11. Mundt 1908, S. 63.
  12. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 28, 29, 30.
  13. Nr. 8.
  14. Nr. 4, 7.
  15. Nr. 9.
  16. Vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33 mit Anm. 15 und 16.

Nachweise

  1. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 33 Anm. 11 (B, C, N).

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 5 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0000503.