Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 135 Trillgasse 10 1556

Beschreibung

Wappentafel; unterhalb des westlichen Giebels des Wohnturms des ehemaligen Stedernschen Hofes; 1839 bis auf den stehengebliebenen Rest abgebrochen;1) Sandstein, hell, gut erhalten; Relief, fast quadratisch mit Giebelabschluß, seitlich gefaßt von auf Konsolen ruhenden Pilastern, die mit Blatt- und Rankenwerk geschmückt und durch verkröpfte Gesimse, die teilweise mit stilisiertem Blattwerk versehen sind, vom Giebel und der Konsole mit der erhaben ausgeführten dreizeiligen Wappenbeischrift (A) und der auf dem gekehlten Abschluß darunter befindlichen Jahreszahl (B) getrennt sind.

Schriftart(en): Kapitalis.2)

SAW Leipzig, Inschriftenkommission ()Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    FRANTZa) VND CHRIS/TOFFEL VON DOR/STADT GEBRVDER

  2. B

    1 · 5 · 5 · 6

Wappen:
Dorstadt3)

Kommentar

Bei der Schrift handelt es sich um eine Kapitalis, die jedoch einige Rundungen aufweist. A zeigt eine Rechtsschrägenverstärkung auf, das B einen sehr kleinen unteren Bogen. E hat einen sehr kurzen mittleren Balken, F ebenso auf den unteren der beiden Balken bezogen. Die Cauda des G ist angesetzt. Die Schräghaste des N ist in ihrem Verlauf leicht geschwungen. O wird mandelförmig gebildet. Die Cauda des R ist ebenfalls leicht geschwungen. Das Z weist einen Querstrich in der Mitte des Schaftes auf.

Der Stedernsche Hof, der damals bischöfliches Lehen gewesen war, soll im 12. und 13. Jahrhundert „einem Zweig des Ministerialengeschlechts Bromes gehört haben“.4) Der ursprüngliche Hof der Familie Dorstadt hatte im 15. Jahrhundert auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Richtung des Abtshofes gelegen.5) Wann der Stedernsche Hof in den Besitz der Dorstadt gekommen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Ebensowenig läßt sich erkennen, ob die Wappentafel die Funktion einer Bauinschrift hatte oder ob sie um eines anderen Zweckes willen dort angebracht worden war.

Den von Dorstadt, einem von drei gleichnamigen Geschlechtern in Ostfalen, hatte schon seit vor 1492 das Dorf Emersleben gehört, und es blieb bis zu ihrem Aussterben in deren Besitz.6) Danach ging es in das Eigentum derer von Stedern über;7) eine Verbindung zwischen beiden Geschlechtern muß also bestanden haben. Franz und Christof von Dorstadt gehörte während der Kirchenvisitation im Jahr 1564 das Dorf Emersleben.8) Franz von Dorstadt ist auch als Hauptmann im Amt von Schneitlingen belegt.9) Die Gebrüder Dorstadt hatten seit den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts wiederholt große Summen an verschiedene Kreditnehmer verliehen; für die Grafen zu Stolberg hatten die Räte der Städte Stolberg, Wernigerode und anderer selbstschuldnerisch gebürgt.10) Als die Rückzahlung stockte und die Dorstadts verschiedene Nachtermine gesetzt hatten, die trotz Verhandlungen ergebnislos verstrichen waren, entschlossen sich die Gläubiger zum Instrument des Schandbriefs zu greifen.11) Darin wurden die Schuldner in entehrenden Darstellungen gezeigt. Dieser Scheltbrief beginnt mit einem Bild, das drei Ratsherren verkehrt herum auf einem Mutterschwein zeigt, auf dem sie durch Ketten mit einem Galgen verbunden sind und Raben als Galgenvögel einem von ihnen die Augen aushacken, während ein anderer vom Rad herab seinen Siegelstempel unter den Schwanz der Sau hält und damit die Wertlosigkeit dieses Instruments anzeigt.12) Es folgt der Schand- oder Scheltbrief, der in drastischen Worten noch einmal den Sachverhalt und das Verhalten der Schuldner darlegt und an öffentlichen Plätzen wie Rathaus, Pranger oder Kirchentüren angeschlagen wurde. Weitere Schandbilder zeigen sogar Judas mit Geldbeutel und abgeschlagenen Schwurfingern, umgeben von vornehmen Herren, oder bilden diese Herren auf das Rad geflochten oder am Galgen hängend ab.13) Die Schandbriefe aus den Jahren 1562 und 1566 richteten sich u. a. an die Grafen von Stolberg und deren Bürgen, zu denen die Städte Stolberg, Wernigerode, Heringen und Kelbra gehörten.14) Diese Art öffentlicher Verunglimpfung war im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ein letztes Mittel sozial oft schwächer gestellter Personen, an ihr Recht zu gelangen, z. B. Schulden auch von höher Gestellten einzutreiben. Zwar gelang es den Gebrüdern von Dorstadt, sich mit der Stadt Wernigerode als Bürgen zu einigen, Stolberg stotterte seine Verpflichtungen jedoch ab, und Jahre später waren noch die Dorstadtschen Erben mit der Sache befaßt.14) Allerdings muß erwähnt werden, daß auch Christof von Dorstadt selbst Schmähbriefe von seinen Gläubigern erhielt.15) Zum Geschlecht von Dorstadt vgl. auch Nr. 58, 153, 173, 182 und 195.

Textkritischer Apparat

  1. FRANTZ] Christoffel und Frantz Scheffer; FRANZ Zschiesche.

Anmerkungen

  1. Zschiesche 1895, S. 119.
  2. Die Maße fehlen, da das Objekt in großer Höhe angebracht ist.
  3. Siebmacher SaA, S. 38 (Dorstadt III) mit Taf. 23. Eine Blasonierung war nicht möglich, da das Wappen in großer Höhe angebracht, schon stark vergangen und darüber hinaus im Sommer von Kletterpflanzen überwuchert ist. Siehe dazu Nr. 153.
  4. Militzer/Przybilla 1980, S. 196 f.
  5. Ebd.
  6. BKD, S. 43; siehe zu Abkunft und Wappen der Geschlechter Mülverstedt 1870, S. 440.
  7. Ebd.
  8. Nebe 1880, S. 86.
  9. Ebd., S. 223, 225, 232 f.
  10. Jacobs 1900, S. 482–486; Hagen 1762, S. 39.
  11. Moser 1900, S. 479–482.
  12. Lentz 2004, Nr. 180–182 S. 325–328; Hupp 1930, S. 65 f. jeweils mit einer Abbildung zu dem Fall Dorstadt/Stolberg; allg. HRG Bd. 4, Sp. 1349–1351 (Art. Schandbild). Vgl. auch die Parallelen zur Judensau DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 116a (†).
  13. Lentz 2004, Nr. 182 S. 327 f. mit Farbtafel Nr. 182; Hupp 1930, S. 65–70.
  14. Jacobs 1900, S. 482–486; Hagen 1762, S. 39.
  15. Lentz 2004, Nr. 170, 171 S. 314–316, Nr. 196 S. 340.

Nachweise

  1. Scheffer 1864, S. 14 f.
  2. Zschiesche 1895, S. 119.
  3. Arndt 1910 a, S. 94.
  4. Kunze 2001, S. 51 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 135 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0013506.