Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 111 Liebfrauen 1538

Beschreibung

Grabplatte für Heinrich Lencker, Bischof von Akkon;1) siebte Grabplatte von Westen an der Nordwand des Langhauses; Sandstein, hell; der linke mittlere Rand und die darüberliegende Ecke ausgebrochen, mit Ziegeln wieder aufgebaut und mit Mörtel beigeputzt, die rechte obere Ecke ausgebrochen, die untere Hälfte stark erodiert, das obere linke und die unteren beiden Medaillons vergangen, Schriftverlust; Relief, der Rahmen ist außen durch einen Steg profiliert, im nur leicht eingetieften Innenfeld steht ins Halbprofil gewendet ein Bischof, mit bestickter Mitra, von zwei Agraffen gehaltenem Pluviale und Pontifikalhandschuhen bekleidet, auf der Brust ein Bischofskreuz, das Pedum mit dem Panisellus in der Linken, deren Finger mit zwei liturgischen Ringen geschmückt sind, die Rechte segnend erhoben, zu Füßen ein Wappen, beiderseits der Schultern schlingen sich aus Blattranken hervorwachsend zwei Fabeltiere, die ihre Zungen nach dem Kopf des Bischofs ausstrecken, am Rand auf einer abgesetzten Inschriftenleiste einzeilig umlaufend die eingehauene Grabschrift (A), in den Ecken unterbrochen durch Medaillons mit den Evangelistensymbolen, auf diagonal verlaufenden Spruchbändern in den Ecken des Innenfeldes die einzeilig eingehauenen Tituli (B).

Maße: H. 213 cm, B. 165 cm, T. mehr als 15 cm, Bu. 8–9 cm (A), 3 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalienin gotischer Majuskel (A), mit frakturähnlichen Versalien (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    [A]nno d(omi)ni 1538 diea) 22 Augusti // R(everen)dusb) in christo paterc) et d(omi)n(u)s Heinricusd) Ep(iscop)us] // Ackonen(sis) // [- - -] // et canonic(us)e) hui(us) ec[c]l(esi)e hic sepult(us) cui(us)e) [- - -]

  2. B

    S(anctus) · Johannes // S(anctus) Matteus // S(anctus) [- - -]

Übersetzung:

A: Im Jahre des Herrn 1538 am 22. Tag des August [starb] der ehrwürdige Vater in Christus und Herr Heinrich Bischof von Akkon [- - -] und Stiftsherr dieser Kirche, [der] hier begraben [ist]. Dessen [Seele ruhe in Frieden]. B: Der heilige Johannes. Der heilige Matthäus. Der heilige [- - -]

Wappen:
Lencker2)

Kommentar

Die Schrift ist sehr tief eingehauen. Die Unterlängen können kaum als solche bezeichnet werden. Die Brechungen wurden sehr schematisch vorgenommen, einzelne Buchstabenglieder wirken wie aneinandergesetzt. Die unteren Buchstabenendungen tendieren fast zur Quadrangelreduzierung, sind aber in der Konturierung sorgfältiger gestaltet als die oberen. Der aufgelöste linke untere Bogen des a ist verhältnismäßig klein. Der obere zum Schaft gewordene rechte, abgeknickte Bogenabschnitt des d ist leicht nach links durchgebogen. Der Balken des e wird in Haarstrichstärke zum mittleren Bogenabschnitt zurückgeführt. Der Schaft des g (in Verlängerung des rechten unteren Bogenabschnittes) hat eine winzige Unterlänge, der Bogen wird auf der Grundlinie als Strich nach schräglinks gezogen. Der obere Schrägschaft des k ist aufgelöst. Beide Schrägschäfte haben keine Verbindung zueinander. Aus zwei gegenläufig gebrochenen Bogenabschnitten entsteht das o. Als i-Punkt verwendete man ein Dreieck. Über dem u dienen oben offene spitze Haken als diakritische Zeichen zur Unterscheidung von n, m und solchen Buchstaben in Verbindung mit i. Die Buchstaben in Inschrift B unterscheiden sich, der obere Bogen des s ist nicht gebrochen, sondern nach unten leicht durchgebogen. Die Grabplatte scheint nach ihrer Schrift in einen Entstehungszusammenhang mit der Nr. 92 zu gehören, nach ihrer Machart ist wohl auch Nr. 118 noch dazuzuzählen; als Notname wurde Werkstatt H6 der Halbertädter Grabplatten gewählt.

Heinrich Lencker, auch Leucker oder Leucher genannt, war 1514 zum Titularbischof von Akkon ernannt worden.3) Seit dieser Zeit fungierte er, der dem Dominikanerorden angehörte, bis zu seinem Tod als Weihbischof in Halberstadt. Er hatte sogar das Halberstädter Bürgerrecht erworben und war zeitweise zum Prediger an der Stadtpfarrkirche St. Martin berufen worden, stieß aber bei den protestantisch gesinnten Pfarrkindern auf wenig Gegenliebe. Er ging hart gegen die Protestanten in Bistum und Stadt Halberstadt vor, was bis zur von ihm befohlenen Kastration des protestantischen Predigers Valentin Mustaeus führte. Ihm wird die Verzögerung der Einführung der Reformation in der Stadt zugeschrieben, die in den Pfarrgemeinden erst nach seinem Tode durchgesetzt werden konnte. Ob der auf dem Magdalenenaltar in Halle, der vielleicht (!) von Simon Franck geschaffen worden war und in der Aschaffenburger Staatsgalerie fast vollständig erhalten geblieben ist, abgebildete Hl. Chrysostomus ein Porträt Heinrich Lenckers und damit des postulierten Stifters zeigt, wie Andreas Tacke vermutet, ist jedoch zweifelhaft.4) Das Wappen auf dem Siegelring an der Hand des Heiligen stimmt jedenfalls nicht mit dem allerdings nur bruchstückhaft erhaltenen Wappen auf der Grabplatte überein.

Textkritischer Apparat

  1. die] dei Tacke.
  2. Reverendus] Die letzten drei Buchstaben hochgesetzt.
  3. pater] Die Buchstaben beschädigt.
  4. Heinricus] Henricus Nebe, Tacke.
  5. canonicus–cuius] Die Buchstaben beschädigt; hic sepultus cuius fehlt Nebe, Tacke.

Anmerkungen

  1. BKD, S. 351 Nr. 10.
  2. Das Wappen ist kaum mehr erkennbar: gespalten, vorne drei in einem Ring spitz zusammenstehende Nägel (Bistum Akkon), hinten eine Frau, einen Gegenstand in der Hand vor sich haltend. Vermutlich das persönliche Wappen Lenckers als Titularbischof von Akkon; siehe dazu auch Nr. 118.
  3. Vgl. dazu und zum folgenden Gatz 1996, S. 414 (Josef Pilvousek). Siehe weiter Winnigstedt in Abel 1732, S. 375, 387 f.; Abel 1754, S. 619 f.; Schrader 1972, S. 267 f.; Langenbeck 1886, S. 16 f., 268 f.; Nebe 1880, S. 6, 8–10; Fuhrmann 2006 b, S. 5; Eubel 1910, S. 367 unter dem Namen Heinrich Leucker.
  4. Tacke 1992, S. 154–159 mit Abb. 97. Vgl. auch Katalog Halle 2006 Bd. 2, S. 197, 208–211; ebd. Bd. 1, S. 182 (A[ndreas] T[acke]; Tacke 2007, S. 113 f.

Nachweise

  1. Nebe 1880, S. 6 Anm. 2 (A).
  2. Tacke 1992, S. 159.
  3. Tacke 2007, S. 114.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 111 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0011106.