Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 110 Düsterngraben 12 1537

Beschreibung

Fachwerkhaus von 10 Gefachen, traufenständig; das Erdgeschoß aus Steinquadern, zwei vorkragende Obergeschosse und ein Giebelgeschoß, Füllhölzer an allen drei Obergeschossen farbig gefaßt, Knaggen mit vielstrahligen Sternen geschmückt, die linke Giebelseite von Steinen und Ziegeln verdeckt, rechts ist das Haus Nr. 11 angebaut; im Haus heute eine Gaststätte. Auf dem Schwellbalken einzeilig in zeilenhoch eingetieftem Inschriftenfeld die mit einer Besitzanzeige kombinierte Bauinschrift.

Ergänzungen nach Meßbild.

Maße: Bu. ca. 10–12 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/4]

  1. hec domus spectans [ad vicariama) dive Cath]erineb) in eccl(es)ia halberstaden(si) · Per · Valentinum · R[un]nerc) [fund]itus ex[str]ucta est Annod) · 1537

Übersetzung:

Dieses Haus, das zur Vikarie der heiligen Katharina gehört, ist durch Valentin Runner von Grund auf erbaut worden im Jahre 1537.

Kommentar

Die sehr exakte Schrift zeigt gleichmäßige Brechungen und sehr kurze Unter- und Oberlängen, eingestreut sind Versalien in gotischer Majuskel. Das a ist doppelstöckig ausgeführt, das e zeigt einen bis über die Mitte des Schaftes zurückgeführten Zierstrich, der nach der Berührung des Schaftes nach rechts oben umgebogen wird. Einen waagerechten oberen Bogenabschnitt weist das c auf. Einen zum Schaft umgeformten senkrechten Teil des gebrochenen linken Bogenabschnitts sieht man am d. Das r wird als Bogen-r in Form eines Kurzschafts samt Quadrangel dargeboten. Wie das a ist das kursive s zur Schleifenform geschlossen und wirkt deshalb doppelstöckig. Als Versalien fallen H in seiner Minuskelform, ein P mit einem großen weit nach unten gezogenen Bogen, ein R mit leichten Bogenschwellungen, ein geschlossenes, fast rundes S mit Spaltung der Bogenenden und ein einfaches V mit verbreiterten Schaftenden ins Auge.

Die Vikarie, zu der das Wohnhaus als Kurie gehörte, war vermutlich die Domvikarie St. Katharina.1) Der Altar, den der jeweilige Vikar bediente, steht im gotischen Dom in äußersten Westen des nördlichen Seitenschiffes. Eine Katharinenstatue, die etwa zwischen 1434 und 1443 entstand und durch den damaligen Domherrn Gerhard von Dotzem gestiftet wurde, schmückt ihn heute wieder.2) Eine weitere Katharinenstatue steht an der Nordseite des siebten Langhauspfeilers; sie wurde 1509 gestiftet.3) Unbekannt ist, ob sie in Beziehung zur Katharinenvikarie stand. Etliche Paramente4) und Glasmalereien,5) die die heilige Katharina im Bild zeigen, haben sich im Dom erhalten, lassen sich jedoch nicht zu bestimmten Altären zuordnen. Leider ließ sich der genannte Valentin Runner, vermutlich der zeitige Vikar der Katharinenvikarie, obwohl auch ein Baumeister bzw. eine andere Funktion im Dom für ihn in Frage käme, nicht belegen.

Textkritischer Apparat

  1. vicariam] Scheffer hat in seiner Abzeichnung im Gegensatz zum Text vicaram.
  2. Catherine] Catharine BKD.
  3. Runner] Rynner BKD.
  4. Anno] Fehlt Scheffer, Ano Scheffer Abzeichnung.

Anmerkungen

  1. Auch, wenn nicht ausdrücklich erwähnt, ist das wegen der räumlichen Nähe wahrscheinlich, denn das Haus liegt gleich unterhalb der Nordseite des Doms. Die Deutung des Begriffs Vikarie, die Scheffer 1864, S. 11 bietet, ist jedoch nur in Maßen exakt. Zwar mögen sich auch die Bezeichnungen auf die Wohnhäuser bzw. Kurien, in denen die Vikare lebten, übertragen haben, jedoch war hier die geistliche Einrichtung gemeint, die der Stellvertreter des Inhabers eines Kirchenamtes verwaltete; vgl. Haberkern/Wallach Bd. 2, S. 642 f. Wegen dieses Mißverständnisses ist auch die anschließende Diskussion über den Standort in der Stadt gegenstandslos. Die Vikarie bezog sich auf den Altar bzw. eine Kapelle St. Katharina, vermutlich diejenige im Dom. Eine Aufzählung der Vikarien des Halberstädter Doms bietet Mülverstedt 1871, S. 408. Dort wird die Katharinenvikarie, die vom Dompropst vergeben wurde, an Position 13 genannt. Der Inschriftentext ist von Arndt teilweise falsch verstanden, wie seine Übersetzung zeigt. Das Haus befand sich nicht, wie Arndt meint, „gegenüber der Vikarie der h. Katharina“, sondern „spectans ad vicariam dive Catherine“ meint, daß es zur Vikarie der heiligen Katharina im Dom gehörte bzw. ihr zustand; vgl. z. B. Heinichen, S. 426, Lemma: specto.
  2. Vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 89; Scheffer 1864, S. 11.
  3. Vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 163; Scheffer 1864, S. 11.
  4. Vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 48, 73, 83, 92, 124, 146.
  5. Vgl. ebd., Nr. 68.

Nachweise

  1. Scheffer 1864, S. 11 und Abzeichnung Nr. 18.
  2. BKD, S. 271 Anm. 2.
  3. Arndt 1910 a, S. 92.
  4. Meßblatt 1912, H. 483 1796,1 Nr. 30.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 110 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0011009.