Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 32 Liebfrauen um 1420/30

Beschreibung

Wandpaneel; in der Wandnische am östlichen Ende der Barbarakapelle; Holz, zwölf Bretter, die unverleimt aneinanderstoßen, Tempera, z. T. stark beschädigt oder vergangen; es faßt das davorstehende Altarretabel (vgl. Nr. 33) ein;1) in der Mitte über dem Altar Christus als Weltenrichter, die Rechte im Segensgestus erhoben, flankiert von zwei rauchfaßschwingenden Engeln, zu beiden Seiten des Retabels links Jakob d. Ältere mit Pilgerstab und Buch in der Linken, rechts Barbara mit dem Turm im linken Arm, mit der Rechten eine Korallenkette haltend, die um ihren Hals geschlungen ist; über ihr einzeilig aufgemalt der Titulus (A); zu Füßen der Heiligen die geistlichen Stifter jeweils in das Superpelliceum gekleidet; von ihren zum Gebet gefalteten Händen ausgehend je ein Spruchband mit den aufgemalten, teils fragmentierten Fürbitten (neben dem Hl. Jakob B, neben der Hl. Barbara C). Über den Heiligen das geteilte Vollwappen der Stifter, links das Oberwappen, rechts der Wappenschild.

Maße: H. ca. 230 cm, B. 110,5 cm (linke Seite), 115,5 cm (rechte Seite), Bu. 3,7–4,2 cm (A, B), 4 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Majuskelversal.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/11]

  1. A

    s(ancta)a) barbarab) ·

  2. B

    [......] [........]am[....]c)

  3. C

    D(omi)ned) · propici(us)e) · esto · m(ihi)f) · p(e)cc(at)orig) 2) ·

Übersetzung:

A: Die heilige Barbara. C: Herr, sei mir Sünder gnädig.

Wappen:
unbekannt3)

Kommentar

Bis auf das s sind die Buchstaben in Inschrift A kaum gebrochen, sondern umgeknickt, das gilt besonders für doppelstöckiges a, welches insgesamt eckig wirkt. Die Schäfte enden oben meist abgeschrägt oder zu Quadrangeln reduziert. Die Fahne des r endet in einem lang nach unten gezogenen Zierstrich, der nach rechts und oben umgebogen wird. Der Schaft des b ist am oberen Ende stark verbreitert, die Enden sind leicht ausgezogen. Das stark gebrochene s ist nicht gegenläufig. Statt eines Kürzungsstriches kommt ein aus zwei nebeneinandergestellten Quadrangeln bestehendes Zeichen vor. Die Buchstaben der Inschrift B und C sind nicht so stark umgeknickt wie A. Die Schaftenden werden zu Quadrangeln reduziert. Das obere Bogenende des e wurde durch umknicken aufgelöst. Der Balken führt zum unteren Bogenabschnitt zurück und wird an seinem Ende nach rechts und oben umgebogen. Ähnlich sieht die Fahne des r aus. Nur eine sehr kurze Unterlänge läßt sich am p beobachten. Das us-Kürzel ist leicht geschwungen, länglich. Als Worttrenner kombinierte man einen Kreis mit oben und unten je einem Punkt.

Die Malerei wurde bis jetzt noch nicht entsprechend ihrem künstlerischen Rang gewürdigt.4) Verbindungen hinsichtlich Stil und Motivik ergeben sich zu der ein wenig früher geschaffenen Madonna mit der Korallenkette im benachbarten Dom (vgl. DI 75 (Halberstadt Dom), Nr. 84). Vermutlich entstand die Paneelmalerei gemeinsam mit dem davor befindlichen und zugehörigen Altaraufsatz, wie der für das Retabel ausgesparte Platz an der Wand und das identische Wappen auf beiden Werken zeigen. Eva Fitz nimmt an, daß die Paneelmalerei von Michael Wispach stammt, der später gemeinsam mit seinem Gehilfen Henning und einem namentlich nicht bekannten Maler aus Göttingen die Malereien an dem aus der Bartholomäuskirche stammenden Hochaltarretabel der Barfüßerkirche in Erfurt5) – samt den Vergoldungen durch einen Meister Jakob – geschaffen haben soll, dem auch das Triptychon mit der Einhornmadonna6) aus einer der Erfurter Kirchen zugeschrieben wird, das sich heute in den Kunstsammlungen der Stadt Erfurt befindet.

Als Stifter des Halberstädter Ensembles sind jedoch weder Mitglieder der Familie von Mahrenholtz7) noch des Geschlechts von Plötzke8) nachweisbar, wie das aufgemalte Wappen beweist. Die von Findeisen angenommene Stiftung von Raumausmalung und Altarretabel für das Jahr 1442 aus einer erbzinslichen Vergabe des Halberstädter Großen Tempelhofs zugunsten der Vikarie des Altars St. Jacob und St. Barbara läßt sich nicht bestätigen.9)

Textkritischer Apparat

  1. sancta] Durch zwei hochgestellte Quadrangel gekürzt.
  2. barbara] Es folgt als Endzeichen ein Eichenblatt.
  3. [- - -]am] Vermutlich analog zu Nr. 33 nach Psalm 50,3 zu ergänzen zu: miserere mei deus secundum magnam [misericordiam tuam]. Vgl. Carmina Scripturarum, S. 134; danach auch in etlichen geistlichen Gesängen, vgl. CAO Vol. 3, Nr. 3773 ff.
  4. Domine] dur (dom) Siebrecht.
  5. propicius] propria Siebrecht.
  6. mihi] Durch ein hochgestelltes Quadrangel gekürzt; in Siebrecht.
  7. peccatori] priori Siebrecht.

Anmerkungen

  1. Intensiv beschäftigt hat sich mit der Barbarakapelle und ihrer Ausstattung Uta Siebrecht in ihrer gründlichen, das Ensemble ausleuchtenden Magisterarbeit aus dem Jahr 2000; vgl. zur Paneelwand einschließlich des technischen Befundes, Siebrecht 2000, S. 84–100. Der Autorin danke ich für die Überlassung ihrer Qualifikationsarbeit herzlich. Siebrecht 2002g, S. 225 f.
  2. Lc 18,13; nach Ps 78,9; vgl. Carmina Scripturarum, S. 170; auch als Antiphon verwendet siehe CAO Vol. 3, Nr. 4393 f. Im genauen Wortlaut vielfach belegt bei Augustinus in den Enarrationes in Psalmos und den Sermones, aber auch bei Caesarius Arelatensis und Thomas von Aquin. Vgl. Augustinus, Enarrationes in Psalmos 2, z. B. 39, 49, 67, 70, 73, 84, 90, 105, 128; ders., Sermones 2 16B, 58, 115, 135, 136A, 136C, 169, 290; Caesar von Arles, Sermones 133, 168; Thomas von Aquin, Summa theologiae, Secunda secundae, quaestio 83, articulus 16, linea 1 und bei weiteren Schriftstellern. Vgl. auch DI 67 (Stadt Passau), Nr. 661.
  3. In Rot ein silberner Balken belegt mit zwei roten Rosen; HZ: in den Farben des Wappens (der Balken jedoch schwarz, ehemals silbern? damasziert) ein weibl. Rumpf mit erhobenen Händen, bekränzt mit einem Rosenschapel, in jeder Hand einen Rosenzweig, der in drei Rosen endet. Das Wappen Plötzke hat nur einen (auch damasziert vorkommenden) Balken; vgl. Siebmacher AnhA, S. 45 mit Taf. 26; ebd. SaA, S. 123 mit Taf. 80.
  4. Dazu und zum Folgenden Fitz 2003, S. 58–60 mit Fig. 38. Zur Vorgeschichte des Altars siehe Nr. 33.
  5. BKD Erfurt, Bd. 2,1, S. 182–189.
  6. Kloos 1935, S. 40–43 mit Abb. 24; Blaschke 1978, S. 85 f.
  7. Lucanus 1848, S. 19; Lucanus 1866, S. 37.
  8. Elis 1886, S. 9 f.; BKD, S. 350; Lauth 1998, Nr. 12 S. 62.
  9. Findeisen 1996, S. 26; UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 920 S. 209 f.

Nachweise

  1. Siebrecht 2000, S. 93 (C).

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 32 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0003200.