Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 21 St. Johannes 1397

Beschreibung

Glocke, im Glockenhaus in einem hölzernen Bockstrebenstuhl im Holzjoch; Bronze; stark korrodiert, Ausbrüche an der Schärfe, Gußfehler, Schriftverlust; Krone von sechs schmucklosen Henkeln – mit im Profil dreiseitigen nach außen abgeflachten Kanten – um ein Mittelöhr, dessen Grate auf der leicht gewölbten und schräg abgesetzten Kronenplatte ausgezogen sind, Haube flach abfallend, zur Schulter hin gerundet, an der Schulter zwischen gratigen Stegen einzeilig erhaben umlaufend das Gußjahr und die Funktionsangabe in Form einer versifizierten Glockenrede, auf dem Mantel unterhalb des Kreuzes – einander gegenüberliegend – Ritzzeichnungen zweier Heiliger, Johannes Baptista und Johannes Evangelista, von jeweils 40 cm Größe, am Wolm drei Stege. Das Gewicht beträgt nach Nebe und danach Schmidt „gegen 33 Ctr.“, Hartmann gibt „ca. 2300 kg“ an, Peter schätzt „~1800 kg“.1) Der Schlagton nach Peter: e1 + 7.2)

Maße: H. 106 cm (ohne Krone), Krone: 29 cm, D. 136,5 cm, Bu. 3,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. + an(n)oa) · d(omi)ni · mcccxcviio b) · ave · mariac) 3) · consolor · vivad) · fleo · mortva · pello · nociva4)+ voxe) · qviaf) · svmg) [· vit]eh) · voco · vos · orarei) · venitej) 5) · amen

Übersetzung:

Im eintausenddreihundertsiebenundneunzigsten Jahre des Herrn. Gegrüßet seist du Maria. Ich tröste, was lebt, beweine, was gestorben, vertreibe, was schädlich ist. Weil ich die Stimme des Lebens bin, rufe ich euch, kommet zu beten. Amen.

Versmaß: Zeile 2 und 3: zwei Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Schrift weist keine echte Unterlänge auf. Die Hastenenden sind meist gegenläufig gebrochen, die Enden der Brechungen manchmal leicht ausgestellt. Die Bögen sind durch Brechung, oder aber durch Umknicken aufgelöst. Der linke Teil des oberen gebrochenen Bogens des a setzt geschwungen als Haarstrich an. Das obere Bogenende des aufgelösten Bogens des c ist umgeknickt und verbreitert sich an seinem Ende. Das e ist wie c gestaltet. Der Bogen des f ist durch Umknicken aufgelöst. Der abgeknickte obere Abschnitt ist zu einer Fahne reduziert, die keine Verbindung mehr zum Bogen hat. Knapp unter dem oberen Schaftende führt ein Balken durch den Schaft. Ein rechtwinklig angesetzter Zierstrich verbindet Fahne und Balken und wird etwas darüber hinaus geführt. Aus je zwei gegenläufig angelegten, umgeknickten senkrechten Teilen der gebrochenen Bögen ist das o zusammengesetzt. Der Schaft des q endet abgeschrägt, das untere Ende des aufgelösten Bogen nach rechts umgenickt am Schaft. Die Fahne des r ist zum Quadrangel reduziert. Nur in seiner runden Form kommt das s vor. Die aufgelösten Bögen sind gegenläufig zueinander gesetzt. Der kurze Balken des t weist nur nach rechts, der Schaft endet oben abgeschrägt. Nur in spitzer Form kommt u/v vor. Der linke Schaft des x verläuft gerade, der rechte haarstrichartige geschwungene Schrägschaft entwickelt sich aus dem zum Quadrangel reduzierten oberen Schaftteil und schwingt am Ende nach links aus. Der Balken kreuzt die Schäfte an ihrer Verbindungsstelle. Als Worttrenner dienen paragraphenzeichenförmig ausgezogene Quadrangel auf der Zeilenmitte.

Zum Schicksal der Glocken der Johanneskirche siehe Nr. 10. Von den angebrachten Glockenreden kommt die erste besonders häufig in Mitteldeutschland vor,6) die zweite ist in dieser Form seltener überliefert.7) Vox vitae führt Leo der Große zweimal in seinen Traktaten aus, wenn er jeweils von der Einsetzung des Petrus handelt: Vox enim vox vitae est;8) hier offensichtlich auf die Funktion der Glocke bezogen.

Textkritischer Apparat

  1. anno] Vor dem Wort ein Tatzenkreuz.
  2. mcccxcviio] Die oberen Teile der ersten drei Zeichen vergossen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Zeichen ein Spatium. Der folgende Worttrenner vergossen. MCCCCXCVII BKD, Hartmann, Glocken der Heimat.
  3. maria] Der zweite und der dritte Buchstabe ebenso wie der folgende Worttrenner beschädigt.
  4. viva] vova Hartmann, Glocken der Heimat.
  5. vox] Vor dem Wort ein Tatzenkreuz.
  6. qvia] Die oberen Teile der Buchstaben vergossen.
  7. svm] Die beiden letzten Schäfte des letzten Buchstabens wie auch der folgende Worttrenner vergossen.
  8. vite] Die Buchstaben bis auf den letzten vergossen. Die Ergänzung ergibt sich aus der Anzahl der fehlenden Buchstaben sowie aus Analogien; vgl. Walter 1913, S. 284, 305; DI 1 (Lkr. Main- und Taubergrund), Nr. 460; DI 17 (Lkr. Haßberge), Nr. 3, 87; DI 28 (Hameln), Nr. 26; DI 39 (Lkr. Jena), Nr. 111. Platz ist für höchstens drei Buchstaben sowie den vorangehenden Worttrenner; .... e Nebe, Peter; marie ergänzen BKD, Hartmann, Glocken der Heimat.
  9. orare] orate BKD, Hartmann, Glocken der Heimat.
  10. venite] Das obere Schaftende des vorletzten Buchstabens vergossen; venire Nebe, Hartmann, Glocken der Heimat.

Anmerkungen

  1. Nebe 1876, S. 291; UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 656 S. 541; Hartmann 1964, S. 207; Glocken der Heimat 1996, S. 12; Peter 1998 c, S. 1.
  2. Peter 1998 c, S. 1.
  3. Vgl. das Ave Maria CAO Vol. III, Nr. 1539; ebd., Vol. IV, Nr. 6155.
  4. Vgl. Walter 1913, S. 207, 238; DI 35 (Braunschweig I), Nr. 237; DI 39 (Lkr. Jena), Nr. 122. Zum Vorkommen im Herzogtum Anhalt siehe Schubart 1896, Register S. 574. Siehe auch Walther Proverbia, Nr. 3193 b.
  5. Vgl. Walter 1913, S. 224, 284, 305. So oder ähnlich: DI 1 (Lkr. Main- und Taubergrund), Nr. 460 †; DI 8 (Lkr. Mosbach, Buchen und Miltenberg), Nr. 542 †; DI 17 (Lkr. Haßberge), Nr. 3, 87; DI 19 (Göttingen), Nr. 29 †; DI 28 (Hameln), Nr. 26; DI 39 (Lkr. Jena), Nr. 111 † mit Anm. 8 und 9 mit weiteren Beispielen; DI 54 (Lkr. Mergentheim), Nr. 6 †; DI 77 (Greifswald), Nr. 164 †; DI 78 (Baden-Baden, Rastatt), Nr. 5.
  6. Vgl. Walter 1913, S. 207 mit Anm. 1 und S. 238; Schubart 1896, Register S. 574.
  7. Walter 1913, S. 224, 284, 305.
  8. Leo Magnus, Tractatus septem et nonaginta, tract. 83 lin. 31.

Nachweise

  1. Nebe 1876, S. 291.
  2. UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 656 S. 54.
  3. BKD, S. 375.
  4. Hartmann 1964, S. 207.
  5. Glocken der Heimat 1996, S. 12.
  6. Peter 1998 c, S. 2.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 21 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0002107.