Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 7 St. Moritz 1319

Beschreibung

Glocke, im zweiten Glockengeschoß des Südturms1) in einem hölzernen Bockstrebenstuhl im Holzjoch; Bronze, Ausbrüche an Henkel und Schärfe, stark verschmutzt; sechs Henkel, jeweils durch drei aufgelegte Stäbe profiliert, um ein Mittelöhr, die Kronenplatte fällt gewölbt ab und ist abgesetzt, auch die Haube fällt gewölbt ab, die Rundung ist schmal, an der Schulter zwischen doppelten Bandstegen in Konturschrift umlaufend die Gießersignatur (A), die unter dem Doppelband weitergeführt wird. Daran schließt sich die Anrufung (B) an. Beide Inschriften sind erhaben ausgeführt. An der Flanke unter der Inschrift B ein Medaillon mit einer Darstellung des Hl. Mauritius.2) Es folgen in einem Abstand von je ca. 30 cm eine Verkündigung an Maria und ein weiteres unidentifiziertes Medaillon3) sowie eine rechteckige Plakette mit einer Kreuzigungsgruppe und zwei weitere nicht identifizierte Medaillons.4) Vor dem Wort FACTVM eine rechteckige Darstellung der Jungfrau mit Kind in einer Kirchenarchitektur.5) Am Wolm folgen drei Rundstege. Gewicht: ca. 1900 kg, Ton: e1-8.6)

Ergänzt nach einer Handzeichnung und kolorierten Abklatschen des Glockenmuseums Gescher.7)

Maße: H. 105 cm (Krone: 32 cm ohne Öhr), D. 136 cm, Bu. 8,5–10 cm und 4 cm (A), 2–3 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. A

    + ANNO · D(OMI)NI · M · CCCXVIIIIa) NON(AS)b) AVG(VSTI)8) / [FACT(VM)c) · EST · HOC · OP(VS) · P(ER) ·] MAN[(VS)] · [M]AG(IST)RI · IOH(ANN)IS

  2. B

    S(ANCTVS)d) MAVRICIVSe) [·]

Übersetzung:

A: Im Jahre des Herrn 1319 an den Nonen des August8) ist dieses Werk geschaffen worden durch die Hände des Meisters Johannes. B: Der heilige Mauritius.

Kommentar

Die Schaftenden der Buchstaben der Konturschrift sind leicht verbreitert. An den Bogenenden finden sich Sporen. Oft werden konturierte Zierstriche in die Buchstaben eingestellt. A ist flachgedeckt. Die Deckbalken stehen nicht über. Der Mittelbalken verläuft linksschräg. Der mittlere Bogenabschnitt des C ist außen spitz ausgezogen. Der Buchstabe kommt einmal abgeschlossen vor, weist sonst nur Sporen auf. Unziales D ist spitzoval. Das obere Bogenende des G ragt weit über das untere hinaus, die Cauda ist gerade, doch am oberen Ende eingerollt. Unziales M kommt linksgeschlossen vor, dabei gleicht die linke Seite einem O, die rechte weist eine Bogenschwellung nach rechts auf. N findet sich sowohl in kapitaler als auch unzialer Form. Die rechte Haste des unzialen N ist geschwungen, der eingestellte konturierte Zierstrich folgt nicht dem Bogenverlauf. O ist spitzoval. Die linke Haste des X ist gerade, die rechte geschwungen. Als Worttrenner dienen Doppelkreise. Die Fortsetzung der Inschrift entspricht in etwa den beschriebenen Formen. Das obere Bogenende des G ist hier jedoch stark verbreitert, die Cauda des R kurz und konturiert, endet jedoch einfach umgebogen. Die Bogenenden des S sind verstärkt. Die unteren Schaftenden des flachgedeckten A sind stark verbreitert. Die Schrift der Inschrift B ist kaum konturiert. Die Bogenenden weisen kräftige Sporen auf. Der Mittelbalken des A ist nach unten gebrochen. I weist einen Nodus in der Schaftmitte auf. C zeigt einen eingestellten Zierstrich. M kommt unzial und linksgeschlossen vor. In den geschlossenen Teil ist ein doppelter Zierstrich eingestellt, der rechte Buchstabenteil weist keinen Konturstrich auf. Das Ende der Cauda des R ist nach oben umgebogen. S ist leicht schräggestellt.

Das wahrscheinlichste Gußdatum ist der 5. August 1319.8) Nach der Technik der Schriftherstellung gibt es Übereinstimmungen mit Glocken der Pfarrkirche St. Martini (Nr. 8), aus dem Liebfrauenstift (Nr. 9) und der Johanneskirche (Nr. 10). Der Name des für den Guß Verantwortlichen oder des Gießers selbst ist bekannt, nicht jedoch, um wen es sich dabei handelt. Vermutet wurde mehrfach, daß es sich um Johannes von Halberstadt gehandelt hat,9) der auch Hans Apengeter genannt wurde.10) Zu beweisen ist das nicht. Wenn dieser Gießer die Glocke 1319 oder vorher gegossen haben sollte, dann handelte es sich um sein frühestes bekanntes Werk – und das Jahr 1319 würde dann am Anfang der Chronologie seiner Werke stehen. Er stellte 1327 inschriftlich belegt für die Kolberger Marienkirche einen Leuchter her, ist 1331 bis 1344 in Rostock und Lübeck nachzuweisen, goß 1337 und 1344 Taufen für die dortige Marienkirche bzw. die Nikolaikirche in Kiel und für das gleichnamige Patrozinium in Wismar wird ihm eine aus dem Jahr 1335 zugeschrieben.11) Aus den Jahren 1348 und 1350 sind heute leider verlorene Glocken vermutlich von seiner Hand in der Johanniskirche zu Göttingen und im Hildesheimer Dom inschriftlich belegt. Außerdem findet sich eine seiner Glocken aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Wusterwitz in Brandenburg. Claus Peter bringt die Glockengestalt, besonders „Rippenform, Krone, ... Kombination einer reliefierten Figur mit geritzter Aedicula“ – genauer gesagt einer Kirchenabbreviatur wie auf Siegelbildern – in Zusammenhang mit der Taufglocke von St. Benedicti in Quedlinburg und der großen Glocke in der Stiftskirche in Gernrode, die von ein und demselben Gießer stammen sollen, der vielleicht Johannes von Halberstadt gewesen sein könnte.12) Johannes von Halberstadt war wohlhabend und erwarb in Lübeck ein Grundstück, auf dem sich wohl die Gießerei des Lübecker Gießers Hermann Keyser befand, und mehrere Häuser.13)

Textkritischer Apparat

  1. MCCCXVIIII] MCCCXV. IIII Nebe, UB Stadt Halberstadt.
  2. NONAS] NONIS Peter.
  3. FACTVM] FACTU Hartmann, Glocken der Heimat.
  4. SANCTVS] Fehlt Nebe, Hartmann, Glocken der Heimat.
  5. MAVRICIVS] Der dritte Buchstabe hochgestellt. Fehlt Nebe.

Anmerkungen

  1. Nicht im Nordturm, wie UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 356a S. 277 angibt.
  2. Ein Heiliger zu Pferde; vgl. Schönermark 1889, Sp. 186; LCI Bd. 7, Sp. 610–613 (F[elicitas] Reusch). Vgl. auch Glockenmuseum Gescher, Halberstadt, Abklatsch Nr. 15.
  3. Vielleicht ein Siegelabdruck des Bonifatiusstiftes, dem die Moritzkirche, in welche die Kleriker dann 1240 umzogen, im Jahre 1237 vom Propst geschenkt worden war; vgl. UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 28, 29 S. 26–28 mit Taf. I Abb. 2; Schönermark 1889, Sp. 186.
  4. Das eine vielleicht Maria und Johannes, so Schönermark 1889, Sp. 186, das andere vielleicht ein Löwe mit einem Drachen kämpfend; vgl. BKD, S. 383.
  5. Glockenmuseum Gescher, Abklatsch Nr. (13/5) 14.
  6. Peter 1998 b, S. 1.
  7. Ebd., Handzeichnung Halberstadt Nr. 9, (13/5) 14, 15.
  8. 5. August 1319; das Jahr 1315 nennen Schönermarkt 1889, Sp. 185 und Zschiesche 1895, S. 178. Theoretisch möglich wären als Gußdatum drei weitere Tage jeweils im August der Jahre 1315 bis 1317, da zwischen den Einerzahlen der Datierung und der Bestimmung des Tagesdatums kein Abstand gelassen wurde, so daß eine Nonenzählung für die drei Jahre auch möglich wäre. Diese Datierungen sind jedoch eher unwahrscheinlich. Im Jahr 1315 würde der Guß dann am 2. August stattgefunden haben, im Jahr darauf am 3. August und 1317 am 4. des Monats.
  9. Siehe zum Folgenden Mithoff 1883, S. 166; Mundt 1908, S. 47–59, 61–67, 70; Walter 1913, S. 780–782; Hartmann 1964, S. 205; DI 19 (Stadt Göttingen), Nr. 6 †; Glocken der Heimat 1996, S. 9; Peter 1998 b, S. 2; Eichler 2003, S. 147 f.; DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 91 †.
  10. Zum Namen Mundt 1908, S. 47 mit Anm. 91.
  11. Vgl. dazu und zum Folgenden Walter 1913, S. 780–782; Eichler 2003, S. 146.
  12. Peter 1998 b, S. 2.
  13. Eichler 2003, S. 146.

Nachweise

  1. Nebe 1876, S. 292.
  2. UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 356a S. 277.
  3. Schönermark 1889, Sp. 185.
  4. BKD, S. 383.
  5. Hartmann 1964, S. 205.
  6. Glocken der Heimat 1996, S. 9.
  7. Peter 1998 b, S. 2.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 7 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0000707.