Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 4 St. Moritz 1281

Beschreibung

Glocke, im zweiten Geschoß des Nordturms, in einem hölzernen Bockstrebenstuhl im Holzjoch; Bronze, Ausbrüche an der Schärfe, verschmutzt, sonst gut erhalten; sechs jeweils durch doppelte Flechtbänder profilierte Henkel um ein Mittelöhr, Kronenplatte schräg abfallend und abgesetzt, Haube flach abfallend, vor dem Übergang zur Schulter zwei Bandstege, an der Schulter zwischen Doppelstegen umlaufend als versifizierte Glockenrede der Weihespruch (A) mit apotropäischem und heilerflehendem Charakter. An der Flanke ca. 10 cm unterhalb der oberen Inschrift mit großen Abständen zwischen den einzelnen Zeichen umlaufend die Buchstaben und die Jahreszahl (B). Am Wolm zwei Rundstege und ein Bandsteg, über der Schärfe je ein Rund- und ein Bandsteg. Unter den beiden C der Jahreszahl war früher ein Medaillon angebracht. Gewicht: ca. 1000 kg.1) Ton: g1-5.2)

Maße: H. 97 cm (Krone 17 cm), D. 114 cm, Bu. 2,5–4 cm (A, B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. A

    P(ER) · CRVCIS · H(OC)a) · SIGNV(M) · + · FVGIATb) · P(RO)CVLc) · O(MN)E · MALIGNVM3) ·OREd) · TVO · (CHRISTE)e) · B(E)N(E)DICT(VS)f) · SIT · LOC(VS)g) · ISTEh) 4) ·

  2. B

    Ai) · Dj) · M · CC · LXXXIk)

Übersetzung:

A: Durch dieses Kreuzzeichen soll in die Ferne entschwinden alles Übel3), durch dein Wort (Antlitz, Mund), Christus, sei dieser Ort geweiht. B: Im Jahre des Herrn [oder: A(lpha) O(mega)] 1281.

Versmaß: Zwei Hexameter, zweisilbig rein leoninisch gereimt.

Kommentar

Die Schriftzeichen wurden mit Wachsfäden gelegt. Deshalb sind die Buchstaben etwas wackelig und unregelmäßig in Größe und Anbringung. Sie weisen keine Sporen auf. A kommt ausschließlich spitz vor. Der Deckbalken steht beiderseits über. Der Mittelbalken verläuft gerade. Der obere Bogen des B ist wesentlich kleiner als der untere. Äußerst einfach gehalten ist das C. Nur das zweite C im Wort CRVCIS ist beinahe geschlossen. D ist nur unzial vorhanden. Der Buchstabe ist wie ein O geformt, dessen rechter oberer Bogenabschnitt nach links über den Buchstaben hinausragt. Ebenfalls nur in der unzialen Form kommt E vor, der als fortgeschrittenster Buchstabe gelten kann. Ein Abschlußstrich fehlt. Die äußeren Bogenenden sind allerdings weit zum Balken hin gezogen. Im Buchstaben E des Wortes ORE findet sich ein eingestellter Zierstrich. Das G ist eingerollt, der obere Bogenabschnitt ist flach. Der Balken des kapitalen H ist nur durch zwei Nodi angedeutet. Der Balken des L ist verhältnismäßig kurz. Der linke Teil des linksgeschlossenen unzialen M läuft nach unten spitz zu. Die rechte Haste ist geschwungen. N kommt nur in der kapitalen Form vor. O ist spitzoval. Der Bogen des P ist ziemlich klein. R ist, wie F und auch T, fast klassisch, die Cauda gerade. Die Bögen des S sind teilweise leicht nach rechts geneigt. X wird aus zwei geraden Hasten gebildet. Es kommt mit OR eine Ligatur vor. Die Kürzungsstriche sind einfach und gerade. Die us-Kürzung und O sind hochgestellt.

Das Kreuz, das den ersten Hexameter schmückt, war nicht als Initial- bzw. Invocationskreuz und deshalb am Anfang der Inschrift angebracht, wie auch aus der Prosodie des Verses zu ersehen ist, sondern weist als Zeichen des Triumphes Christi (vexillum Christi et signum triumphi) – wie für die Kirchweihe belegt wahrscheinlich eine der Stellen, an welcher der Segen während der Glockenweihe vollzogen wurde.5) In seinen Schriftformen kommt der erste Vers der Inschrift auch auf Glocken des 14. Jahrhunderts in Plötzkau und leicht abgewandelt 1330 in Coswig vor.6) Die Glocke könnte das erste faßbare Produkt einer Halberstädter Gießerwerkstatt G1 sein, die außerdem die Schrift der beiden aus St. Paul (DI 75 Halberstadt Dom), Nr. 33, heute im Dom aufbewahrt) herrührenden und in St. Martini (unten Nr. 5) befindlichen sowie vielleicht auch der abgegangenen Glocke in der Siechenhofkapelle (unten Nr. 11) hergestellt haben.

Textkritischer Apparat

  1. HOC] Durch hochgestelltes O gekürzt. Der Balken nicht durchgehend.
  2. FVGIAT] fugice Hartmann, Glocken der Heimat.
  3. PROCVL] procol Glocken der Heimat.
  4. ORE] de Nebe, ME Peter.
  5. CHRISTE] Befund: XPE.
  6. BENEDICTVS] Die ersten beiden Kürzungen erfolgten nur durch einen Kürzungsstrich. Das Kürzungszeichen für -us ist unter das T gestellt.
  7. LOCVS] Kürzungszeichen über das Mittelband gestellt.
  8. ISTE] Der dritte Buchstabe beschädigt.
  9. A] Buchstabe beschädigt. Es ist unsicher, ob der Versal mit Anno oder Alpha aufzulösen ist; a. d. bzw. A D Nebe, Otte, UB Stadt Halberstadt, Schönermark, BKD, Glockenmuseum Gescher, Hartmann, Glocken der Heimat, Peter.
  10. D] Die Form des Buchstabens und seine Auflösung sind ungewiß. Möglich sind Domini, wenn es sich um ein unziales D handeln sollte, wie bislang immer angenommen wurde, oder vielleicht auch Omega für den Fall, daß der Buchstabe ein O wiedergeben soll. Die Form des Buchstabens entspricht jedoch eher einem O, das allerdings am linken oberen Bogenabschnitt leicht dreifach gewellt ist, so daß hier auch der freie Bogenteil eines unzialen D ansetzen könnte.
  11. LXXXI] Der dritte Buchstabe beschädigt. 1281 Nebe.

Anmerkungen

  1. Nebe 1876, S. 292; UB Stadt Halberstadt Bd. 1, S. 185; Peter 1998 b, S. 1.
  2. Ebd.
  3. Substantivisch läßt sich das Wort nur als Masculinum mit der Bedeutung „der Böse, der Teufel“ nachweisen; vgl. Du Cange, Tom. V, S. 196; Niermeyer, S. 630; Sleumer 1926, S. 493. Siehe aber auch Polythecon 3,4: omne malignum.
  4. Der zweite Hexameter bei Walther Initia, Nr. 13468, Walther Proverbia, Nr. 20376a, 39344g aufgeführt.
  5. Vgl. Schubart 1896, S. 546–549. Von einem Kreuztitulus, wie Walter angibt, finden sich keine Spuren. Vermutlich wurde Walter durch den Begriff Titulus triumphalis verwirrt, der die bei Walter 1913, S. 176 mit Anm. 1 zitierte Inschrift zierte.
  6. Schubart 1896, S. 391–396, 177.

Nachweise

  1. Nebe 1876, S. 292.
  2. Otte 1878, S. 401.
  3. UB Stadt Halberstadt Bd. 1, Nr. 159 S. 135.
  4. Schönermark 1889, Sp. 184 f.
  5. Schubart 1896, S. 264 (nur der zweite Vers).
  6. BKD, S. 363.
  7. Walter 1913, S. 199.
  8. Glockenmuseum Gescher, Handzeichnung Halberstadt Nr. 7, 8.
  9. Hartmann 1964, S. 205.
  10. Glocken der Heimat 1996, S. 9.
  11. Peter 1998 b, S. 1, 2 f.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 4 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0000406.