Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 251 Dom, Langhaus, südliches Seitenschiff 1608

Beschreibung

Bildepitaph für die Familie eines Dompredigers, Domschatz Inv. Nr. 386; an der Südwand des östlichsten Joches des südlichen Seitenschiffs,1) Öl auf Leinwand auf Holz; zweiflügeliges Tafelgemälde, in farbig abgesetztem, profiliertem und mit Buckeln und Pyramidenquadern geschmückten Holzrahmen. Darin in einem von Säulen gegliederten Raum, der den Ausblick freigibt auf eine Stadtarchitektur und eine Landschaft die siebzehnköpfige Familie, im Hintergrund ein Bücherregal. Auf dem linken Flügel die männlichen Familienmitglieder stehend, die weiblichen auf dem rechten Flügel, teils stehend teils kniend, alle in der Tracht ihrer Zeit, die Lebenden mit kleinen rosenbestickten Käppchen, die Verstorbenen mit dunklen Pelzbüscheln, die Hände z. T. gefaltet. Die Verstorbenen außerdem mit einem roten Krückenkreuz zu Häupten bezeichnet. Die ungetauft verstorbenen Kinder mit zusätzlichem schwarzen Kreuz auf weißem (Tauf?)Gewand. Anstelle eines goldenen Kreuzes um den Hals der verstorbenen Mädchen tragen die noch lebenden Agraffen an der Kleidung, die noch lebenden jüngeren Söhne ein Kreuz, einmal einen Apfel in Händen, die älteren mit Handschuhen, der Prediger selbst mit Evangelienbuch, seine Frau ebenfalls mit goldenem Kreuz in Händen. Am rechten oberen Rand der linken Tafel eine Kreuzigungsdarstellung. Auf der Rückseite des linken Flügels zweizeilig die Spruchinschrift (A). Ein- oder zweizeilig über den Häuptern, zu Seiten oder zu Füßen der Dargestellten die Altersangaben (B). In der rechten unteren Ecke der linken Tafel die Künstlersignatur (C) eines Aug(ust) Riga?. Auf einer aufgeschlagenen Bibel am rechten Rand in mittlerer Höhe der linken Tafel zeilenweise das Bibelwort (D). Am oberen Kreuzarm der Kreuzigungsdarstellung in der oberen rechten Ecke der linken Tafel der Kreuztitulus (F). Auf den Agraffen der noch lebenden Mädchen die Schmuckinschriften (F).

Maße: H. 101 cm, B. 267,5 cm, T. 5,5 cm, Bu. 0,2–0,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, E, F), humanistische Minuskel (C, D).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/4]

  1. A

    AEDIFICANT ALII NOBIS, NOS POSTERITATI, /SIC PRIUS ACCEPTUM REDDIMUS OFFICIUM2)

  2. B

    AET(ATIS)a) / 4 . // AET(ATIS) 10 . // AET(ATIS)b) / 24 . WO=/CHEN . // AET(ATIS)b) 3 . // AET(ATIS)b) 11 · // AET(ATIS) 19 ·// AET(ATIS) 25 . // AET(ATIS) 25 . // AET(ATIS) S(VI) 48 // AET(ATIS) 6 · // AET(ATIS) 8 . // AET(ATIS)b) 2 . AET(ATIS)b) 6 . AET(ATIS)b) 15 . // AET(ATIS)b) 13 · // AET(ATIS)b) 24 / WOCHEN . // AET(ATIS) 47 .

  3. C

    ANNO : 1 . 6 . 08 . faciebat Aug . Riga[.]

  4. D

    SI Deus pro / nobis quis con=/trac) nos?3) / Rom.d) / 8

  5. E

    I(ESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDEORUM)4)

  6. F

    N[..]ANAe) · TR // NRIAND RI[.]

Übersetzung:

A: Es bauen andere für uns, wir für die Nachwelt; so geben wir den früher empfangenen Dienst zurück. B: Im Alter von … C: Im Jahre 1608 schuf (dieses) August Riga(.). D: Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein, Römer 8. (Kapitel). E: Jesus aus Nazareth, der König der Juden.

Versmaß: Elegisches Distichon, einsilbig rein leoninisch gereimt (A).

Kommentar

Die humanistische Minuskel in den Inschriften C und D wird ohne Serifen ausgeführt.

Die Epitaphfunktion des Bildnisses erweist sich durch die Kreuzigungsdarstellung am rechten oberen Rand der linken Tafel.5) Es handelt sich jedoch bei diesem Werk nicht wie angenommen um ein Epitaph für den ersten Domprediger Martin Mirus. Er war nur zwei Monate, vom September bis zum November 1591, am Dom tätig und starb kaum zwei Jahre später in Dresden.6) Das Werk wurde nach seiner Signatur erst 1608 geschaffen. Eine Entstehung nach Mirus’ Tode ist wegen des fehlenden Sterbekreuzes über dem Kopf des Predigers und seines angegebenen Alters von 48 Jahren unwahrscheinlich. Das Gemälde hätte, wenn es Mirus darstellte, im Jahr 1580 entstanden sein müssen. Als Abgebildete kommen ehestens die Familien der nachfolgenden Domprediger in Frage. Nicolaus Schulze (oder Sueltzen) hielt am 26. September 1591 als Diakon oder zweiter Domprediger seine Antrittspredigt,7) Johannes Terellius wurde 1608 als Domprediger verpflichtet.8) Er war seit 1597 Prediger an St. Blasii in Nordhausen gewesen, wurde jedoch dort drei Jahre später abgelöst.9) Im Jahr 1605 taufte er zwei Juden, weiter veröffentlichte er Predigten und religiöse Schriften z. T. zusammen mit Johannes Reineccius, der ebenfalls Halberstädter Domprediger war.10) Dieser gibt in einer Verteidigungsschrift nach seiner Suspendierung 1623 an, daß er insgesamt 15 Jahre, davon anderthalb Jahre als Kaplan und danach gemeinsam mit Terellius bis zu dessen Tod an der Pest 1611, also seit 1608 Domprediger war.11) Als einen seiner vier Vorgänger nennt er auch einen sonst nicht erwähnten Daniel Sachs, der jedoch schon 1605 starb und deshalb hier nicht in Frage kommt.12) Der Künstler des Bildepitaphs, der vielleicht August Riga[.] oder ähnlich hieß, war nicht zu ermitteln.

Textkritischer Apparat

  1. AETATIS] Wie die folgenden jeweils durch vertikal übereinander angeordnete quadratische Punkte gekürzt.
  2. AETATIS] Durch Kreuz als verstorben bezeichnet.
  3. contra] Trennzeichen: Doppelstrich auf der Grundlinie.
  4. Rom.] Durch vertikale Doppelpunkte gekürzt.
  5. N[..]ANA] Das erste N retrograd.

Anmerkungen

  1. Vor 1896 im Neuen Kapitelsaal; vgl. Hermes 1896, S. 135; dort wohl noch 1927, siehe Doering 1927, S. 61.
  2. Vgl. die sinnverwandten Dankbarkeits-Motti „Posteritati“ und „Acceptum redditur officium“ mit den zugehörigen Emblemata; Henkel/Schöne, Sp. 160 und 672.
  3. Rm 8,31.
  4. Io 19,19.
  5. Vgl. zum Bildepitaph als Gattung RDK Bd. V, Sp. 876 ff., 898 f., 903; Weckwerth 1956, S. 147–185, bes. S. 176 f.; Tebbe 1992, S. 9–67 bes. S. 13.
  6. Zuerst als Bildnis der Familie Mirus erwähnt von Hermes 1896, S. 135; in der Folge: BKD, S. 296; Doering 1927, S. 61. Zu Mirus vgl. Nebe 1880, S. 27 und Anm. 1; Langenbeck 1886, S. 90 f.; Zedler Bd. XXI, Sp. 450; ADB Bd. 22, S. 1.
  7. Vgl. Langenbeck 1886, S. 91 f. und Anm. 5; Reineccius 1624, III. Bericht an die Herrn Consulenten.
  8. Ebd.; vgl. auch Opel 1869, S. 402, der angibt, daß Terellius schon 1601 und 1604 für je drei Jahre als Halberstädter Domprediger berufen worden sei.
  9. Vgl. Zedler Bd. XLII, Sp. 956.
  10. Vgl. Zedler Bd. XXXI, Sp. 589.
  11. Reineccius 1624, III. Bericht an die Herrn Consulenten.
  12. Ebd.; erwähnt auch in dem dessen gleichnamigen Sohn gewidmeten Artikel bei Zedler Bd. XXXIII, Sp. 233. Sein Grabdenkmal ist in der Halberstädter Martinikirche erhalten; vgl. BKD, S. 408 Nr. 6. Siehe dazu DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 223.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 251 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0025106.