Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 188 Dom, Chor 1. V. 16. Jh.

Beschreibung

Altarretabel und Predella des Hochaltars im Chor, Domschatz Inv. Nr. 409; ehemals im ersten Joch von Osten des nördlichen Seitenschiffs;1) Eichenholz, farbig gefaßt, die z. T. großflächigen Fehlstellen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert.2) Die mittlere Tafel mit vielfiguriger Kreuzigung; der linke Flügel zeigt innen die Begegnung an der Goldenen Pforte über Mariä Tempelgang und außen die Hl. Sippe.3) Auf der Innenseite des rechten Flügels ist oben das Martyrium des hl. Georg im Bleikasten, darunter seine Enthauptung zu sehen, auf der äußeren Seite der hl. Georg, der den Drachen überwindet. Auf der Predella von links nach rechts: Sebastian, Rochus,4) Erasmus, Anna Selbdritt, der Apostel Johannes, Antonius Eremita, Georg und Christophorus. Am Kreuzbalken aufgemalt der Kreuztitulus.

Maße: H. 210 cm (141 cm ohne Predella), B. 356 cm (Mittelteil 178 cm, die Flügel je 89 cm), T. 40 cm (Predella), Bu. 1,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. i(hesus) · n(azarenus) · r(ex) · i(udeorum) ·5)

Übersetzung:

Jesus aus Nazareth, König der Juden.

Kommentar

Die Schaftenden sind ebenso wie die Fahne des r, deren Zierstrich vertikal abwärts am Ende leicht nach rechts umgebogen wird, zu Quadrangeln reduziert. Als Worttrenner benutzte man Quadrangel. Der Buchstabenbestand ist für eine Datierung zu gering.

Busch hatte das Altarblatt dem Meister des Hildesheimer Johannesaltars zugewiesen, Stange sah es als Frühwerk des Meisters der Halberstädter Kruzifixustafel (vgl. Nr. 120, 121) an.6) Nach Gmelin stammt das Retabel vom Meister des Braunschweiger Sippenaltars und ist zeitlich um 1520 einzuordnen.7) Der Altaraufsatz könnte ursprünglich den Altar in der Marienkapelle geschmückt haben. 1436 war dieses altare in crypta nach der Einsetzung eines zweiten Vikars mit dem Georgsaltar vereinigt und nach diesem Heiligen benannt worden.8) Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts könnte dann das Retabel, dessen Bildprogramm auf den Flügeln beiden Patrozinien gerecht wird, an die Stelle des möglichen Vorgängers – der Madonna mit der Korallenkette (vgl. Nr. 84) – getreten sein. Dieses Gemälde wäre demnach damals auf einen zweiten Altar in der südlichen Nische der Kapelle versetzt worden, wo es sich noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts befand.9) Das Altarblatt des Georgsaltars samt der Predella könnte bei der Auflösung des Cyters, in dem 1465 die Paramente aufbewahrt worden waren,10) die sich aber zumindest teilweise bis zur Auflösung des Domstifts am 1. Dezember 1810 in der Marienkapelle befanden,11) ins erste Joch des nördlichen Seitenschiffs gebracht worden sein, wo Büsching es 1817 sah und als „ein(en) verletzte(n) und verschobene(n) Altar“ bezeichnete.12)

Anmerkungen

  1. Büsching 1819, S. 253 f.
  2. Gmelin 1974, Kat. Nr. 136 S. 420.
  3. Vgl. zur Hl. Sippe Esser 1986, bes. G 05 S. 196.
  4. Gmelin 1974, S. 420 nennt Jakobus d. Ä.; es scheint sich jedoch nach der Verweisgeste der linken Hand auf die Wunde am linken Oberschenkel um den hl. Rochus zu handeln; so auch Stange 1967–1978 Bd. 1, S. 239. Vgl. auch LCI Bd. 8, Sp. 275–278 (K[laus] Welker).
  5. Io 19,19.
  6. Busch 1931, S. 208–211; Busch 1940, S. 29 f., 33 f.; Busch 1943, S. 106 f.; Stange 1954, S. 128 f.; Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 795 S. 239 f., vermischt die Bildthemen der Altäre Nr. 120 (Dominventar Nr. 395) und 188 (Dominventar Nr. 409).
  7. Gmelin 1974, S. 420 mit der Diskussion der älteren Forschung.
  8. LHASA Magdeburg, Rep. U 5, XVIIe, Nr. 66 von 1436 V 24. Georgsreliquien gab es im Dom offenbar reichlich. Die ersten hatte schon Bischof Bernhard im zehnten Jahrhundert aus Rom mitgebracht. Auch 974 bei der Weihe der Krypta und bei der Domweihe 992 werden solche erwähnt. Sie wurden in den Hauptaltar, in den Altar des Clemens und der Cäcilie, in den Kreuz- und in den Engelsaltar eingebracht, im Hauptaltar wurden damals allerdings auch schon Reliquien des heiligen Georg aufgefunden. Weitere brachte Konrad von Krosigk 1205 aus Konstantinopel mit. Vgl. GEH, S. 83, 86–88, 120. Der Georgsaltar wurde 1262 gestiftet und in den Jahren 1278, 1353, 1369 und 1387 ausgestattet oder erwähnt; vgl. UBHH Bd. 2, Nr. 1044 S. 256 f., 1335 S. 418 f.; Bd. 3, Nr. 2440 S. 538–540, 2493 S. 579 f.; Bd. 4, Nr. 2776 S. 128 f., 3001 S. 298.
  9. Büsching 1819, S. 241; Niemann 1824, S. 33. Vgl. Nr. 84 Anm. 2 und 4.
  10. Diestelkamp 1929 b, bes. S. 81 f.
  11. Domarchiv, Loc. I, Nr. 5 vom 10 Oct. 1816. Noch vor 1791 hatten sich „verschiedene Meßkleider der ehemaligen Stiftsherren“ offenbar auf dem Cyter bzw. in der Neuenstädter Kapelle befunden; vgl. Plato 1791, S. 324, 334.
  12. Wie Anm. 1.

Nachweise

  1. Busch 1931, Abb. 125.
  2. Busch 1940, Abb. 4 (Detail).
  3. Busch 1943, Abb. 206–208 (Detail).
  4. Gmelin 1974, Abb. 136. 1–136. 6.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 188 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0018808.