Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 185 Dom, Chorscheitelkapelle 1517

Beschreibung

Relief mit Szenen aus dem Marienleben. Der altarähnliche Aufbau ist in das mehrfach profilierte Gewände der spitzbogigen Blendnische1) an der Nordseite der Chorscheitelkapelle eingepaßt; heller Sandstein, an der Oberfläche stark beschädigt, vermutlich in Teilen überarbeitet oder erneuert. Die Darstellung in drei horizontale, etwa gleich große Zonen eingeteilt, an der unteren, dem Stipes gleichzusetzenden, in Hochrelief die Verkündigung Mariens: rechts Maria vor einem Betpult mit aufgeschlagenem Buch kniend, links dahinter der wesentlich größer dargestellte Engel, von dessen erhobener Hand ein Spruchband mit dem eingehauenen Antiphonanfang (A), dem Ave Maria, ausgeht, ganz links die kniende Gestalt des Stifters in Almutie und Superpelliceum, ein aufgeschlagenes Buch in Händen. In der mittleren Zone über der Mensa – aus vier einzelnen Teilen zusammengesetzt – die Geburt Christi: auf der Konsole fast vollplastisch Maria (rechts) und Josef (links) kniend in Anbetung des in der Mitte auf einem Lager liegenden nackten Kindes, hinter dem, wieder in Hochrelief, vier puttenartige Engel je ein Spruchband mit dem erhaben ausgeführten Text des Gloria (B) halten, darüber in einer Fensterarkatur die Köpfe von Ochs und Esel; im oberen linken Bogenzwickel der (überarbeiteten?) Platte die erhaben ausgehauene Jahreszahl (C), im mittleren und im rechten Zwickel je ein Wappen. In der oberen Zone in einer Art Tympanon in flacherem, stark beschädigtem Relief eine bergige Landschaft als Kulisse verschiedener Szenen: unten der Zug der Heiligen Drei Könige, die von verschiedenen Seiten mit Gefolge heranziehen. Auf einem von der Hand des in der Bildmitte dargestellten Königs ausgehenden Spruchband die fragmentarische Bildbeischrift (D). In der Bildmitte die Verkündigung an die Hirten, darin zentral der Engel mit leerem Schriftband, links daneben der bethlehemitische Kindermord, rechts die Flucht nach Ägypten. Unter dem Bogenabschluß als obere Szene eine Anbetung der Muttergottes auf der Mondsichel (Apokalyptisches Weib) durch zwei Adoranten. Die rechte Gestalt, bärtig und mit einem kappenartigen Hut bekleidet, stellt nach dem Inschriftenfragment vielleicht Joseph oder Johannes dar (man kann jedoch auch an Enoch oder Elias denken, die wie Maria leiblich in den Himmel aufgenommen wurden), rechts neben dem Kopf einzeilig eingehauen der fragmentarische Titulus (F), links vielleicht ein Engel. In den unteren Ecken des Bogenfeldes zwei an Felsen aufgehängte Wappen, das heraldisch linke mit fragmentarisch erhaltener Beischrift (E).

Maße: H. 350 cm, B. 185 cm, T. 37,5 cm, Bu. 3–4 cm (A), 2,5–3 cm (B), 3,9–6,5 cm (C), 2–2,5 cm (D), 2,5–3 cm (E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal der gotischen Majuskel (B), Frühhumanistische Kapitalis (A), Kapitalis (D, E, F).

Markus Scholz, Halle [1/5]

  1. A

    AVE / [MARIA GR]ACIAa) PlENAb) // DOMINVS [TEC]VM2)

  2. B

    Gl(ori)a // in · excels(is) // · deo // lav//dam(vs) · te · // B[e]ne//dici(mvs) · tec) // Ad//oramvs // · te ·3)

  3. C

    1517d)

  4. D

    [W]Ee) · B[IST] / [D]V · FRVNTf) ·

  5. E

    ASS[– – –]g)

  6. F

    S [.] IO[– – –]h)

Übersetzung:

A: Gegrüßet seist du [Maria?], voll der Gnade, der Herr ist mit dir. B: Ehre sei Gott in der Höhe. Wir loben dich. Wir preisen dich. Wir beten dich an.

Wappen:
Mahrenholtz4), Asseburg5)
Mahrenholtz4), Asseburg5).

Kommentar

Die Schrift von A weist keilförmige Verbreiterungen bzw. Serifen an Schaft-, Balken- und Bogenenden auf. Der Deckbalken des A steht nach links über, der Mittelbalken ist nach unten gebrochen. Im Wort Adoramus ragt der Deckbalken über beide Seiten hinaus. Typisch für die Frühhumanistische Kapitalis ist das vorkommende zweibogige E. P zeigt einen großen oblongen Bogen. Auch der Bogen des unzialen D ist oblong geformt. O kommt nur mandelförmig vor. Die Seitenhasten des M sind leicht schräggestellt, der Mittelteil verkürzt. Von den Versalien in B sind die Bogenenden des G keilförmig verbreitert, eingerollt und ohne Brechung. Die gotische Minuskel weist keine auffälligen Besonderheiten auf und ergibt ein sehr regelmäßiges Gesamtbild.

Während die Inschriften A und B als Bibelstelle bzw. Antiphonanfang für Bildbeischriften nicht ungewöhnlich sind, bezieht sich die Inschrift D wohl auf die Legende der Heiligen Drei Könige. Sie fußt aber weder auf der Legenda Aurea noch direkt auf der Historia Trium Regum des Johannes von Hildesheim.6) Vermutlich war sie Teil einer deutschen Bearbeitung dieses Textes. Sie gibt den Augenblick wieder, als die einander noch unbekannten Heiligen Drei Könige sich am Kalvarienberg bei Jerusalem nach der Lichtung eines Nebels, der sich auf das Land gelegt hatte, zum ersten Mal begegnen.7) Diese Begegnung könnte in diese Worte gefaßt gewesen sein. Das Bildwerk gehört in einen Zusammenhang mit den Werken des sog. Katharinenmeisters, der im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts mehrere, teils mit Inschriften versehene Bildwerke für den Dom und die Liebfrauenkirche schuf (Nr. 162, 163, 165).8) Der Stifter des Reliefs war angesichts seiner geistlichen Würde und ausweislich des Wappens wahrscheinlich der Domdekan Johann von Mahrenholtz, der in der fraglichen Zeit – neben einem Verwandten Conrad von Mahrenholtz (vgl. Nr. 181) – als einziger seines Geschlechts Sitz im Domkapitel hatte (vgl. zu ihm auch Nr. 178, 179, 181, 192). Überdies war sein Vater, belegt seit 1468 bis vor 1505, dessen Namen Lentz mit Hans angibt, in zweiter Ehe mit einer von der Asseburg verheiratet.9) Den Wappen auf dem Relief zufolge müßte Johann von Mahrenholtz dieser zweiten Ehe entstammen.

Textkritischer Apparat

  1. GRACIA] An dieser Stelle ist das Spruchband modern ergänzt und leer. Der zur Verfügung stehende Platz reicht – schließt man die Rückseite des Schriftbandes nach AVE ein – für die Anbringung des Namens MARIA vor GRACIA.
  2. PlENA] Eingestreutes Minuskel-l.
  3. te] tibi Haber, Elis.
  4. 1517] 1514 BKD.
  5. WE–DV] Ergänzungen nach Haber. Wo Müller.
  6. FRVNT] Frünt Müller.
  7. ASS[– – –]] Zu ergänzen wohl zu ASSEBVRG.
  8. S[.] IO[– – –]] Vermutlich zu S(ANCTVS) IOSEFVS oder ähnlich zu ergänzen.

Anmerkungen

  1. Sie war, wie auch die gegenüberliegende, noch am Ende des 19. Jahrhunderts mit einem niedrigen Gitter eingefaßt, das das mahrenholtzsche Wappen trug; vgl. Hermes 1896, S. 70; BKD, S. 294.
  2. CAO Vol. III, Nr. 1539 nach Lc 1,28.
  3. Die Eingangszeilen des Gloria; vgl. Schott, S. 386; vgl. auch CAO Vol. III, Nr. 2946.
  4. Geteilt, darin eine Rose; vgl. das abweichende Wappenbild bei Siebmacher Pr, S. 254 mit Taf. 304; ebd. BraA, S. 58 f. mit Taf. 34; ebd. AnhA, S. 39 mit Taf. 22. Das Wappen zweimal auf dem Bildrelief und in den Zwickeln von Ochs und Esel.
  5. Ein springender Wolf; vgl. Siebmacher AnhA, S. 4 f. mit Taf. 2.
  6. Vgl. zu Johann von Hildesheim LexMA Bd. V, Sp. 581 (B[irgit] Gansweidt).
  7. Historia gloriosissimorum trium regum, cap. XV, ohne Foliierung oder Seitenzählung.
  8. Vgl. auch Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 53; BKD, S. 349 f. Nr. 1, 4.
  9. Lentz 1749, S. 308.

Nachweise

  1. Haber 1739, S. 39 (B, D).
  2. Müller 1795, S. 164 (D).
  3. Niemann 1824, S. 33 (C).
  4. Elis 1857, S. 63 f. (B, C).
  5. Hermes 1896, S. 70 mit Abb. S. 69.
  6. BKD, S. 294 (C).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 185 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0018507.