Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 157 Dom, Textilsaal 1501

Beschreibung

Meßkelch, Domschatz Inv. Nr. 7;1) Silber, vergoldet, geschmiedet, gegossen, getrieben, graviert, Grubenschmelz, Email abgeplatzt, Weinfraß in der Kuppa und am Rand. Sechspaßfuß, auf der Zarge des Standrings zwischen eingetieften Linien umlaufend graviert die Inschrift, die sich aus dem Versikel eines Responsoriums sowie einem Namen und Jahresangabe als Stifterinschrift (A) des Weihbischofs Matthias Kanuti (1496–1509) zusammensetzt. Aufgelötetes Profil aus Perldraht über der Zarge, über dieser zwischen Hohlkehlen eine weitere Zarge mit Kreuzbandornament, auf den Feldern sechs gegossene, mittels Ösen und Splinten befestigte Reliefs: 1) Kreuzigung, der Kalvarienberg ehemals mit grünem Email überzogen (Reste), auf dem Schriftband der gravierte Kreuztitulus (B), 2) Benedikt von Nursia als Mönch mit Abtsstab (Pedum) und Beutelbuch, 3) Laurentius mit Palmzweig und Rost, 4) ein von Klötzchen- (außen) und Zackenfries (innen) gerahmtes Wappen (Emaillasur abgeplatzt) 5) Maria Magdalena mit Salbgefäß und dessen Deckel in Händen, 6) Stephanus mit Steinen und Buch, der steile Anlauf in sechs gestürzte Dreieckfelder übergehend, der mehrfach profilierte Schaft mit gravierter Maßwerkarchitektur, steile Kuppa. Nodus in Treib- und Durchbrucharbeit mit Fensterarchitektur verziert, auf den Rotuli in (Gruben)Schmelztechnik die Anrufung (C).

Maße: H. 20,1 cm, D. 15,1 cm, Bu. 0,5 cm (A), 0,2 cm (B), 0,7 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal der gotischen Majuskel (A, B), gotische Majuskel (C).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/6]

  1. A

    Tuam deusa) deposcimus / pietatem vt eisb) tribuere / digneris lucidas et quietas / mansiones2) frater mathiasc) / indignus3) episcopus gadensis / Anno domini 1501

  2. B

    i(hesus) n(azarenus) r(ex) i(udeorum)

  3. C

    I//H//E//S//V//S

Übersetzung:

A: Deine Güte, Gott, erflehen wir, damit du ihnen helle und friedliche Wohnstätten zuteilen wollest.2) Bruder Matthias, der Unwürdige3), Bischof von Gada im Jahr 1501. B: Jesus von Nazareth, der König der Juden.

Wappen:
Bistum Gada4).

Kommentar

Der Schriftduktus ist ausgesprochen „kantig“ mit spitz ausgezogenen, „stacheligen“ Quadrangeln. Die Schaftenden der Inschriften A und B werden fast immer zu Quadrangeln reduziert und sind an Ober- und Unterlängen tief gespalten. Das a ragt weit in den Oberlängenbereich. Das s kommt sowohl geschlossen als auch in der Normalform vor. Der i-Punkt wurde als diakritisches Zeichen nur gesetzt wenn i neben Buchstaben, die nur aus Schäften bestehen, wie m oder n, steht, das u jedoch wegen fehlender Brechung der oberen Schaftenden davon deutlich zu unterscheiden ist.5) Die Buchstaben der Inschrift C sind abgeschlossen, in ihren Enden eingerollt, verschlungen und verziert.

Der Kelch zitiert einen Versikel zum Responsorium des Totenoffiziums Libera me und zeigt Benedikt von Nursia als Patron des Ordens, dem der Stifter angehörte, sowie drei der Dompatrone. Matthias Kanuti, ein Benediktiner, nahm wohl seit 1492, als er Titularbischof des Bistums Gada in Grönland geworden war, nachweislich aber seit 1496 die Aufgaben eines Weihbischofs der Diözesen Halberstadt und Magdeburg wahr, ein Amt, zu dem ihn Erzbischof Ernst von Sachsen (1475–1513) berufen hatte.6) Die Funktion hatte er zumindest bis zum Jahr 1509 inne, und er gilt als Berater und Vertrauter des Erzbischofs.7) Wahrscheinlich amtierte er aber bis 1514, als ein Nachfolger, Heinrich Lencker, belegt ist.8) Im Jahr 1500 stiftete er den Maria-Magdalenen-Hof für das Trüll- oder Lollardenkloster in Halberstadt.9) Die Trumeaufigur am Westportal des Domes, die jetzt im ersten Joch des nördlichen Seitenschiffs steht (vgl. Nr. 156 †), stiftete er ebenfalls. Daß er später lutherisch geworden sei, wie Winnigstedt und Abel behaupteten, läßt sich nicht verifizieren.10)

Textkritischer Apparat

  1. deus] Fehlt Hermes, Braun, Hinz.
  2. eis] ns Hermes, nobis Braun, Hinz.
  3. mathias] Matthias Hermes, Braun, Hinz.

Anmerkungen

  1. Lucanus 1866, S. 42 zu Nr. 38; Nebe 1889/1890, S. 88; Zschiesche 1895, S. 156; Hermes 1896, S. 89; BKD, S. 273; Doering 1927, S. 65; Braun 1932, S. 171; Hinz 1964, S. 208; Der heilige Schatz 2008, Nr. 44 S. 152–155 mit Abb. (Thomas Richter).
  2. Anfang eines Versikels des Responsoriums des Totenofficiums „Libera me“; vgl. CAO Vol. IV, Nr. 7091 Z.
  3. Siehe zu dieser in Urkunden üblichen Devotionsformel Fichtenau 1977, S. 49 ff.
  4. Ein Eisbär einen Bischofsstab schulternd. Das Bistum lag „in partibus infidelium“ in Grönland; vgl. Eubel 1898/1901, S. 174 f. Man weiß nicht, ob der Eisbär, wie der Weihbischof, da Kanuti die Genetivform von Knut bedeutet, auf diesen Namen hörte.
  5. Nach Dr. Harald Drös, Heidelberg „zeugt das von großer Vertrautheit mit der Schriftgestaltung“.
  6. Gatz 1996, S. 351 (Josef Pilvousek); Eubel 1898/1901, S. 174 f.; Walther 1735, S. 54 f.
  7. Magdeburg LHASA, Ms 317, Nr. 818, 832, 851 f., 1004, 1041; UB S. Bonifacii et S. Pauli, Nr. 382 S. 210; Kindscher 1893, S. 188. So erwarb Matthias Kanuti 1504 vom Abt des Klosters Riddagshausen etliche Reliquien für Erzbischof Ernst; vgl. Mock 2007, S. 223.
  8. Gatz 1996, S. 414 (Josef Pilvousek).
  9. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 1223 S. 436 f.; Lucanus 1806, S. 177.
  10. Abel 1732, S. 370; Abel 1754, S. 460.

Nachweise

  1. Lucanus 1866, S. 43 (A).
  2. Nebe 1889/1890, S. 88 (A teilweise).
  3. Zschiesche 1895, S. 156 (A teilweise).
  4. Hermes 1896, S. 89 (A).
  5. Braun 1932, S. 171 (A).
  6. Hinz 1964, S. 208 Anm. 63.
  7. Der heilige Schatz 2008, Nr. 44 S. 152–155 mit Abb. (Thomas Richter) (A teilweise, C).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 157 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0015703.