Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 130 Dom, Textilsaal 15. Jh.

Beschreibung

Pontifikalhandschuh,1) Domschatz Inv. Nr. 307;2) Leinen, Nadelarbeit,3) Seiden- und Metallfadenstickerei, die Mitte des Rückens mit Pflanzenornamenten bestickt. Ein Flechtband aus Goldfäden umrahmt die eingestickte, jeweils von außen zu lesende dreifache Anrufung (A), die auf drei Seiten von Pflanzenornamenten umgeben ist. Am Handgelenk umlaufend und von Zickzackfriesen und wellenförmigen Goldfäden gerahmt, auf der unteren Seite links beginnend die Bitte (B). Das Schlupfende mit einer Borte aus roten und grünen Seiden- sowie Goldfäden besetzt, der Schlitz an der rechten Seite des Schlupfes innen mit einem grünen Seidenstreifen gesäumt, am unteren rechten Ende des Schlupfes eine Schlaufe aus grüner und roter Seide.

Maße: L. 26,4 cm, B. 12 cm, Bu. 0,7–1 cm (A), 0,8 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel mit Elementen der Kapitalis.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Karl Geipl) [1/2]

  1. A

    AMRIAa) / IHESVSb) / ANNA

  2. B

    + O LEVE MARIA RELIM[.]c)

Übersetzung:

B: O liebe Maria …

Kommentar

Die Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden zeigen ausgeprägte Wölbungen. Der Deckbalken des flachgedeckten A steht beidseitig über. Unziales E ist durch einen nach innen gebogenen Abschlußstrich geschlossen. Das I weist in seiner Schaftmitte einen Nodus auf. M findet sich nur in der symmetrischen unzialen Form. Die Cauda des R ist nach außen gebogen.

Da die Schrift alleine keine Präzisierung der Entstehungszeit erlaubt, wird hier in Kombination mit dem kunsthistorischen Befund datiert.4) Ornamentale Stickereien statt eines Circulus auf dem Rücken der Handschuhe kennzeichnen eine Entwicklung des späten Mittelalters, und die Halberstädter Exemplare geben dafür ein gutes Beispiel. Die Ausstattung des Gewebes mit Inschriften ist selten belegt, gelegentlich findet sich besonders im 16. Jahrhundert die Anrufung des Namen Jesu.5) Dem entsprechen in etwa die Anrufungen auf dem Rücken des Stücks. Weil das Gegenstück für die linke Hand fehlt, kann keine Aussage über das inschriftliche Programm getroffen werden. Vorbehalten waren die chirothecae eigentlich den Bischöfen, und sie sollten nur während der Messe und nur bis zur Händewaschung vor der Opferung Verwendung finden.6) Allerdings mag es auch in Halberstadt eine Erlaubnis für bestimmte Dignitäre gegeben haben, ebenfalls chirothecae zu tragen, und auch ihre ausschließliche Nutzung während der Messe mag einen Wandel erfahren haben, so daß weder der Kreis der Träger noch die Funktion des liturgischen Bekleidungsstücks eingeschränkt werden können.7)

Textkritischer Apparat

  1. AMRIA] Sic! Für MARIA.
  2. IHESVS] Der zweite Buchstabe beschädigt.
  3. RELIM..] Vielleicht für HELF M[IR]? Der erste Buchstabe dann beschädigt oder verballhornt. Anstelle eines R ist dann ein H zu lesen. Der vierte Buchstabe wäre dann als F statt eines I zu entziffern. Zum nun folgenden Wort hätte dann keine Worttrennung stattgefunden.

Anmerkungen

  1. Vgl. zum Begriff und allgemein Bock 1859–1871 Bd. 2, S. 131–147; Braun 1907, S. 359–384; Braun 1924, S. 154–158.
  2. LHASA Magdeburg, Rep. A 14 Nr. 1852 von 1717 nennt „Im andern Fach … 3 Sauber ge. rih. tet Bischöfliche Hanschu von Zuam (?) / bund gestickt“, im Zusatz vom 30. Mai 1718 heißt es: „Ein Paar gestickte Bischhofs Handschu mit Perlen / gestickt e…menen“. Erwähnt von Lucanus 1866, S. 60, der unter den Inv. Nr. 17–19 „vier Stück gestickte Bischofshandschuhe“ nennt; Nebe 1889/1890, S. 86; Zschiesche 1895, S. 154; Hermes 1896, S. 112; BKD, S. 286; Braun 1907, S. 178 f. mit Abb.; Doering 1927, S. 72; ganz allgemein und ähnlich wie Lucanus ohne genaue Zuordnung Meyer 1936, S. 17 und Hinz 1964, S. 182; Wilckens 1991, S. 338; Der heilige Schatz 2008, Nr. 74 S. 262–265 mit Abb. (Evelin Wetter). Weitere Pontifikalhandschuhe des 14. und 15. Jahrhunderts werden in Halberstadt im Domschatz unter den Inv. Nr. 139, 306, 308, 309 aufbewahrt.
  3. Braun 1907, S. 378; Braun 1924, S. 155 nennt die Halberstädter Handschuhe gestrickt.
  4. Braun 1907, S. 370, 376, 378 mit Abb. S. 373, die zwei weitere, etwa zeitgleich entstandene Halberstädter Pontifikalhandschuhe zeigt; Braun 1924, S. 155.
  5. Bock 1859–1871, S. 147 f. mit Abb. Taf. XIX und XX.
  6. Braun 1907, S. 360; Braun 1924, S. 154.
  7. Braun 1907, S. 367–369, 380–382; Braun 1924, S. 155, 157.

Nachweise

  1. Der heilige Schatz 2008, Nr. 74 S. 262 f. mit Abb. (Evelin Wetter).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 130 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0013002.