Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 95 Dom, Nordturm 1454

Beschreibung

Glocke „Osanna“, Sonntagsglocke;1) im ersten Glockengeschoß des Nordturms, seit 1997 in einem neuen hölzernen Bockstrebenstuhl; Bronze, Krone mit sechs Öhren, Kronenbügel von kantigem, abgefastem Querschnitt, schmucklos, Kronenplatte abgesetzt, Haube flach gewölbt abfallend. An der Schulter zwischen zwei Schnurstegen umlaufend, mittels Modeln geschaffene Glockenrede in erhaben ausgeführten Buchstaben mit Angabe des Gußjahrs, Nennung des Gießers und Angabe der Funktion. Am Wolm drei Stege, auf der Flanke ein Flachrelief des hl. Stephan, darunter ein Wappen, an der gegenüberliegenden Seite ein weiteres Wappen. Gewicht: ca. 4820 kg, Schlagton: b°–1.2)

Maße: H. 154 cm, Krone 34 cm, D. 200 cm, Bu. 7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/3]

  1. + Ma) · c q(ua)drata · l · q(ua)tuorb) j · sociataJoha(n)nes floris · octobris me facitc) horisd)3)Osanna(m) fatame) · sociam du(n)nef) sociata(m)g)

Übersetzung:

Als M, viermal c, l, vier i miteinander verbunden waren, stellt Johannes Floris in der Oktoberzeit3) mich her, Osanna geheißen, als Genossin der Donna zugesellt.

Versmaß: Drei leoninische Hexameter, zweisilbig rein gereimt.

Wappen:
Hochstift Halberstadt/Burchard von Warberg,4) Burchard von Warberg5).

Kommentar

Die Schrift wird nicht zuletzt durch die Zierformen der Buchstabenenden mitbestimmt. Der linke Bogen des symmetrischen offenen unzialen M endet, wie auch der Schaft des J, in einer herzförmigen Blattranke, sein Mittelschaft, ebenso der Deckbalken des J, ist am unteren Ende gegabelt und mit einem Nodus in der Schaftmitte versehen. Der linke Bogenabschnitt des oberen Bogens des doppelstöckigen a ist geschwungen und endet in einem Kleeblatt. Das i nach c und r beginnt am oberen Schaftende mit geschwungenem Zierstrich anstelle eines Punktes. Die Bogenenden des s weisen Diagonalstrichlein auf. Zu zwei verbundenen Quadrangel reduziert wird ein offenes a oberhalb des q gestellt um ua abzukürzen. Als Worttrenner werden Quadrangel auf der Zeilenmitte verwendet. Die Bögen bzw. Balken und Schäfte der Versalien weisen Schwellungen auf.

Die Osanna war, wie ihrer Inschrift und den die Tonintervalle spiegelnden Gewichtsverhältnissen zu entnehmen ist, auf die größte Domglocke, die Dunna, abgestimmt.6) Sie war dieser im Südturm befindlichen Festtagsglocke kurz vor deren Zerstörung durch einen Brand am 5. Dezember 1454 beigegeben worden.7) In einer Urkunde von 1454 XII 31 heißt es, daß für eine „solemnem campanam pro dei gloria et eiusdem nostre ecclesie decore de novo fusa“ die Hälfte der Ablaßgelder des Heiligen Jahres bezahlt worden sei.8) Eine Stiftung aus dem Jahr 1458 bestimmte, daß sie an den Festen der Heiligen Ambrosius (4. April) und Servatius (13. Mai) geläutet werden solle, mithin auch die Funktion einer Festtagsglocke wahrnahm. Der Gießer der Osanna, Hans Blume (Johannes Floris), hatte vielleicht schon 1439 zwei weitere große Glocken für St. Martin in Halberstadt gegossen und schuf 1457 eventuell auch die neue Festtagsglocke (Dunna) und 1470 oder früher die inschriftlich belegte Uhrschlagglocke des Doms.9)

Textkritischer Apparat

  1. M] Vor dem Buchstaben ein aus Quadrangeln gebildetes Kreuz.
  2. quatuor] Über dem q ein hochgestelltes offenes a aus zwei zusammengesetzten Quadrangeln als Kürzungszeichen für die Buchstaben ua.
  3. facit] Sic! Unter diesem Wort das Relief des heiligen Stephan.
  4. horis] honoris Peter/Bund.
  5. fatam] factam Haber, Jacobs, Nebe, Hermes, Schupp.
  6. dunne] Dominae Haber, Jacobs, Nebe, Hermes, Schupp, dunn Glocken der Heimat, dune Peter/Bund.
  7. sociatam] nominatam UB Stadt Halberstadt.

Anmerkungen

  1. So zuerst in der Geläuteordnung des Halberstädter Doms vom Ende des 16. Jahrhunderts, wonach an „gemeinen Sonn=Tagen“ zum Ein- und Ausklang mit der Osanna geläutet wurde; vgl. LHASA Magdeburg, Rep. A 14 Nr. 1052, fol. 13v; siehe auch Odenthal 2005, S. 271. Haber 1739, S. 15 bezeichnet sie als Sonntagsglocke, danach Niemann 1824, S. 30, Jacobs 1873, S. 508, Nebe 1876, S. 288 „dient jetzt als Sonntagsglocke“, Hermes 1896, S. 24, Peter/Bund 1997, S. 344, 346. Daß es sich auch um eine Festtagsglocke gehandelt haben könnte, erwägen Peter/ Bund 1997, S. 344; vgl. dazu auch unten bei Anm. 8.
  2. So das 1997 ermittelte Gewicht; vgl. Peter 1999, S. 127. Peter/Bund 1997, S. 335 und 346 schätzten ca. 5  500 kg. Das tatsächliche Gewicht paßt ungefähr zu dem im Dominventar von 1465 angegebenen Gewicht von centum centenarios = 100 Zentnern; vgl. Diestelkamp 1929 b, S. 87.
  3. Oktober 1454.
  4. Gelehnt, quadriert, 1./4. Hochstift Halberstadt, 2. Tatzenkreuz mit stark verbreiterten Enden, 3. Warberg; vgl. Siebmacher Bi, S. 144 und Taf. 226; ebd., SAa, S. 178 und Taf. 116.
  5. Gelehnt, quadriert, 1./4. Warberg, 2./3. Tatzenkreuz mit stark verbreiterten Enden, vielleicht das persönliche Wappen Burchards. Vgl. zu Burchard von Warberg Lentz 1749, S. 278–285, Boettcher 1913, S. 296–311, Averkorn 1997, S. 43 f., Gatz 1996, S. 735 f. (Josef Pilvousek); UB Stadt Magdeburg Bd. 2, Register S. 822, RG Regesten, Pont. Eugen IV., I. Bd. Nr. 281, RG Bd. IV, Sp. 309, ebd., Bd. VI, Nr. 599.
  6. Vgl. zu ihr Nr. 97 †. Zu Glockeninschriften sich auf einander beziehender Glocken vgl. Otte 1883, S. 443 f. Zur klanglichen Abstimmung beider Glocken vgl. Peter/Bund 1997, S. 327, Peter 1997, S. 110 und Peter 1999, S. 127 f.
  7. Vgl. dazu Nr. 97 †, BKD, S. 236 und 267. Dagegen Haber 1739, S. 9 und 16 sowie Jacobs 1873, S. 509 und Anm. 1 und Nebe 1876, S. 288 zum Jahr 1455.
  8. LHASA Magdeburg, Rep. U 5, XII, Nr. 55 von 1454 XII 31. Elis 1883, S. 45 bezieht den urkundlichen Beleg von 1454 XII 31, also direkt nach dem Brand, auf den Neuguß der Dunna. Diestelkamp 1929 b, S. 84 Anm. 27 weist dies jedoch mit dem Hinweis auf den Wortlaut der Urkunde zurück, weil die Glocke als schon gegossen, fusa, erwähnt wird, die Dunna jedoch erst 1457 gegossen wurde; vgl. zur Glockenstiftung BKD, S. 268 und Nr. 97 †.
  9. Vgl. Niemann 1824, S. 30, Nebe 1876, S. 290 Nr. 3, Hermes 1896, S. 24, BKD, S. 399 Nr. 2 und 3, Walter 1913, S. 697, Hartmann 1964, S. 190 und 208 f. weist ihm nur eine noch erhaltene Glocke von 1439 zu, ebenso Glocken der Heimat 1996, S. 10, Peter/Bund 1997, S. 327 f. und 331, Peter 1999, S. 127–131; vgl. außerdem Nr. 97 †, 99 †. Peter 1997, S. 111 vermutet in ihm vielleicht einen „Halberstädter Meister“.

Nachweise

  1. LHASA Magdeburg, Rep. A 15, Tit. D, Nr. 5.
  2. Haber 1739, S. 15.
  3. Jacobs 1873, S. 508 f.
  4. Nebe 1876, S. 288.
  5. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 980 S. 200.
  6. Hermes 1896, S. 24.
  7. BKD, S. 267 f.
  8. Hartmann 1964, S. 206.
  9. Glocken der Heimat 1996, S. 6.
  10. Peter/Bund 1997, S. 336.
  11. Peter 1999, S. 147, Glocke I.
  12. Schupp 2007, S. 153.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 95 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0009506.