Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 84 Dom, Neuer Kapitelsaal 1. D. 15. Jh.

Beschreibung

Altarretabel, ehemals dreiteilig, Mitteltafel und linker Flügel erhalten, Domschatz Inv. Nr. 394; seit vor 1837 im Neuen Kapitelsaal1) ehemals in der südlichen Nische der Chorscheitelkapelle2); Eichenholz, Tempera; die Außenseite des linken Flügels stark abgeblättert; Rahmen mit abgefaster Kante, der mit schablonierten vergoldeten Blüten geschmückt ist. Auf der linken Tafel innen Johannes der Täufer mit Buch in der Linken und an ihm aufspringendem Lamm; die verlorene rechte Tafel wird innen analog dazu Johannes den Evangelisten gezeigt haben. Auf der Mitteltafel in einem Architekturrahmen auf einem Thron sitzend die Madonna mit Kind auf dem Schoß, das mit ihrer Korallenkette spielt; in den Baldachinen der Architektur links Petrus, den Schlüssel im Arm, ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien, rechts Paulus mit Buch und Schwert, über den Säulenkapitellen vier weitere Heilige, welche die Evangelisten darstellen könnten. Die Hl. Jungfrau ist umgeben von vier weiblichen Heiligen, links Katharina, Schwert und Rad hinter sich, vor Maria Magdalena mit dem Salbgefäß, rechts Anna mit einer Schale Weintrauben hinter der heiligen Barbara mit Monstranz. Zwischen den Heiligen ein Engelchor sowie Akelei und Glockenblumen in Vasen, in einer Kielbogennische in der Mitte der Architektur ein weiterer Engelchor. In die Kronreifen der gekrönten Jungfrau Maria und der jungfräulichen Märtyrerinnen Katharina und Barbara aufgemalt und mit winzigen Perlen beklebt die Tituli (A, C, E) und jeweils in der Mitte die von Perlenkreisen gerahmten Initialen (B, D, F), auf dem Abschluß des Kleides Mariens sowie auf den Mantelschließen der heiligen Katharina und Barbara die in Perlkreise eingestellten Initialen (G–I). Die Rückseiten der beiden Flügel zeigten eine Verkündigung, von der nur noch die Jungfrau auf dem linken Flügel vorhanden ist. Auf einem Spruchband kaum noch lesbar das einzeilige aufgemalte Bibelzitat (J).

Maße: H. 121,2 cm (ohne Rahmen: 107 cm), B. 175,9 cm (Mitteltafel ohne Rahmen: 102 cm), T. 4 cm, Bu. 0,7–1 cm (A, C, E), 1,1 cm (B, D, F), 1,1–2,2 cm (G–I), 2,2–2,8 cm (J).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Bildarchiv Foto Marburg [1/5]

  1. A

    vi(rgo)a) sancta · mar(ia)b)

  2. B

    m(aria)

  3. C

    sanct//ac) · katerin(a)d)

  4. D

    k(aterina)

  5. E

    sanc(ta)e) barbara ·

  6. F

    b(arbara)

  7. G

    m(aria)f)

  8. H

    k(aterina)

  9. I

    b(arbara)

  10. J

    ecceg) // ancillah) · domini · fiat · mi[hi]3)

Übersetzung:

A: Die heilige Jungfrau Maria. C: Die heilige Katharina. E: Die heilige Barbara. J: Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe [nach deinem Willen].

Kommentar

Die Minuskel mit breiten Proportionen erhält durch die Perlen auf fettem Strich einen besonderen Akzent. Ihre Linienführung ist nicht sehr gleichmäßig. Die Oberlängen sind meistens nicht ausgeführt. Brechungen sind an Schaft- und Bogenenden zu Quadrangeln reduziert. Der obere Bogenabschnitt des c ist meist waagerecht, einmal auch im spitzen Winkel abgeknickt. Schlecht gelungen ist das k. Es besteht aus zwei fast gleich hohen Schäften, der linke mit schrägem oberen Abschluß, der etwas kleinere rechts mit Quadrangelabschluß. Der Balken verläuft durch den Schaft, verbreitert sich rechts hin und endet in einem dünnen, senkrechten Zierstrich. Als Worttrenner verwendete man Quadrangel in Kontur.

Das Retabel gehörte vermutlich zum Marienaltar der Marienkapelle, der Chorscheitelkapelle des Doms.4) Die Darstellung der Haupttafel verbindet den Bildtypus der „sacra conversazione“, des Heiligengesprächs, mit dem der „virgo inter virgines“.5) Die Figuren des linken Flügels, die Maria der Verkündigung auf der Außenseite und Johannes der Täufer innen, stehen stilistisch den Glasmalereien des Halberstädter Marienfensters nahe (vgl. Nr. 65).6) Die aus Buchstaben gebildeten Perlenkronen der Jungfrauen finden sich auch in Werken des Konrad von Soest und des Meisters des Fröndenberger Altars.7) Die stilistische Einordnung und damit die Entstehungszeit wird immer noch kontrovers erörtert.8) Sie wird aber im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts anzusetzen sein. Vielleicht wurde das Altarblatt, wie Eva Fitz vermutet, 1415 in Auftrag gegeben, als Bischof Albrecht IV. (von Wernigerode) und das Halberstädter Domkapitel eine Vikarie am Altar der Marienkapelle einrichteten.9)

Textkritischer Apparat

  1. virgo] Kürzungszeichen fehlt. Der erste Buchstabe muß wohl wegen der fehlenden Umbrechung des unteren Schaftendes als v gelesen werden.
  2. maria] m unterbrochen durch ein Rundmedaillon mit Inschrift B, eine Haste überzählig. Vorschlag von Dr. Harald Drös, Heidelberg.
  3. sancta] Es folgt der von einem Perlenkreis eingerahmte Anfangsbuchstabe des Heiligennamens (D).
  4. katerina] Kürzungszeichen fehlt.
  5. sancta] Das Epitheton wird unterbrochen durch den von einem Perlenkreis eingerahmten Anfangsbuchstaben des Heiligennamens (F). Kürzungszeichen fehlt.
  6. maria] Die Initiale ist von einem Perlkreis gerahmt und wird von Zierstreben eingefaßt.
  7. ecce] Der erste und der letzte Buchstabe beschädigt. Möglicherweise wurden die vorhandenen Buchstaben einmal nachgezogen.
  8. ancilla] Die beiden vorletzten Buchstaben beschädigt.

Anmerkungen

  1. Lucanus 1837, S. 10; Charlotte Giese meint, daß das Retabel 1843 dorthin gebracht worden sei; vgl. Giese 1928, S. 595, dort auch die ältere Literatur.
  2. Büsching 1819, S. 241; Niemann 1824, S. 33.
  3. Lc 1,38.
  4. Daß die Tafel auf dem Altar der Chorscheitelkapelle gestanden habe, schreibt zuerst Elis, zu einer Zeit, als das Retabel schon in den Kapitelsaal verbracht worden war; vgl. Elis 1857, S. 69. Als Vermutung zuletzt von Peter Findeisen, vgl. Kostbarkeiten 2001, S. 91 ([Peter] F[indeisen]) und Eva Fitz geäußert, vgl. Fitz 2003 S. 55 mit Anm. 206. Zuerst hören wir von dem Altarblatt im Jahre 1816, als die Domprediger Augustin und Grahn es vor dem Zugriff der Preußischen Regierung bewahren konnten, die es gerne in ein (vermutlich Berliner) Museum übergeführt hätte. Sie schreiben, daß das Retabel sich „in der zu der hiesigen Domkirche gehörigen und unmittelbar mit derselben verbundenen bischöflichen Kapelle“ befinde; vgl. Halberstadt, Domarchiv, Loc. I, Nr. 5. Giese 1928, S. 595 nimmt an, daß es sich um den Altaraufsatz des Hauptaltars gehandelt habe.
  5. Vgl. Kostbarkeiten 2001, S. 91 ([Peter] F[indeisen]); Der heilige Schatz 2008, Nr. 101 S. 340–343 mit Abb. (Jörg Richter).
  6. Fitz 2003, S. 55 mit Fig. 29.
  7. Vgl. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 228 mit Abb. 180 f.; Pieper 1990, S. 40 f. mit Abb., S. 50 mit Abb. S. 53; Engelbert 1995, S. 36 mit Abb. S. 35, 41, 43, 76, S. 87 mit Abb. S. 89, 90 mit Anm. 97; Corley 1996, S. 183, 210 erwähnt die Perlenkronen, geht jedoch nicht auf die Inschriften darin ein, vgl. jedoch Abb. 134 f., 154 und Taf. IV, VII; ebd., S. 205 mit Abb. 150 f. und Taf. XIX, XXX, S. 213 mit Abb. 38 und Taf. XXXIII; Meschede 1996, S. 35 mit Taf. 12; Katalog Bonn/Essen 2005, Nr. [233 a–d] S. 351–353 (S[tephan] K[emperdick]).
  8. Vgl. dazu Fitz 2003, S. 54 Anm. 204. Vgl. weiter Schwab 1930, S. 153 mit Abb. S. 122; Stange 1938 Bd. 3, S. 219–221 mit Abb. 279; Troescher 1966, S. 158 f. mit Abb. 153; Katalog Bonn/Essen 2005, S. 350–353 mit Abb. 233 a–d. Zur Zuschreibung des Werkes an Michael Wispach und seine Werkstatt, dem auch die Weimarer Einhorn-Madonna, um 1430/40 und der Altar in der Erfurter Barfüßerkirche, der zuvor als Hochaltar die dortige Bartholomäuskirche schmückte, zu verdanken sind, siehe Katalog Weimar [1982], S. 59–61 mit Abb.; Katalog Weimar 1994, Nr. 49 (H[elga] H[offmann]); Horn 1999, S. 18 f.; Der heilige Schatz 2008, Nr. 101 S. 342 (Jörg Richter). Siehe dazu und den Paneelmalereien in der Barbarakapelle der Halberstädter Liebfrauenkirche Fitz 2003, S. 58–60
  9. Fitz 2003, S. 55, vgl. UBHH Bd. 4, Nr. 3326 S. 564 f.; zu Bischof Albrecht IV. Gatz 2001, S. 229 (Walter Zöllner).

Nachweise

  1. Hermes 1896, Abb. S. 134.
  2. BKD, Nr. 394.
  3. Doering 1927, Abb. 78.
  4. Giese 1928, Abb. 1.
  5. Kloos 1935, Taf. XXIII.
  6. Stange 1938 Bd. 3, Abb. 279.
  7. Hinz 1964, Abb. 202 f.
  8. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, Taf. 180 f.
  9. Findeisen 1996, Abb. S. 82.
  10. Kostbarkeiten 2001, Abb. S. 90 ([Peter] F[indeisen]).
  11. Fitz 2003, Abb. S. 54 Fig. 29.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 84 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0008405.