Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 74 Dom, südlicher Chorumgang A. 15. Jh.

Beschreibung

Wandmalerei, Ausmalung der Altarnische im zweiten Joch des südlichen Chorumgangs; Ölfarbe, fragmentarisch erhalten, die Farben sind weitgehend vergangen, nur die helleren Partien erhalten, die rechte untere Seite fehlt ganz, dort ist ein früherer Ausbruch wieder zugemauert;1) auf ochsenblutfarbiger Grundierung sind die Darstellungen (ausschließlich Schwarz, Weiß und Brauntöne) nur noch schemenhaft erkennbar.2) Über der Altarmensa, die nach Osten hin eingebaut ist, die Darstellungen mehrerer Heiliger. Im Gewände auf der linken Seite die Bildbeischrift (A) über einem Engel, der mit ausgebreiteten Flügeln über einer Heiligen schwebt, die in einen dunklen Mantel und ein helles Gewand gekleidet ist und die Hände vor dem Leib gekreuzt hält. Er trägt ein Spruchband mit der fragmentierten Inschrift (B) in seiner Linken, das sich über die Heilige und einen Heiligen rechts davon, schon in der Nische stehend, hinzieht, der mit hängender Linker und der Rechten vor der Brust dasteht. Rechts neben dem Kopf der Heiligen die Reste des Titulus (C), der sich ehemals zu beiden Seiten des Kopfes hinzog. In der Mitte der Nische eine weitere Heilige, Tracht und Attribute nicht erkennbar, darüber das einzeilige Titulusfragment (D). Vor ihr die am besten erhaltene Figur, ein kniender, betender Kleriker mit Tonsur, als Priester oder Diakon gewandet, da er mit einem Amikt bekleidet ist. Auf der rechten oberen Seite der Nische Fragment eines Heiligen im Profil, der sich zu der im rechten Nischengewände dargestellten Heiligen Agathe wendet, die durch den Titulus (E) bezeichnet wird. Die Inschriften sind nur noch unter Ultraviolettlicht lesbar. Auf der Altarmensa Ritzinschriften des 17. und 18. Jahrhunderts.3)

Maße: H. ca. 350 cm, B. ca. 350 cm, T. 70 cm, Bu. 4,5–5 cm (A, C, D, E), 3 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien aus der gotischen Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. A

    angelvs d(omi)ni · aparuita) (et) dixit

  2. B

    [– – –] n(ost)ra et // [– – –]

  3. C

    Sa[– – –]gob)

  4. D

    sancta [– – –]

  5. E

    Sancta aghatac) virgo (et) m(arty)r

Übersetzung:

A: Der Engel des Herrn erschien und sagte. E: Die heilige Jungfrau und Märtyrerin Agathe.

Kommentar

Die Schriftformen sind aufgrund des Erhaltungszustands nur schlecht zu erkennen. Die Buchstaben sind spitz gebrochen. Die beiden S-Versalien weisen gerundete Bögen und am oberen Abschluß nach innen gebogene Sporen auf. Das letzte Kürzungszeichen ist als Doppelhaken ausgeführt.

Die Ausmalung der Altarnische und besonders die Inschriftenfragmente deuten darauf hin, daß sie den Jungfrauenaltar des Domes schmückten. Reliquien erster heiliger Jungfrauen, darunter der Hll. Cäcilie und Agnes, hatte Bischof Bernhard (923–968) aus Rom mitgebracht.4) Bischof Hildiward (968–996) weihte 974 im Norden der Krypta einen Altar zu Ehren der hll. Cäcilie, Agathe, Agnes, Maria Magdalena, ihrer Schwester Martha, der Maria Ägyptiaca und aller Jungfrauen. Dieser Altar wird nur noch einmal, im Jahre 1325, erwähnt und hieß zu dieser Zeit noch altare sanctarum virginum in cripta.5) Vermutlich hat man ihn in der Zeit danach, spätestens nach der Fertigstellung des Chores im Jahre 1400, in den südlichen Chorumgang verlegt. Die entzifferbaren Inschriftenfragmente erwähnen nur weibliche Heilige. Jedoch scheinen auch zwei männliche Heilige abgebildet zu sein. Hier fehlen die Inschriften bzw. sie sind nicht erkennbar. Bei der Darstellung im linken Gewände und linken Nischenabschnitt könnte es sich um den Augenblick der Cäcilienlegende handeln, als der Engel Cäcilia und ihren bekehrten Gatten, den heiligen Märtyrer Valerian, dessen Fest im Halberstädter Dom am 14. April gefeiert wurde, mit Kränzen aus Rosen und Lilien krönt.6) Ein Responsorium und eine Lectio der Liturgie des Cäcilienfestes im Halberstädter Brevier von 1515 geben diese Szene wieder, wenn auch nicht im Wortlaut der Inschriften.7) Die Darstellung auf der rechten Seite der Nische ist zu schlecht erhalten, als daß ein bestimmtes Geschehnis der Agathenlegende, die sie wohl illustriert, darin zu erkennen wäre. Schon Doering sah die Nischenausmalung zusammengesetzt aus „zwei verschiedenen Heiligenlegenden, wovon eine die der h. Agatha zu sein scheint“.8) Auf das Altarpatrozinium der heiligen Jungfrauen weist auch die von Büsching für 1817 bezeugte Aufstellung einer um 1500 entstandenen Altarpredella (Inv. Nr. 433d) mit der Darstellung dreier heiliger Jungfrauen in dieser Nische hin.9) Sie war 1620 mit den Namen der Heiligen Agnes, Katharina und Apollonia versehen worden (vgl. Nr. 257). Jedoch zeigt die Darstellung anstelle der als Apollonia bezeichneten Heiligen ausweislich ihres Attributs, der Zange mit der abgerissenen Brust, die heilige Agathe.

Textkritischer Apparat

  1. aparuit] Sic! Der vierte Buchstabe beschädigt.
  2. Sa[– – –]go] Die fragmentarisch erhaltenen Wörter wohl zu ergänzen zu Sancta und virgo.
  3. aghata] Der letzte Buchstabe beschädigt.

Anmerkungen

  1. Doering hielt diese Nische, vielleicht aufgrund des wieder zugemauerten Durchbruchs, für diejenige einer „alten Thür“; vgl. BKD, S. 265. Dagegen spricht, daß es sich um eine Altarnische gehandelt hat. Ein Grund für den Mauerdurchbruch ist nicht ersichtlich.
  2. Schon Büsching nahm 1817 die „Gemälde auf nassem Kalk, mit Schrift“, die er für noch entzifferbar hielt, als verwischt wahr; vgl. Büsching 1819, S. 243 f.; vgl. auch Elis 1857, S. 66.
  3. In Kapitalis: WICKARDVS / A MVLLER / G B LANGE / 176[.].
  4. GEH, S. 85.
  5. UBHH Bd. 3, Nr. 2141 S. 257 f. Der Altar kann nicht mit demjenigen [der hl. Ursula und] der 11  000 Jungfrauen verwechselt werden, der 1324 bestiftet wird; vgl. UBHH Bd. 3, Nr. 2116 S. 243 f.
  6. LCI Bd. 5, Sp. 455 (F[riederike] Werner); vgl. zum Fest der Hll. Tiburtius und Valerianus Grotefend 1892, S. 60.
  7. Nach dem Breviarium Halberstadense 1515, fol. CLVIIIr wurde zur 2. Nocturn des Festes der hl. Cäcilia als viertes Responsorium gesungen: „Ceciliam intra cubiculum orantem invenit et iuxta eam stantem angelum domini. Quem videns valerianus nimio terrore correptus est. Versiculus: Angelus domini descendebat de celo et lumen refulsit in habitaculo. Quem videns va.“ Fol. CLVIIIv heißt es in der 6. Lectio des Festes: „Angelus autem coronas duas ex rosis et liliis in manu habebat et vnam ceciliam alteram Valeriano tradidit dicens: Istas coronas immaculato corde et mundo corpore custodite : quia de paradiso dei eas ad vos attuli : nec vnquam marcescent : nec odorem amittent : nec ab aliis nisi quibus castitas placuerit videri poterunt. Tu autem Valeriane quia vtili consilio credidisti : pete quodcumque volueris et consequeris. Cui Valerianus: Nihil mihi in hac vita extitit dulcius : quam vnici fratris mei affectus. Peto ergo vt et ipse mecum veritatem agnoscat. Cui angelus: Placet domino petitio tua : et ambo cum palma martyrii ad eum venietis. T.“ Vgl. zum Responsorium auch CAO Vol. IV, Nr. 6259: vgl. zur Lectio fast wortgleich Legenda aurea Bd. 2, S. 1182.
  8. BKD, S. 265.
  9. Büsching 1819, S. 243 f.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 74 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0007409.