Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 73 Dom, Depot A. 15. Jh.

Beschreibung

Fragmente eines Rücklakens mit Resten eines Knüpfteppichs mit den Legenden der hl. Katharina und des hl. Eustachius, sog. Eustachiusteppich, Domschatz Inv. Nr. 525;1) Wolle auf Leinen, gestickt, die linke obere Kante fehlt, rechts wurde das Laken beschnitten, etliche Stellen beschädigt, unterhalb des Schriftbandes war der Bildstreifen einmal waagerecht durchschnitten, Schriftverlust.2) Das querrechteckige Fragment ist in zwei durch die Schriftleiste getrennte Bildstreifen (Register) aufgeteilt, die von einer Kante (Borte) mit Stufenbandornamenten umschlossen werden. Der obere Bildstreifen zeigt von links nach rechts auf dunkelblauem Grund Szenen der Katharinenlegende in Naturfarben, Ziegelrot, bläulichem Grün, Gelbbraun, Dunkelbraun, in diesen Tönen auch die Buchstaben der Inschrift, dabei sind die Konturen in anderen Farben als die Flächen gehalten: 1. Im Schatten einer Burg begegnet Katharina dem Eremiten in seiner Klause, 2. vor einem burgartigen Gebäude nimmt sie Abschied, 3. vor Kaiser Maxentius, 4. stürzt einen Götzen, 5. im Kerker, 6. im Gespräch mit den Philosophen; die nächste Szene, die wohl schon das Martyrium schildern soll, ist nur im Bruchstück zu sehen: zwei Männer. Auf dem unteren Bildstreifen von links nach rechts Szenen aus der Eustachiuslegende: 1. die Jagd des Placidus (Eustachius), 2. er kniet vor dem ihm erschienenen Hirsch, 3. sein brennendes Haus, 4. mit seiner Familie auf der Flucht, am rechten Bildrand ist noch das Heck des Schiffs zur Überfahrt nach Ägypten zu sehen. Die einzeilig auf die Schriftleiste gestickte Bildbeischrift in mittelniederdeutscher Sprache bezieht sich ausschließlich auf die Katharinenlegende.

Maße: H. 54 cm, B. 243,7 cm, Bu. 3,4–4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Karl Geipl) [1/1]

  1. dissea) · materie · de is van sunteb) · katherinen · woc) · sed) to den · cristen · louene) · quam · unded)

Übersetzung:

Dieser Gegenstand (Stoff), der handelt von der heiligen Katharina, wie sie zum Christenglauben kam und …

Kommentar

Die gotische Minuskel weist etliche oben offene Buchstaben auf, so z. B. a, e und m. Nur unziales d ist fast vollständig geschlossen und wie das b fast ohne Oberlänge. Die Enden der Buchstaben mit Oberlänge gehen nicht über das Mittelband hinaus und werden, so etwa Schaft-s, lediglich waagerecht nach rechts umgeknickt. Viele Schäfte enden stumpf auf der Grundlinie. Aus einem stumpf endenden Schaft und einem durch zwei Quadrangel ersetzten Bogen wird das k gebildet.

Die Inschrift beginnt mit derselben sprachlichen Wendung, mit der die Bilderläuterungen auf dem Rücklaken aus Braunschweig mit Darstellungen aus dem Leben des Herzogs Ernst (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts) und auf dem Wienhäuser Jagdteppich (um 1430) anheben.3) Trotz der Tatsache, daß die einleitenden Worte auf eine Abfassung speziell für einen Entwurf des Rücklakens geschaffen sein können, bleibt zu überlegen, ob die Grundlagen für diese Bilderläuterung nicht aus einer der zahlreichen niederdeutschen Legenden stammen, die gereimt oder in Prosa die conversio oder/und die passio der hl. Katharina wiedergeben.4)

Auffällig ist, daß die beiden in einem Rücklaken zusammengefaßten Legenden sich auf Heilige beziehen, deren beider Festtage gegen Ende des Kirchenjahres gefeiert werden. Deshalb ist einerseits an eine temporäre Verwendung des Ausstattungsstückes zu denken, andererseits kommt aber auch eine außerliturgische Verwendung in Frage. Das Katharinenfest war im Halberstädter Dom im Jahr 1227 gestiftet worden; ein Katharinenaltar, der sich später im westlichsten Joch des nördlichen Seitenschiffs des gotischen Doms befand und schließlich durch hölzerne Verkleidung die Form einer kleinen Kapelle annahm, ist seit 1305 belegt und wurde 1317 zusammen mit dem Altar Johannes Evangelista von ein und demselben Altaristen bedient.5) Im Jahr 1416 wird noch einmal ein Vikar des Katharinenaltars genannt.6) Ein eigener Altar für den hl. Eustachius ist im Halberstädter Dom nicht nachzuweisen. Eustachiusreliquien waren zusammen mit denjenigen des Bischofs Willehad neben solchen der Titularheiligen, der Märtyrer Vitus, Longinus und Cyriacus, bei der Weihe des ottonischen Doms im Jahr 992 von dem mitweihenden Hamburger Erzbischof Livezo in einen Altar an der Nordseite des Chores eingeschlossen worden.7) Das Eustachiusfest wurde in Halberstadt jedoch mit nur drei Lektionen gelesen und überdies, wegen des Allerseelentages, auf den es fällt, erst am folgenden Montag gefeiert.8) Die mehrfache Erwähnung von Rücklaken in Nachlässen Halberstädter Kanoniker könnte deshalb auch auf eine außerliturgische Verwendung hinweisen, worauf möglicherweise auch die Benutzung der deutschen Sprache hindeuten könnte.9)

Textkritischer Apparat

  1. disse] Der erste Buchstabe beschädigt.
  2. sunte] Weil die unteren Schaftenden fehlen, muß an dieser Stelle wegen der drei vorhandenen Schäfte eine Ligatur angenommen werden. Für ein rundes u statt eines spitzen v spricht das weitere Vorkommen dieser Form und das stumpfe obere Schaftende des ersten Schaftes. Vielleicht ist aber auch eine Nebenform wie im mnld. sinte oder eine Verballhornung denkbar.
  3. wo] Der erste Buchstabe teilweise nur noch in den Konturen vorhanden.
  4. se-unde] Die unteren Buchstabenteile beschädigt bzw. ausgefallen.
  5. louen] luden Schuette 1930, der folgende Worttrenner fehlt dort, laven Kohwagner-Nikolai 2006. Vgl. zur Lesung louen auch die mittelniederdeutsche Katharinendichtung der Hs II, 143 der Kgl. Bibliothek Brüssel bei Collinson 1915, V. 451: „du schalt se dopen und den loven leren“ und V. 671: „de des loven de syn apen“.

Anmerkungen

  1. Schuette 1930, S. 82 mit Taf. 5; Meyer 1936, S. 19; Hinz 1964, S. 105; Hinz 1964 b, S. 68 mit Teilabb. 13.
  2. Am 12. November 1935 wurden zwei Streifen des Teppichs nach Berlin (vermutlich ins Schloßmuseum, Anm. d. Bearb.) gebracht, Restaurierungen fanden wohl 1978 (F. Happach) und 1987 (Weidner) statt; vgl. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle, Nachlaß Friedrich Bellmann zu Inv. Nr. 525; nach Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 32 S. 307 f. ist von einem Verlust von etwa „der Hälfte bis zwei Drittel des ursprünglichen Umfangs aus[zu]gehen“.
  3. Lessing/Creutz 1903, S. 3 mit Abb. Taf. 14 f.; Schuette 1930, S. 20 f. mit Abb. Taf. 3; DI 35 (Stadt Braunschweig), Nr. 66; Schuette 1927, S. 20 f. mit Abb. Taf. 19 f.; Wilhelm [1980], S. 24–26 mit Abb.; Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 7 S. 228 mit Abb., Nr. 20 S. 266 mit Abb. Diese Inschriften sind jedoch in gotischer Majuskel gestickt.
  4. Vgl. Verfasserlexikon Bd. 4, Sp. 1055–1073; Borchling 1902, S. 24; Collinson 1915, S. 72–80; Hilka 1920; Bobbe 1922, S. 1 f.
  5. UBHH Bd. 1, Nr. 601 S. 538 (1227); ebd. Bd. 3, Nr. 1780 S. 26 f. (1305) und Nr. 1971 S. 142 f. (1317); ebd. Bd. 4, Nr. 3337 S. 565 (1416); vgl. auch Haber 1739, S. 34; Büsching 1819, S. 245; Mülverstedt 1871 a, S. 408 Nr. 13; BKD, S. 269; Schuette 1930, S. XVIII. In den Jahren 1325, 1352, 1375 und 1441 wird der Altar Johannes Evangelista jeweils alleine genannt; vgl. UBHH Bd. 3, Nr. 2141 S. 257 f., Nr. 2436 S. 535–537; ebd. Bd. 4, Nr. 2853 S. 173–175; UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Nr. 918 S. 208. Im Jahr 1456 erhielt der Altar St. Johannes Evangelista an der südwestlichen Vierungssäule durch den Dompropst Ludolf Quirre eine zweite Vikarie zu Ehren der Hll. Blasius, Johannes Evangelista, Katharina, Stephanus und aller Heiligen; vgl. LHASA Magdeburg, Rep. U 5, XVIIe, Nr. 8.
  6. UBHH Bd. 4, Nr. 3337 S. 565.
  7. GEH, S. 87; vgl. auch Schuette 1930, S. XVIII; Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 32 S. 308 f.
  8. Grotefend 1892, S. 62. Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 32 S. 308 nimmt an, daß sich die Kombination aus der Zugehörigkeit der beiden Heiligen zu den Vierzehn Nothelfern ergebe, die seit dem frühen 14. Jahrhundert vermehrt verehrt wurden.
  9. UBHH Bd. 4, Nr. 3369 S. 585–588; Kroos 1970, S. 171 Nr. 93: „dre banklakene, eyn groid teppet“ (1419); Schmidt 1891 a, S. 533; Kroos 1970, S. 170 Nr. 185: „it. duo scampualia vulgariter banklaken, item quatuor dorsalia lintheamina depicta magna et tria parva similia“ (1442); Schmidt 1891 a, S. 541: „item duo trutoria (? wohl für tentoria) sive ruggelaken … item duo lintamina proprie ruggelaken“ (1506) Schmidt 1886, S. 82: „twe ruggelaken … twe gewrochte ruggelaken … 4 gewrochte ruggelaken“ (1516).

Nachweise

  1. Schuette 1930, S. 82 f. mit Taf. 5.
  2. Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 32 SW. 307 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 73 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0007302.