Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 68 Dom, südlicher Chorumgang A. 15. Jh.
Beschreibung
Bildfenster süd VII;1) Farbglas, Schwarzlot, unterschiedlich gut erhalten; vier Bahnen zu fünf Zeilen mit abschließenden Kopfscheiben sowie Maßwerk. Das Fenster umfaßt insgesamt 14 mittelalterliche Glasmalereien, die aus vier unterschiedlichen Bildfenstern herrühren. Die Heiligen Gertrud und Elisabeth, Agnes und Agathe,2) Katharina und Dorothea sowie die Schutzmantelmadonna der ersten Zeile stammen aus nord VI. In der zweiten Zeile findet sich die Szene aus dem Karlszyklus an Ort und Stelle (süd VII). Die Scheibe 2c entstammt dem Stephansfenster süd VIII und zeigt Kaiser Theodosius. Aus Fenster nord VIII rühren die männlichen Heiligen in der dritten und vierten Zeile her. Sechs Scheiben, Kopfscheiben und Maßwerk wurden vollständig ergänzt; in 1a und 1b wurden die Schriftbänder mit den Inschriften ergänzt. Die radierten Bildbeischriften bzw. Nameninschriften (A–C) befinden sich auf den Schriftleisten am oberen Ende der Scheiben 1c (Katharina, Dorothea) und 1d (Schutzmantelmadonna) bzw. in 2a im Nimbus Karls des Großen, auf seinem Kronreif bzw. auf der kronenähnlichen Kopfbedeckung Aygolands einzeilig oder umlaufend (D–F), in 1d die Bitte um Fürbitte (C) (Antiphonanfang?) auf dem die Muttergottes umgebenden Schriftband, das von den gefalteten Händen eines der Stifter ausgeht, mit Silbergelb gehöht.
Maße: H. 723 cm, B. 255 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel (A–C), Gotische Minuskel mit Versalien der gotischen Majuskel (D–F).
- A
[S(ANCTA) · K]ATERINA · S(ANCTA) · DOROTCa)
- B
[M]ATER · OMNIV[M] ·
- C
O VIRG//O · VIRGINUMb)3) ORAc) · PRO · NOBIS ·
- D
agoland(us)
- E
Sanctusd) // Carol(us) // primusd) Jnperatore)
- F
Karolus
Übersetzung:
A: Die heilige Katharina, die heilige Dorothea. B: Mutter aller. C: O Jungfrau der Jungfrauen, bitte für uns. E: Der heilige Karl, der erste kaiserliche Herrscher.
Heiliges Römisches Reich4). |
Textkritischer Apparat
- DOROTC] Sic! Für DOROTEA. Nach Fitz 2003 ist die „ursprüngliche Buchstabenfolge S(ANCTA) DOROTE auf der 1897 angefertigten Aufnahme des Vorzustands noch gut zu erkennen“.
- VIRGINUM] Der erste und dritte Buchstabe beschädigt.
- ORA] Der letzte Buchstabe beschädigt.
- Sanctus-primus] Alle Buchstaben beschädigt.
- Jnperator] Sic!
Anmerkungen
- Vgl. Fitz 2003, S. 304 f., 320–327.
- Die vier im Fenster befindlichen Inschriften von vier weiblichen Heiligen, darunter zwei Nonnenheiligen, die mit S(ANCTA) AGNES, S(ANCTA) AGATHA, S(ANCTA) BRIGITTA und S(ANCTA) GERTRUDIS bezeichnet sind, sind freie Ergänzungen des Königl. Preuß. Instituts für Glasmalerei in Berlin aus dem Jahre 1898. Die entsprechenden Felder waren im Vorzustand leer. Vgl. Ebd., S. 320 f.
- Auch Beginn einer Antiphon zur Annuntiatio Mariae und eines Reimoffiziums zu Marienfesten; vgl. CAO Vol. III, Nr. 4091; AH 5,70, 45 b, 109.
- Vgl. Siebmacher Souv2, S. 2 ff. mit Taf. 3 ff.
- Vgl. dagegen Fitz 2003, S. 376–384, die das Karlsfenster in süd IX, in direkter Nachbarschaft zum Karlsaltar auf der Südempore angesiedelt wissen will. Allerdings sollte der Karlsaltar erst 1475 auf die Südempore verlegt werden. Für diese Hypothese ist jedoch m. E. die irrtümliche Deutung eines Regesteneintrags aus dem Jahr 1848 verantwortlich, in dem es in Bezug auf Fenster süd VIII heißt, daß es das „Fenster neben dem Ritter Karl“ sei. Doch diese Lokalisierung trifft hinsichtlich Fenster süd VIII ebenso gut auf Fenster süd VII zu. Weiter spricht die Anordnung des Fensters in der geschilderten Sichtachse mit der nördlichen Chorschrankentür für diesen Standort. Eine solche Blickachse war im Halberstädter Dom nicht einmalig, sie ergab sich auch von Westen über die Triumphkreuzgruppe hinweg zur Kreuzigung im Obergadenfenster I’ (Nr. 52). Außerdem fällt auf, daß Fenster süd VII im 19. Jahrhundert „König-Karls-Fenster“ bezeichnet worden ist – doch sicher nicht nur wegen einer einzigen Scheibe! Vgl. dazu Fitz 2003 S. 377 und S. 452 Nr. 81; Fuhrmann 2002 b, S. 59–62 und Fuhrmann 2006 a, S. 298–303.
- Im Halberstädter Dom wurde zum Karlsfest, am 28. Januar, eine Historia beati Karoli gelesen oder psalliert, die in der fünften Lectio die Begegnung Karls mit dem besiegten Agoland schildert; vgl. Berlin Staatsbibliothek SMPK, Liber canonicarum horarum Halberstadensium, fol. CLXXXVr–CLXXXVIIv.
- Vgl. Fitz 2003, S. 246–258, 300, 373 f.
Nachweise
- Fitz 2003, S. 304 f., 320–327 mit Abb. 213–229 mit Farbtaf. XIII, XIV, XXIII, XXV, XXVII.
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 68 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0006801.
Kommentar
Im Fenster süd VII befand sich ursprünglich ein Karlszyklus von zwanzig Scheiben, von dem nur noch eine, die Begegnung mit dem Heidenkönig Aygoland, vorhanden ist.5) Sie stammt aus derselben Werkstatt, die auch die in Nr. 63 und 67 befindlichen Glasmalereien geschaffen hat. Das zeigen deutlich die Buchstaben, so z. B. das Schleifen-s als End-s, die stumpf endenden oberen Schaftenden des u oder die Ornamente am Ende der Inschrift.
Vielleicht basierte das verlorene Bildprogramm des Karlsfensters auf einem Reimoffizium nach Pseudo-Turpin, das im Dom gelesen bzw. gesungen wurde.6) Das Fenster liegt in einer Flucht mit der nördlichen Chorschrankentür, die auf ihrer Außenseite Karl den Großen und einen Engel zeigt, der auf einem Spruchband eine Inschrift mit einer Abbreviatur der Sequenz Urbs aquensis urbs regalis hielt (vgl. Nr. 51), die im Halberstädter Dom zum Karlsfest am 28. Januar gesungen wurde.
Die ursprünglich aus nord VI (Zehn-Gebote-Fenster) herrührenden Scheiben mit der Schutzmantelmadonna und den hll. Katharina und Dorothea passen auch in der Schrift zu den weiteren von dort versetzten Scheiben, die sich heute außerdem noch in nord VII und IX befinden.7) Inschrift C beginnt mit einem paronomastischen Intensitätsgenitiv, der die Bedeutung der Darstellung der Gottesmutter steigert.