Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 49 Dom, Depot 3. V. 14. Jh.

Beschreibung

Fragment eines Teppichs, Domschatz Inv. Nr. 527; Wolle auf Leinengrund, gestickt, insgesamt zwanzig Fragmente, vermutlich in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf ein querrechteckiges Leinenstück genäht, darunter mit Inv. Nr. 527a ein Rest eines anderen Teppichs. So wie die Fragmente heute zusammengefügt und auf den Untergrund aufgebracht sind, sieht man an der linken Seite Reste einer breiten Randborte, die ihrerseits zu beiden Seiten von einem Stufenband eingefaßt war, darin in verschlungenen Bogenranken Vogelmotive, innerhalb dieser Leisten sind die Bildfelder oben links in eine Bogenarchitektur eingestellt: vor blauem Hintergrund ein Paar (I); die Figuren rechts davon nur noch am Fragment einer Hand erkennbar, darunter – die Bildfelder horizontal trennend – auf naturfarbenem Wolluntergrund das Inschriftenfragment, gestickt, vermutlich der Beginn einer Bildbeischrift; im Bildfeld darunter Fragment eines Reiters mit geschultertem (umwundenen?) Schwert,1) rechts davon Überreste eines übergroßen Fabelwesens mit Krallen und Hörnern (II); rechts daneben vor blauem Hintergrund ein in einem Wald auf einem grünen Berg sitzender Ritter in Kettenrüstung, Haube und Dusing (III), spielende Waldtiere rechts von ihm (springender Hase vor den Händen des Ritters), weiter unten ein Hirsch. Darüber auf einem Fragment von unterschiedlichem, gröberen Leinengrund hält ein Mann mit seiner Linken eine andere Person an der Hand (IV); darüber nahe des begrenzenden Stufenbandes rechts ein Wappen (V).

Maße: H. 110 cm (Untergrund), B. 150 cm (Untergrund), Bu. 4–4,4 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. DIT [– – –]

Wappen:
Schenk von Dönstedt2).

Kommentar

Die Schaftenden des nur in kapitaler Form vorkommenden D werden links durch lange und dünne Sporen abgeschlossen. Der Bogen setzt oben und unten schmal an und ist nach außen rechts geschwollen. Die Buchstabenbinnenfelder nehmen oblonge Form an. Der Schaft des I ist oben und unten verbreitert bzw. „ausgestellt“. In der Mitte schmückt ihn ein flacher Nodus. Auch die Schaft- und Balkenenden des T sind stark „ausgestellt“.

Nach Friedrich Bellmann lassen sich in einigen der fragmentarischen Szenen noch Teile eines Tristanteppichs aus Niedersachsen oder Ostfalen erkennen.3) Er nimmt an, daß die noch erkennbaren Darstellungen der Fragmente die Aussendung Tristans durch König Marke (I), Tristans Kampf mit dem Drachen (II), Marke und den Zwerg Melot auf der Linde (IV) und Tristan unter der Linde schlafend (III) zeigen. Das Inschriftenfragment, vermutlich das Demonstrativpronomen DIT, gäbe dann wohl den Beginn einer Bildbeischrift vielleicht in Form einer Eingangsformel, wie z. B. auf dem wohl aus Würzburg stammenden, in Erfurt aufbewahrten Tristanteppich, oder als Motto ähnlich demjenigen des Schwarzenberger Tristanteppichs wieder.4)

Das Wappenfragment (V) paßt am besten wohl in die rechte obere Ecke des Teppichs, so daß das Stufenband, von welchem das Bildfeld begrenzt wird, analog zu demjenigen der rechten Seite von innen nach außen abfällt. Einen ähnlichen Eindruck bietet auch das Stufenband des etwa gleichzeitig oder ein wenig früher anzusetzenden dritten Wienhäuser Tristanteppichs, das jedoch an beiden Seiten von links nach rechts ansteigend gestaltet ist.5) Allerdings ist nicht völlig auszuschließen, daß die Halberstädter Fragmente nicht alle von nur einem Teppich stammen. Ob und wenn ja wie viele weitere Wappen den Teppich schmückten, weiß man nicht.

Mitglieder des durch das Wappen bezeichneten Geschlechts werden wohl zu den Auftraggebern des Textils gehört haben. Zur Zeit der Entstehung des Teppichs sind drei Angehörige des Geschlechts Schenk von Dönstedt (Heteborn) als Halberstädter Domkanoniker nachweisbar. Die Familie leitete ihren Namen vom Halberstädter Schenkenamt her, das ihre Angehörigen zu Lehen trugen.6) Ein Johannes Schenk ist seit 1339 als Domkanoniker, -scholaster und Archidiakon der Banne Kissenbrück und Meine belegt.7) Er starb nach 1371 und vor 1375. Albrecht d. Ä. ist zwischen 1360 und 1395 als Domherr, Propst von St. Bonifatius sowie als Cellerarius und Senior des Domstiftes nachweisbar.8) Ein gleichnamiger Verwandter läßt sich in den Jahren 1395 bis 1416 als Domherr und Archidiakon des Bannes Atzum feststellen, kommt aber wegen der Zeitstellung des Teppichs eher nicht als Auftraggeber in Frage.9) Weil die Darstellung ein weltliches Thema behandelt, ist jedoch auch nicht auszuschließen, daß – obgleich wegen der Überlieferung des Stückes im Halberstädter Dom einer der Kleriker eher in Frage kommt – eines oder mehrere der zahlreichen weltlichen Mitglieder der Familie – darunter die Brüder der genannten Domherren – Auftraggeber für den Teppich gewesen sind.10) Unwahrscheinlich ist dagegen, wie Kohwagner-Nikolai aufgrund einer ikonographischen und stilistischen Verwandtschaft der Fragmente mit drei Wienhausener Teppichen annimmt, daß es sich bei dem Wappen auf dem Halberstädter Teppichfragment um dasjenige der Familie Bock von Wülfingen handelt.11) Diese führt zwar scheinbar dieselbe Wappenfigur, wie sie das Wappen an den Halberstädter Teppichfragmenten zeigt; aber daß es sich um das Wappen der Margareta Bock handelt, die 1318 und 1319 als Äbtissin des Klosters Wienhausen begegnet und bis 1331 erwähnt wird, ist auch wegen der Zeitstellung des Teppichs – wie Kohwagner-Nikolai selbst anmerkt – unwahrscheinlich. Eine Herstellung des Teppichs in Wienhausen, wie Kohwagner-Nikolai annimmt, ist zwar nicht ausgeschlossen, jedoch nicht aufgrund des Wappens zu beweisen, das eher dasjenige der Auftraggeber gewesen sein wird als das der Hersteller.

Anmerkungen

  1. Vgl. diese letzte Szene mit derjenigen im Wienhäuser Tristanteppich III. Der Knappe trägt dort hinter Tristan reitend dessen Schwert über der Schulter; vgl. auch Fouquet 1971, S. 37.
  2. In Gold zwei braune Biber übereinander; vgl. Siebmacher AnhA, S. 52 mit Taf. 30; ebd. SaA, S. 147 mit Taf. 96; ebd. Pr, S. 351 mit Taf. 404 sämtlich mit abweichender Tinktur der Wappenfigur. Das Geschlecht wurde auch nach seinen Gütern Schenk von Alvensleben, von Diepen, von Emersleben, von Flechtingen, von Hasselberg oder von Heteborn genannt. Eigentliche Wappenfigur des Geschlechts waren zwei Wölfe. Erst im 14. Jahrhundert wandelte sich das Bild zum Biber; vgl. Mülverstedt 1870 (1871), S. 633 f.
  3. Halle Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Nachlaß Bellmann zur Inv. Nr. 527/1–19.
  4. Zu den Inschriften des Erfurter Tristanteppichs aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und des Schwarzenberger Teppichs von 1539 vgl. Fouquet 1971, S. 136 f. Zur Übereinstimmung von dit mit disse oder desse siehe Lübben Bd. 1, S. 527. In dieser Form wortwörtlich begegnet das Demonstrativpronomen auch in den Inschriften des Wienhäuser Wandteppichs mit der Legende der Hl. Elisabeth; vgl. Schuette 1927, S. 24 ff.; Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 13 S. 246.
  5. Schuette 1927, S. 10–13 mit Taf. 7–9 und 25, 26; Wilhelm [1980], S. 22 f. mit Abb. S. 20 f.; siehe dazu auch Fouquet 1971, S. 33 ff., 134 ff.; Appuhn 1986, S. 37–39; Kohwagner-Nikolai 2006, Nr. 4 S. 207–212.
  6. Vgl. Mülverstedt 1870 (1871), S. 633 f.; vgl. auch Anm. 2.
  7. Meier 1967, S. 277 Nr. 150; GS Magdeburg Bd. 1, S. 493.
  8. Meier 1967, S. 277 Nr. 148; UB S. Bonifacii et S. Pauli, Register S. 584, 589; UB St. Johann, Register S. 599 f.; UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Register S. 523 f.
  9. Meier 1967, S. 277 Nr. 149; vgl. auch die Abbildung seines Siegels UBHH Bd. 4, Taf. XX Nr. 171.
  10. UBHH Bd. 3, Register S. 699; ebd. Bd. 4, Register S. 669; UB St. Johann, Register S. 660; UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Register S. 495.
  11. Kohwagner-Nikolai 2006, S. 305 f. mit Hinweis auf Siebmacher Han, S. 4 mit Taf. 3. Deren Wappenbild zeigt in Gold zwei übereinander laufende schwarze Wölfinnen oder Ziegenböcke. Das Wappen Schenk von Dönstedt jedoch zwei rote oder naturfarbene Biber; vgl. oben Anm. 2.

Nachweise

  1. Kohwagner-Nikolai 2006 Nr. 31 S. 304.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 49 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0004903.