Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 22 Dom, Westportal nach 1236–vor 12501)

Beschreibung

Christusfigur; in ca. fünf bis sieben Metern Höhe außen am Tympanon des Westportals zwischen den oberen Kleeblattbögen der Arkaden unter dem Bogenscheitel; Kalkstein, verschmutzt und beschädigt, Schriftverlust; Relief, Halbfigur Christi mit Kreuznimbus, mit der Linken ein Buch hochhaltend,2) die Rechte fehlt. Auf den aufgeschlagenen Seiten des Buches in zwei vertikalen Spalten eingehauen der Friedensgruß als Portalinschrift.

Maße: H. 30,5 cm, B. 17,5 cm, T. 11,3 cm, Bu. 2,2–2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. PAX // VOB(IS)3)

Übersetzung:

Friede sei mit Euch.

Kommentar

Hasten-, Balken- und Bogenenden schließen mit dreieckigen Verbreiterungen (Sporen), die sehr ungleichmäßig sind. Das kapitale A wird von einem beidseitig überstehenden Deckbalken abgeschlossen. Der obere Bogen des B ist kleiner als der untere. Der Schaft ist leicht nach rechts durchgebogen. O ist nur leicht oval. V und X haben ungleich lange, gerade Hasten. Das Kürzungszeichen in Form eines Hakens endet ebenfalls in einem Dreieck.

Die Halbfigur Christi krönt eine Weltgerichtsabbreviatur am Westportal.4) An Tympanon, Archivolte und Gewändesäulen sind außerdem zwei Engel in Halbfigur, die vier Lebewesen sowie Köpfchen angebracht, die entweder Auferstehende oder die vierundzwanzig Ältesten beim Gericht darstellen. In diesen Kontext gehört vielleicht auch der axial zur Christusfigur über der Mittelsäule des Portals angebrachte Löwe, der Beute im Maul trägt.5) Die in das Buch des Lebens, das von Christus hochgehalten wird, eingeschriebene Inschrift ist im Zusammenhang mit dem dargestellten Weltgerichtsmotiv – ehestens wurden die Buchstaben A und Ω angebracht6) – ungewöhnlich. Sie entstammt den Evangelien, in denen Christus nach der Auferstehung den Jüngern erscheint.7) In Verbindung mit der Maiestas Domini kommt die Inschrift auf den Seiten des Buches am Portal der Frankfurter St. Leonhardskirche und als Wandmalerei bzw. Chorschmuck in Frankreich vor.8) Hier hält Christus jedoch das Buch mit der Aufschrift immer im Schoß oder auf dem linken Knie. In der Art des Tympanons ist der Friedensgruß allerdings in den Siegelabbildungen der Halberstädter Bischöfe Otto (1123–1135), Gardolf von Harbke (1193–1201), Konrad von Krosigk (1201–1208), Friedrich von Kirchberg (1209–1236) und Volrad von Kranichfeld (1255–1296) auf dem Buch, das der jeweilige Bischof hochhält, zu erkennen.9) Sie könnten das Vorbild für die Darstellung Christi gewesen sein.

Anmerkungen

  1. Datierung nach Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 14; Niehr 1992, S. 229 ff.
  2. Fälschlich Niehr 1992, S. 229 „in der erhobenen Rechten“. Vgl. auch die ähnliche Christusfigur am Tympanon des Südportals der Pfarrkirche Bierbergen/Kr. Peine mit der Inschrift A und O auf den Seiten des Buches, ebd., S. 167 f.
  3. Lc 24,36; vgl. auch Io 20,19, 20,21, 20,26.
  4. Vgl. zur Anbringung der Darstellung des Weltgerichts an den Westwänden der Kirchen LCI Bd. 1, Sp. 145 und 413.
  5. Vgl. Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 13; Niehr 1992, S. 229; Findeisen 1996, S. 38.
  6. Vgl. LCI Bd. 1, Sp. 1; Bd. 5, Sp. 145. Zu abweichenden Texten vgl. Schiller 1990, S. 179, 197 und passim.
  7. Vgl. Anm. 3. Vgl. das in diesem Sinne inschriftlich wiedergegebene Bibelzitat im Auferstehungs- oder Erscheinungsteppich des Klosters Lüne von 1503, DI 24 (Lüneburger Michaeliskloster und Kloster Lüne), Nr. 59.
  8. Berger 1926, S. 18 mit Abb. 7; ebd., passim auch andere Beispiele für Beschriftungen des Buches. CIFM 7 (Ville de Toulouse), inscription 13, p. 32–33, pl. V, fig. 8–10 Saint-Sernin, Marmorplatten über dem Chorumgang, ca. 1100; CIFM 17 (Ain, Isère (sauf Vienne), Rhône, Savoie, Haute-Savoie), inscription 22, p. 50–51 und pl. XV–XVII, fig. 33–36, Saint-Chef en Dauphiné, Isère, Ancienne abbaye Saint-Theudère, Wandmalerei in der Gewölbemitte, Ende 11. Jahrhundert. Vgl. zu der Wandmalerei auch Schiller 1990, Textteil S. 188 f. und Abbildungsteil, Nr. 795. In anderem Zusammenhang ist die Inschrift belegt: CIFM I (Poitou-Charentes) 3 (Charente, Charente Maritim, DeuxSèvres), inscription 11, p. 137–138, pl. XLVIII, fig. 93; CIFM 6 (Gers, Landes, Lot-et-Garonne, Pyrénées-Atlantiques), inscription 14, p. 126–127, pl. XL, fig. 79. Siehe auch Hinz 1981, S. 12 f. und Abb. 1, S. 47 ff. mit Abb. 98 f.
  9. Vgl. UBHH Bd. 1, Taf. II Nr. 11, Taf. IV Nr. 25, Taf. V Nr. 26 und 28; ebd. Bd. 2, Taf. IX Nr. 60. Auch auf einem Bischofsring aus dem Domschatz des Veitsdomes in Prag kommt der Text vor; siehe Merhautová 2001, S. 102–106 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 22 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0002205.