Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 219 Dom, Depot; Berlin, Staatl. Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum um 1580

Beschreibung

Zwei Vortragekreuze, Domschatz Inv. Nr. 3 (I) und Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum, Kunstkammerinventar Nr. K. 3864 (II).1)

I. Silber, aus zwei aneinandergelöteten Silberplatten, gut erhalten, leicht patiniert, an einigen Stellen abgeschabt; an dem unteren Dreipaßschluß ein Vierkantsteckfuß aus Metall (evtl. Kupfer) mit drei Nieten befestigt, das lateinische Kreuz mit fast gleich langen Kreuzarmen, die in je einem Dreipaß enden, jeweils auf Vorder- und Rückseite von einer dreifachen Profilierung gerahmt, auf beiden Seiten Kreuz und Kruzifixus sowie von Blattwerk umgebene Medaillons der vier Evangelisten mit ihren Symbolen in die Dreipaßenden der Kreuzarme graviert. Jeweils am oberen Ende des Kreuzesstammes auf einem geschwungenen Schriftband die Kreuztituli in Konturschrift (A, F), jeweils zwischen Linien um die Medaillons umlaufend, teils in Konturschrift, die Tituli (B–E, G–J) ), auf beiden Seiten jeweils am linken Kreuzarm mit Matthäus beginnend.

Maße: H. 26,4 cm (mit Steckfuß 33,9 cm), B. 23,9 cm, T. 0,6 cm, Bu. 0,2 cm (A, F), 0,1–0,2 cm (B–E, G–J).

Schriftart(en): Kapitalis.

Bildarchiv Foto Marburg [1/2]

  1. A

    I(HESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)2)

  2. B

    SANCT(VS)a) // MATTH//EVSb) // EVAN(GELISTA)c)

  3. C

    SANCT(VS)a) // MARCVS // EVAN(GELISTA)c) ·

  4. D

    SANCT(VS)a) // LVCAS // EVAN(GELISTA)c)

  5. E

    SANCT(VS)a) // IOANNES // EVAN(GELISTA)c) ·

  6. F

    I(HESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)2)

  7. G

    SANCT(VS)a) · // MATTH//EVSb) // EVAN(GELISTA)c) ·

  8. H

    SANCT(VS)a) // MARCVS // EVAN(GELISTA)c) ·

  9. I

    SANCT(VS)a) / LACVSd) · EVAN(GELISTA)c) ·

  10. J

    SANCT(VS)a) // IOHAN//NESe) // EVAN(GELISTA)c) ·

Übersetzung:

A, F: Jesus aus Nazareth, der König der Juden.

II. Das Pendant des Kreuzes ist 1825 oder vorher aus Halberstadt an das Berliner Schloßmuseum gekommen und befindet sich heute im Kunstgewerbemuseum in Berlin.3) Das Stück war in einem Verzeichnis von 1825 unter der laufenden Nummer 3864 und den Nummern 142 sowie der Kunstkammer Nr. 1 F 338 aufgenommen.4) Als Vorbesitzer ist „aus Halberstadt“ angegeben. Der Erwerbspreis betrug 450 Mark.

Die Ausführung ist weitgehend identisch. Nur der metallene Vierkantsteckfuß am unteren Dreipaßschluß war ursprünglich wesentlich kleiner. Hier wurde wohl nachträglich ein größerer Steckfuß mittels Nieten befestigt. Obwohl die beiden Stücke nach einer gemeinsamen Vorlage gearbeitet sind, zeigen sich in ihrer zeichnerischen Ausführung Unterschiede, die vielleicht auf unterschiedliche Goldschmiede zurückzuführen sind. Das zeigt sich besonders in den Accessoires und Bildhintergründen, die jeweils nach denselben Vorlagen frei gearbeitet wurden, was etliche Abweichungen zur Folge hatte. Das drückt sich aber in der Schrift weniger aus als im Bild. Jeweils am oberen Ende des Kreuzesstammes auf einem geschwungenen Schriftband die Kreuztituli in Konturschrift (K, P), jeweils zwischen Linien um die Medaillons umlaufend, teils in Konturschrift, die Tituli (L–O, Q–T), auf beiden Seiten jeweils am linken Kreuzarm mit Matthäus beginnend.

Maße: H. 25,9 cm (mit Steckfuß 30,4 cm), B. 23,8 cm, T. 0,7 cm, Bu. 0,2 cm (K, P), 0,1–0,2 cm (L–O, Q–T).

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. K

    · I(HESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM) ·2)

  2. L

    · SANCT(VS)f) · // · MATTHAEVS · // EVANGELIS=//TAg) ·

  3. M

    · SANCT(VS)f) · // · MARCVSh) · // · EVANGELI=//STAg) ·

  4. N

    · SANCT(VS)i) · // · LVCAS · // · EVANGELI=/STAg) ·

  5. O

    · SANCT(VS)i) · // · IOAN//NES // · EVANGE=//LISTAg) ·

  6. P

    · I(HESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM) ·2)

  7. Q

    · SANCT(VS)i) // · MATTHA//EVS · // EVANG//ELISTAg) ·

  8. R

    · SANCT(VS)i) · // · MARCVS · // · EVANGELI=//STIj) ·

  9. S

    · SANCT(VS)k) · // · LVCASl) · // · EVANGELI//STAg) ·

  10. T

    · SANCT(VS)i) · // · IOAN//NES · // · EVANGELIS//TAm) ·

Die Kapitalis in I ist zum Teil als Konturschrift ausgeführt.

In der handwerklichen Behandlung gleichen die beiden Stücke einem Ensemble aus Hostiendose und Abendmahlskanne aus der Ulrichskirche in Halle, das nach der Inschrift auf der Hostiendose, die von einem Meister CW im Jahr 1580 hergestellt worden war, die Grundlage für die Datierung bildet.5) Möglicherweise sind die beiden Kreuze jedoch auch ca. ein Jahrzehnt später entstanden und wurden anläßlich der Reformation des Halberstädter Doms gefertigt, um in einem gemischtkonfessionellen Domkapitel etwa zwei bestehenden Klerikerkorporationen – einer evangelischen und einer katholischen – als Vortragekreuz zu dienen.

Textkritischer Apparat

  1. SANCTVS] Kürzungszeichen fehlt. Hier ist wohl offensichtlich, wie den Kürzungszeichen des Pendants in Berlin zu entnehmen ist, immer die lateinische Form gemeint.
  2. MATTHEVS] Es folgt eine geschwungene Ranke.
  3. EVANGELISTA] Kürzungszeichen fehlt. II. Zu ergänzen ist nach dem Berliner Stück, das die vollständige Form aufweist, die lateinische Form: EVANGELISTA.
  4. LACVS] Sic! Für LVCAS.
  5. IOHANNES] Es folgt eine geschwungene Ranke.
  6. SANCTVS] Folgt eine geschwungene Ranke vor dem Worttrenner.
  7. EVANGELISTA] Folgen eine geschwungene Ranke und ein weiterer auf Mitte gesetzter Punkt nach dem Worttrenner.
  8. MARCVS] Folgt eine geschwungene Ranke nach dem Worttrenner.
  9. SANCTVS] Folgt eine geschwungene Ranke nach dem Worttrenner.
  10. EVANGELISTI] Sic! Folgt eine geschwungene Ranke nach dem Worttrenner.
  11. SANCTVS] Folgen eine geschwungene Ranke und ein weiterer auf Mitte gesetzter Punkt nach dem Worttrenner.
  12. LVCAS] Folgt eine geschwungene Ranke nach dem Worttrenner.
  13. EVANGELISTA] Folgt eine geschwungene Ranke nach dem Worttrenner.

Anmerkungen

  1. Lucanus 1866, S. 46; Nebe 1889/1890, S. 89; Hermes 1896, S. 125; BKD, S. 272 f. erwähnen nur das in Halberstadt befindliche Kreuz.
  2. Io 19,19.
  3. Für eine Auskunft zu diesem Stück sei Frau Dr. Susanne Netzer, Berlin, herzlich gedankt.
  4. Laufkarte 25, Fach 22, Foto: F 93 1983.
  5. Siehe dazu BKD Halle, S. 205–211 mit Fig. 75–77; Doering/Voß 1905, S. 30 mit Taf. 57 a; Sauerlandt 1912, Taf. 3; Rosenberg 1922–1928, Nr. 2315; Halm/Berliner 1931, Nr. 108 mit Taf. 49 b; Fritz 2004, Nr. 151 S. 412 f. mit Abb. 228, 229; Katalog Halle 2005, Nr. 21, 22 S. 83 f. mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 219 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0021905.