Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 214† Dom, ehemals über dem Eingang zur Chorscheitelkapelle 2.–3. V. 16. Jh.

Beschreibung

Gemälde, Domschatz Inv. Nr. 419; die Malerei war noch 1936 in der Domsammlung vorhanden;1) Holz, kreisrund; ein Teil der rechten Seite fehlte; stark abgeblättert, Schriftverlust; Apokalyptisches Weib, Maria steht vor gestirntem Hintergrund in einer Strahlenmandorla auf einer als Gesicht gestalteten konvexen Mondsichel, gekrönt und mit einem Sternennimbus, auf dem rechten Arm hält sie das Jesuskind, auf das sie mit der Linken hinweist; dieses faßt mit der Rechten ein Kreuz und mit der Linken spielend ein irdenes Töpfchen, das gleichzeitig seine Blöße verdeckt. Als umlaufende Inschrift der Scheibe ein Bibelzitat, das unten links von der Figur beginnt, schwarz auf weißem Grund.

Text nach Foto, Ergänzungen nach Haber 1739.

Schriftart(en): Gotische Minuskel und Versalien mit Einschlag der Fraktur, Kapitalis.

Bildarchiv Foto Marburg [1/1]

  1. Eta) signum magnum apparuit in celo Muli[er am]icta sole et luna sub Pedib[u]Sb) eius et in cap[ite eius corona stellarum] XIIc)2)

Übersetzung:

Und ein großes Zeichen erschien am Himmel, eine Frau mit der Sonne bekleidet und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.

Kommentar

Die Schrift ist langgestreckt und in Teilen schon gerundet, so etwa der obere linke Bogenabschnitt des a und das Majuskel-E. Die Brechungen sind sehr fein ausgeführt. Die Schrift zeigt den Einfluß der Fraktur vor allem in den zu Schwellzügen aufgelösten Bögen. Der dünn ausgeführte Duktus und der Abstand der Schäfte zueinander sprechen ebenso dafür wie die Ausführung der Bibelstellenangabe in Kapitalis.

Vermutlich handelt es sich um das Ergebnis einer Restaurierung des in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts zu setzenden Gemäldes. Ein ganz ähnliches Tafelbild ohne Inschrift aus dieser Zeit (Anf. 15. Jh.) wird im Domschatz aufbewahrt, ein Bildausschnitt im Couronnement des etwa gleichzeitig entstandenen Glasfensters nord V weist eine verwandte Darstellung auf.3) Es handelt sich wohl um die Darstellung, die schon Zeiller erwähnt.4) Einen ähnlichen Inhalt hat auch das Bildprogramm in den Glasfenstern der Kapelle. Durch das Apokalyptische Weib wird in Text und Bild die makellose Unberührtheit der Gottesmutter auch als Symbol der Kirche veranschaulicht.5) Damit paßt die Inschrift auf dem Gemälde über dem Eingang der Marienkapelle u. U. zu religiösen Meinungsverschiedenheiten der Reformationszeit. Möglicherweise bedeutete die erneuerte oder neue Inschrift eine Festschreibung einer religiösen Nutzung der Marienkapelle gegen reformatorische Ansprüche.

Textkritischer Apparat

  1. Et] Sämtliche Buchstaben der Inschrift beschädigt.
  2. PedibuS] Es ist unsicher, ob der letzte Buchstabe als Großbuchstabe tatsächlich der Endbuchstabe des Wortes oder derjenige einer anderen Schicht, d. h. einer anderen Inschrift ist.
  3. XII] Es folgte ein geschwungenes Endzeichen.

Anmerkungen

  1. Datum der photographischen Aufnahme des Bildarchivs Marburg, Nr. 89. 582. Auch schon Doering 1927, S. 63 verzeichnet das Gemälde in der Domsammlung.
  2. Apc 12,1.
  3. Halberstadt, Domschatz, Inv. Nr. 461; vgl. Fitz 2003, S. 56 mit Fig. 35, S. 236 mit Abb. 145, vgl. auch Nr. 63; Findeisen 1996, Abb. S. 82.
  4. Dort heißt es: „vnd oben in der Kirchen / hinterm Chor / S. Mariae Bildnuß / mit 72. deren zugeeigneten Ehren= Tituln“; Zeiller 1653, S. 119. Zwar glaubte Uffenbach eine Darstellung diesen Inhalts nicht gesehen zu haben, obwohl er ein Marienbild am Standort „vorn an der thüre“ beschreibt; Uffenbach 1753, S. 145. Er hat jedoch wohl nur nicht mehr verstanden, daß Zeiller den Bildtyp gemeint hat. Zeiller verwechselte dabei wohl denjenigen der Lauretanischen Litanei mit dem verwandten des Apokalyptischen Weibes und benennt ihn nach dem Text der Lauretanischen Litanei, die in der Frühen Neuzeit 73 Anrufungen Mariens enthielt; vgl. zu den Bildtypen LCI Bd. 1, Sp. 145–150 (J[utta] Fonrobert); ebd., Bd. 3, Sp. 27–31 (L[ore] Lüdicke-Kaute); zu Bildtyp und Text der Lauretanischen Litanei vgl. Marienlexikon Bd. 4, S. 33–44. Zu den Glasfenstern der Kapelle vgl. Fitz 2003, S. 56 f. mit Fig. 36, S. 110 f.
  5. Schiller 1980, S. 174, 192 f., 198 f.

Nachweise

  1. Marburger Index, Nr. 89. 582.
  2. Haber 1739, S. 38 f.
  3. Müller 1795, S. 164.
  4. Fiorillo 1817, S. 158.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 214† (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0021403.