Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 191 Dom, Textilsaal nach 1483–vor 1535

Beschreibung

Meßkelch, Domschatz Inv. Nr. 10;1) Silber vergoldet, geschmiedet, getrieben, gegossen, Grubenschmelz opak, blau und braun. Über rundem, gekehltem Standring an der Zarge ein angelöteter, im Gesenk geschmiedeter Zierstreifen mit Perlstab, auf der runden Platte eine getriebene sechslappige Auflage; steiler Anlauf zum Stilus hin, daran auf einem gravierten Kalvarienberg eine gegossene Kreuzigungsgruppe (mit Maria und Johannes), gelötet und gesplintet, Rankenornament rechts unten fehlt, am oberen Ende des Kreuzesstammes ein Schriftband mit dem gravierten Kreuztitulus (A). An dem vorangehenden und folgenden Paß aufgelötet zwei emaillierte Wappen; auf dem der Kreuzigung gegenüber liegenden Paß graviert Anna Selbdritt, im Raum zwischen den abgesetzten Pässen und dem runden Standring des Kelchfußes graviert ein verschlungenes Schriftband mit dem einzeilig umlaufenden Stifternamen (B) der Margaretha von Rietberg, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg. Am mehrfach profilierten sechsseitigen Stilus ober- und unterhalb des Nodus auf rautiertem Grund erhaben graviert (C, D) sowie an den rautenförmigen Zapfen des mit Rautenornamenten verzierten Nodus ehemals in Email (E) die Anrufungen, mäßig steile Kuppa.

Maße: H. 17,1 cm, D. 14 cm, Bu. 0,3 cm (A), ca. 0,1 cm (B), 0,8 cm (C, D), 0,7 cm (E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A, B), Frühhumanistische Kapitalis (C, D), Mischform bestehend aus gotischer Minuskel und frühhumanistischer Kapitalis (E).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/3]

  1. A

    i(hesvs) n(azarenvs) r(ex) i(vdeorvm)2)

  2. B

    Margareta · dei · gracia · / nata · de / · rethberge · / · brunswickrensisa) · / · et · luneburgensis · / duxissab)

  3. C

    I//H//E//S//V//S

  4. D

    S(ANCTA) // M//A//R//I//A

  5. E

    I//h//e//S//v//S

Übersetzung:

A: Jesus aus Nazareth, der König der Juden. B: Margareta von Gottes Gnaden geborene von Rietberg, braunschweigische und lüneburgische Herzogin. D: Die heilige Maria.

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg-Calenberg3), Rietberg4).

Kommentar

Die Inschriften A und B sind in einer zierlichen gotischen Minuskel wiedergegeben. Zierstriche wurden haarfein ausgeführt. Die oberen Schaftenden von Buchstaben mit Oberlänge sind gespalten. Das a ist fast nicht mehr als doppelstöckige Form erkennbar, weil der Buchstabenkörper fast vollständig geschlossen ist. Vom n wird das u durch ein diakritisches Zeichen in Form eines Hakens unterschieden. Als Worttrenner dienen fünfstrahlige Sterne. Die ausschließlich in Frühhumanistischer Kapitalis ausgeführten Inschriften C und D weisen mit dem epsilonförmigen E, dem H, dessen Balken einen Bügel nach unten zeigt, I mit Nodus in der Schaftmitte oder byzantinischem M, den Kanon dieser Schriftform auf. Inschrift E auf den Rotuli des Kelches ist – ungewöhnlich – aus beiden verwendeten Schriftformen gebildet und auch in kräftigerer Strichführung hergestellt.

Margareta, die jüngste Tochter Konrads V. von Rietberg, hatte Friedrich II. von Braunschweig-Lüneburg, „den Unruhigen“, der wegen seiner Streitlust berühmt war, und den sein Bruder Wilhelm II. wegen angeblicher Geistesschwäche in Hannoversch-Münden seit 1485 bis an sein Lebensende 1495 festgesetzt hatte, 1483 als zweite Ehefrau geheiratet.5) Margareta starb zwischen dem 4. Januar 1533 und dem 6. Juni 1535. Wie der Kelch nach Halberstadt gelangte, ob als direkte Stiftung der Herzogin oder über einen der Braunschweiger Herzöge, die seit 1578 Administratoren bzw. Bischöfe von Halberstadt waren, ist nicht bekannt.

Textkritischer Apparat

  1. brunswickrensis] Sic! Für brunswickiensis oder brunswickensis, so Lucanus 1866, Nebe 1889/1890, Hermes 1896, Hinz 1964.
  2. duxissa] Sic! Für ducissa.

Anmerkungen

  1. Lucanus 1866, S. 43; Nebe 1889/1890, S. 88; Zschiesche 1895, S. 156; Hermes 1896, S. 89; BKD, S. 273; Doering 1927, S. 65; Hinz 1964, S. 208 Anm. 63; Der heilige Schatz 2008, Nr. 44 S. 152–155 mit Abb. (Thomas Richter).
  2. Io 19,19.
  3. Quadriert, 1. in Rot zwei schreitende goldene Leoparden (Braunschweig), 2. in goldenem mit (roten) Herzen bestreutem Feld ein blauer Löwe (Lüneburg), 3. in Blau ein goldener (eigentlich silberner) Löwe (Eberstein), 4. innerhalb eines blau-gold gestückten Bordes in Rot ein goldener Löwe (Homburg); vgl. mit den abweichenden Tinkturen Siebmacher Souv1, S. 28 mit Taf. 49.
  4. In Rot ein goldener Adler; vgl. Siebmacher Souv2, S. 113 f. mit Taf. 116.
  5. Europäische Stammtafeln Bd. I, 1, Taf. 26; Zedler Bd. IV, 1, Sp. 1153. Vgl. zu der Nutzungs- und Verwaltungsteilung des gemeinsamen Eigentums Streetz 1998, S. 192–194, 217; Pischke 1987, S. 147–160; Kalthoff 1982, S. 16 f.

Nachweise

  1. Lucanus 1866, S. 43 (E).
  2. Nebe 1889/1890, S. 88 (E).
  3. Hermes 1896, S. 89 (E).
  4. BKD, S. 273 (D).
  5. Hinz 1964, S. 208 Anm. 63 (B) – Der heilige Schatz 2008, Nr. 44 S. 152–155 mit Abb. (Thomas Richter) (B, C).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 191 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0019109.