Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 169 Dom, Neuer Kapitelsaal um 1510

Beschreibung

Tafelbild, Domschatz Inv. Nr. 418; Holz, Tempera, hochrechteckig, kaum beschädigt, restauriert,1) ein ca. 15 cm breiter Streifen an der rechten Seite offensichtlich überarbeitet, der Rahmen ist modern. Der hl. Christophorus watet, das Christuskind auf der linken Schulter, in der Rechten einen Baumstamm als Stock, durch ein Gewässer, auf dem verschiedene Schiffe fahren (darunter eines mit zwei Mönchen, an ihren Kutten als Benediktiner und Zisterzienser zu erkennen), und strebt dem Ufer zu, auf dessen höchster Klippe ihm der gute Einsiedler eine Laterne entgegenstreckt. Am Saum des Gewandes des Heiligen die Gewandsauminschrift mit einer Bitte um Fürbitte.

Maße: H. 215,2 cm, B. 131,5 cm, T. 6,3 cm (mit Rahmen), Bu. 2,3 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Bildarchiv Foto Marburg [1/2]

  1. O · SANCTAa) // CRISTSTOFFOLOb) · MARTc) // ORAd)

Übersetzung:

O heiliger Märtyrer2) Christophorus, bitte (für uns).

Kommentar

Die Schrift steht der Kapitalis sehr nahe. Schaft-, Balken- und Bogenenden werden von Serifen beschlossen. Die Buchstaben sind bis auf das O langgestreckt. C weist kaum Schwellungen im mittleren Bogenabschnitt auf. Die Balken des F sind kurz. Der Balken des L ist etwas länger und nicht nach oben ausgezogen, somit ein fast reiner Kapitalisbuchstabe. Die seitlichen Hasten des M sind schräggestellt, der Mittelteil bis auf die Grundlinie gezogen. O ist sehr breit, die seitlichen mittleren Bogenabschnitte ganz leicht verstärkt. Die Schräghaste des N ist dünn ausgeführt. Der Schaft des R ist leicht nach rechts schräggestellt, der Bogen klein, etwas länglich und nicht ganz geschlossen, die Cauda lang und schräg. Das S ist in seiner Einfachheit schon klassisch zu nennen, ebenso das T. A und N zeigen als einzige Buchstaben echte frühhumanistische Formen.

Die Tafel mag zu einem Altar gehört haben, der ehemals im dritten Joch des nördlichen Seitenschiffs gestanden hat. Büsching berichtet von einem Altar, auf dem „Maria mit dem Kinde von Stein zu sehen ist; rechts Anna mit Maria Magdalena und links Christoph“.3) Möglicherweise handelt es sich bei der erwähnten zweiten Tafel um Nr. 170, die – wie die Christophorustafel – nach Gmelin aus der Werkstatt des Meisters der Halberstädter Kruzifixustafel stammen soll,4) was auch ein Schriftvergleich bestätigt. Beide Tafeln zeigen die gleichen langgestreckten Buchstaben und ähnliche Einzelformen. Wie der Gewandsaum des Christophorus weist der Nimbus der Maria Magdalena eine Bitte um Fürbitte auf. Auch die Maße der beiden Tafeln, die mit Rahmen gemessen wurden, weichen nicht zu stark voneinander ab.5) Ungewiß ist, wie die beiden Tafeln zusammen mit dem Steinrelief auf dem Altar angebracht waren.

Textkritischer Apparat

  1. SANCTA] Sic! Es scheint sich um eine romanisierende Form für SANCTE zu handeln.
  2. CRISTSTOFFOLO] Sic! Für CRISTOFFOLO. CHROSTOFFOLO Gmelin.
  3. MART] Wohl zu ergänzen zu MARTYR. ART Gmelin.
  4. ORA] Der letzte Buchstabe unvollständig; wohl zu ergänzen: PRO NOBIS.

Anmerkungen

  1. Gmelin 1974, Kat. Nr. 128 S. 402; vgl. zum Gemälde auch Stange 1954, S. 129 mit Abb. 227.
  2. Zum Märtyrertum des hl. Christophorus Keller 1996, S. 105 f.
  3. Büsching 1819, S. 253. Vgl. auch das Inventar der Domkirche vom 6. VI. 1811, in dem der damalige Oberdomprediger Grahn notiert: „V. an dem Seitengange an der Mitternachtsseite …, 2. Ein Gemälde auf Holz, der Heide Christophorus … Christus durch ein Wasser trägt, 3. ein dito, 2 Frauenfiguren in Lebensgröße, mit 4. ein Marmorbild von Stein mit dem Kinde“; Halberstadt, Domarchiv, Loc. III, Nr. 1 Bl. 39.
  4. Gmelin 1974, S. 403 f. mit Abb. Auch der Halberstädter Dompropst Balthasar von Neuenstadt († 1516) besaß ein „malt laken mit sunte Cristoffer“; vgl. Schmidt 1886, S. 82. Dabei dürfte es sich jedoch eher um eine Tüchleinmalerei gehandelt haben.
  5. Vgl. die folgende Nummer.

Nachweise

  1. Stange 1954, Abb. 227.
  2. Gmelin 1974, S. 402 Kat. Nr. 128 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 169 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0016900.