Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 168 Dom, Neuer Kapitelsaal um 1510

Beschreibung

Wandelaltar1) (Doppelflügelaltar), Domschatz Inv. Nr. 402; auf einer nicht zugehörigen Predella (vgl. Nr. 171);2) Holz, geschnitzt und farbig gefaßt, Tempera; die Malerei abgerieben, einzelne Teile stärker zerstört, Skulpturen z. T. beschädigt, Pergamentzettelchen fehlen, Schriftverlust, der linke Flügel fehlt. Der aufgesetzte Maßwerkkamm befand sich früher auf dem heute als Leihgabe in der Andreaskirche befindlichen, aus der Moritzkirche stammenden Retabel, das zur Domsammlung (Inv. Nr. 422) gehört und zeitweise dort aufgestellt war.3) Im Schrein und den Innenseiten der inneren Flügel in Baldachinarchitekturen eingestellte, geschnitzte und gefaßte Figuren, die Außenseiten der inneren Flügel wie auch die beiden Seiten des noch vorhandenen rechten Flügels in Tempera bemalt. Auf dem Maßwerkkamm der hl. Sebastian, im Schrein die Madonna mit Kind, flankiert links von Katharina über Margareta, rechts Barbara über Ursula. Auf der Innenseite des linken inneren Flügels links oben der Apostel Petrus neben Paulus, darunter links ein heiliger Bischof mit Kirchenmodell in der Linken, die Rechte fehlt, rechts daneben Nikolaus. An der Innenseite des rechten Flügels oben links Johannes d. Täufer und Johannes der Evangelist, darunter links Dorothea, rechts eine gekrönte Heilige ohne Attribute, ihre Rechte fehlt. Die erste Wandlung zeigt auf der gemalten Außenseite des linken Schreinflügels oben Katharina neben Maria mit dem Kinde, darunter Dionysius, daneben Erasmus, auf der Außenseite des rechten Innenflügels oben Barbara neben Margareta, darunter Blasius neben Ägidius; auf der Innenseite des Außenflügels oben Georg mit Achatius, darunter Nikolaus links neben Cyriacus. Die zweite Wandlung zeigt auf der Außenseite des rechten Außenflügels den Schmerzensmann. An den Plinthen unter den Figuren der hll. Margareta und Paulus befinden sich auf angeklebten Pergamentblättchen aufgemalte Tituli in Textura.4) Bei der ersten Wandlung über den dargestellten Heiligen Tituli auf den oberen Rahmen (A) und auf den die Darstellungen trennenden gemalten Rahmungen in der Mitte der Flügel (B); auf der Rückseite des rechten äußeren Flügels als Bildbeischrift das Bibelzitat (C), das sich zusammen mit einigen Buchstaben auf dem Nimbus des Schmerzensmannes wiederholt (D); auf dem Rand des Buches in Händen des hl. Cyriacus umlaufend die Initialen (E).

Maße: H. 294,3 cm, B. 287,4 cm, T. 17,8 cm, Bu. 1 cm und 0,6 cm, 2,8–3,4 cm (A), 3–3,4 cm (B), 5,7 cm (C), 3,1–3,4 cm (D), 0,8 cm (E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A–D), Kapitalis? (E).

Bildarchiv Foto Marburg [1/1]

  1. A

    S(ANCTA) · KATHRINAa) ····· S(ANCTA) · MARIAb) ··// · S(ANCTA) · BARBERA ····· S(ANCTA) · MARGARETA // · S(ANCTWS) · GORIWSc) ····· S(ANCTWS) · ACHACIWS

  2. B

    S(ANCTWS) · DIONISIWSd) ····· S(ANCTWS) · ERASIMWS · // · S(ANCTWS) · BLASIWS ····· S(ANCTWS) · EGIDIWS // · S(ANCTWS) · NICOLAWSe) ·· S(ANCTWS) · CILIACWS ·

  3. C

    · ECCE · HOMO ·5)

  4. D

    ECCE HOMOf)5) III WS · IWVSg)

  5. E

    HSG · / WBV

Übersetzung:

A: Die heilige Katharina. Die heilige Maria. Die heilige Barbara. Die heilige Margareta. Der heilige Georg. Der heilige Achatius. B: Der heilige Dionysius. Der heilige Erasmus. Der heilige Blasius. Der heilige Ägidius. Der heilige Nikolaus. Der heilige Ciriacus. C, D: Sehet, ein Mensch.

Kommentar

Schaft-, Balken- und Bogenenden sind keilförmig verbreitert, teils findet man auch serifenartige Abschlüsse. Die mittleren Bogenabschnitte weisen Bogenschwellungen nach außen auf. Einmal steht der Deckbalken des A beidseitig über, sonst immer nur nach links. Die Neigungswinkel der Schäfte sind unterschiedlich stark. B hat einmal den Schaft nicht berührende nach innen gerollte offene Bögen. Auf der Grundlinie verlaufen sie sehr flach. Einmal sieht man längliche, den Schaft nicht berührende Bögen, ein andermal kommt der Buchstabe halbunzial vor, D nur in der unzialen Form. Das obere Bogenende des epsilonförmigen E kann ein verlängerter, am oberen Ende nach rechts umgebogener Sporn zieren. Der kurze Balken des L endet in einem nach oben lang und dünn ausgezogenem Sporn. Die Seitenhasten des kapitalen M sind schräggestellt, der Mittelteil verkürzt. N ist retrograd, ein Bügel weist nach links unten. Die Buchstabenkombination CI steht sehr gerne eng, fast ligaturartig zusammen. Als Worttrenner dienen Quadrangel, die ausgezogen und gegenläufig umgebogen werden. Daneben finden sich stilisierte Rosetten (Granatapfelmotiv), die durch sechs um einen Punkt in der Mitte angeordnete Pünktchen gebildet werden. Auch andere Kombinationen, wie solche aus gebogenen Strichen wurden benutzt. Ebenso wurde ein Kreis um einen Punkt gezogen.

Vor 1837 befand sich dieses Retabel vermutlich auf dem Altar der Stephanuskapelle im Kreuzgang.6) Bei den dargestellten Heiligen handelt es sich um zehn der Vierzehn Nothelfer, vermehrt um Nikolaus, der allerdings auch zu den Nothelfern gezählt werden kann, sowie Maria mit dem Kind.7) Der fehlende linke Flügel dürfte auf der Innenseite vermutlich die Nothelfer Christophorus, Eustachius, Pantaleon und Vitus aufgewiesen haben, so daß die erste Wandlung die Vierzehn Nothelfer, Nikolaus und Maria mit dem Kind gezeigt haben dürfte, die oft zusammen mit den Nothelfern abgebildet wird. Die Rückseite des linken Flügels könnte analog zum Schmerzensmann auf dem rechten, der ebenfalls häufiger zusammen mit den Nothelfern erscheint, ein den ganzen Flügel einnehmendes Motiv, etwa eine Schmerzensmutter oder ein Vesperbild, das im Zusammenhang mit den Nothelfern vorkommen konnte, gezeigt haben. Ein Altar der Vierzehn Nothelfer war von dem Vikar Heinrich Lauenstein vor 1505 gestiftet worden. Dessen Verwandte, die Vikare Hermann Lauenstein aus Braunschweig und sein Vetter Johann am Halberstädter Dom, errichteten in diesem Jahr eine zweite Kommende zu Ehren der zwölf Apostel und der hl. Apollonia an diesem Altar, der damals „up ter prichen in dat suden by s. karolus altar“, also auf der Südempore stand.8) Es existiert jedoch eine weitere Tafel mit den Vierzehn Nothelfern (vgl. Nr. 190), die hinsichtlich ihrer Technik zwar dem sog. Sebastiansaltar verwandt war, aber aus der Zeit um 1530 und wohl aus der Liebfrauenkirche stammt.9)

Textkritischer Apparat

  1. KATHRINA] Die Buchstaben beschädigt. N retrograd.
  2. MARIA] Die Buchstaben beschädigt.
  3. GORIWS] Eine norddeutsche Nebenform oder eher Verballhornung für Georg.
  4. DIONISIWS] N retrograd.
  5. NICOLAWS] N retrograd.
  6. ECCE HOMO] Die Buchstaben beschädigt.
  7. III–I WVS] Die Initialen fehlen Gmelin.

Anmerkungen

  1. Vgl. auch die ausführliche Beschreibung bei Gmelin 1974, Kat. Nr. 158 S. 474–477; als „bäurisch derbe Arbeit“ erwähnt bei Stange 1954, S. 128; Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 794 S. 239.
  2. Gmelin 1974, S. 474.
  3. Laut BKD, S. 291 f. und Doering 1927, S. 60 in der Domsammlung. Auch ein Foto aus der Zeit um 1900 zeigt ihn auf dem Altar mit der Inv. Nr. 422; vgl. Marburger Index, Archiv Nr. 00768f08 = RBA Nr. 42 775. 1936 befand sich der Altaraufsatz noch in der Domsammlung; vgl. Photo Marburger Index, Archiv Nr. 00768f09 = 87 616, 00768f09 = 87 617. Meyer 1936, S. 8 sah ihn im oberen westlichen Kreuzgang gegenüber der Neuenstädter Kapelle. Der Maßwerkkamm mit dem heiligen Sebastian befand sich zu dieser Zeit auf Inv. Nr. 402; vgl. ebd., S. 22. Gmelin 1974, S. 474 hält den Maßwerkkamm für zugehörig zu Inv. Nr. 402. Vgl. dazu auch BKD, S. 292 Nr. 422. Siehe dazu DI 86 (Stadt Halberstadt), Nr. 35.
  4. · S(anctws) p]awel // [S(ancta) marga]rethe.
  5. Io 19,5.
  6. Elis 1857, S. 105 beschreibt „einen Bilderschrank, in welchem die Jungfrau Maria, mit herrlichen, (!) reich vergoldetem Schnitzwerk umgeben, stand. Dieses Kunstwerk befindet sich jetzt auf dem Kapitelsaale.“ Von den noch vorhandenen Schnitzaltären kämen nur dieser und Nr. 141 in Frage, es sei denn, noch nach Einrichtung der Galerie im neuen Kapitelsaal wäre ein Schnitzaltar verlorengegangen. Bei einer Inventarisierung der Stephanskapelle im Jahre 1637 wurde „ein Altar mit vergoldeter Tafel“ aufgenommen; vgl. Diestelkamp 1929 a, S. 246.
  7. Vgl. dazu LCI Bd. 8, Sp. 546–550 (J[osef] Dünninger).
  8. LHASA Magdeburg Rep. U 5, XVIIe, Nr. 5 v. 1505 VI 20. Heinrich Lauenstein ist zwischen 1483 und 1500 als Prokurator oder Konsiliar der Stephansbruderschaft im Halberstädter Dom belegt; vgl. Diestelkamp 1929 a, S. 261 f. Büsching konnte von den beiden Altären auf der Südempore nur einen undeutlich erkennen, und das war vermutlich der Karlsaltar; vgl. Büsching 1819, S. 246. Der damalige Oberdomprediger Grahn fand in einem Inventar der Domkirche vom 6. VI. 1811 an den beiden Altären „nichts merkwürdiges“; vgl. Halberstadt, Domarchiv, Loc. III, Nr. 1, Bl. 39.
  9. Gmelin 1974, Kat. Nr. 164 S. 483–486.

Nachweise

  1. Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 794 S. 239 (C, D).
  2. Gmelin 1974, Kat. Nr. 158 S. 474–477 mit Abb. (fehlt E).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 168 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0016806.