Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 159 Dom, Neuenstädter Kapelle 1503

Beschreibung

Gewölbeschlußstein; im Chorjoch; Sandstein; ein auf ein Lilienkreuz aufgelegtes und von einem kreisrunden Schriftband umgebenes Wappen wird von einem Engel als Schildhalter getragen, die vergoldeten Lilien weisen die vier Himmelsrichtungen.1) Das Schriftband ist durch zwei vergoldete Stege abgesetzt, darin in Gold auf grünem Grund die erhaben ausgeführte Stifterinschrift des Dompropstes Balthasar von Neuenstadt (1475–1516) umlaufend.

Maße: Bu. ca. 9 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Unbekannt) [1/1]

  1. ven(erabi)l(is)a) · d(omi)n(u)s · balthasar · de · nuenstadt · p(re)p(osi)t(us)b) · halb(er)st(adensis)c) · ha(n)c · cappell(am)d) · et · ho(ra)se) · b(ea)te · v(ir)g(inis)f) · i(n) · ea · fu(n)dauit · 1 · 5 · 0 · 3g) ·

Übersetzung:

Der ehrwürdige Herr Balthasar von Neuenstadt, Halberstädter Propst, stiftete diese Kapelle und die Stundengebete der seligen Jungfrau in ihr 1503.

Wappen:
Dompropstei Halberstadt/Neuenstadt2).

Kommentar

Kürzungen durch hochgestellte Buchstaben kommen verhältnismäßig häufig vor. Statt eines Kürzungsstriches finden sich einmal parallel nebeneinandergestellte Quadrangel. Die Buchstaben l und Schaft-s werden mittels eines den Schaft kreuzenden Kürzungsstrichs durchstrichen. Der runde Zierbogen am rechten Schaft des doppelstöckigen a setzt knapp über dem oberen Schaftende des linken Schafts an. Beide Buchstabenteile berühren sich nicht. Das e weist am Schaft unter dem Auftreffen des diagonalen Zierstrichs einen kleinen Sporn auf. Das s ist abgeschlossen, der Abschlußstrich ragt oben weit über den Bogen hinaus, das t wird am oberen Schaftende nicht gebrochen sondern nur eingeknickt, fast gebogen. Die linke Haste des u endet im Gegensatz zur rechten schräg angeschnitten. Die 3 besteht aus zwei Quadrangeln: einem kleinen oberen und einem unteren, ausgezogenen und geschwungenen. Als Worttrenner wurden Quadrangel auf Zeilenmitte verwendet.

Das Stiftungsjahr der Kapelle, 1503, ist durch die Inschrift belegbar. Ein Ablaß des päpstlichen Legaten Raimund von Gurk aus dem Jahre 1502 galt – nach Fertigstellung des Baues – der Innenausstattung.3) Die Kapelle war – vielleicht in Nachfolge eines älteren Baues, der als Brunnenkapelle, sog. Tonsur, gedient haben könnte – durch Dompropst Balthasar von Neuenstadt (1475–1516)4) an der westlichen Seite des Kreuzgangs erbaut worden. Eine „capella nova“ am Kreuzgang wird schon 1475 erwähnt, wobei jedoch auch die 1417 erbaute Stephanskapelle gemeint sein könnte.5) Für die Jahre 1502 und 1508 wird eine „Capelle U. L. Frauen im Creuzgange to dem thume to halberstad“ genannt. Die Weihe der Neuenstädter Kapelle fand nach Elis im Januar 1516 statt.6) Sie war dem Stundengebet zu Ehren der Jungfrau Maria gewidmet, wie aus der Stifterinschrift des Schlußsteines und dem Testament ihres Stifters hervorgeht.7) Bis zur Aufhebung des Domstiftes – also noch lange nach der Reformation des Domes – feierten die testamentarisch eingesetzten Commisarien (Vikare) u. a. täglich die heilige Messe.8) Am Todestag Balthasars von Neuenstadt, wie auch an denjenigen seiner Eltern und Wohltäter, wurden, den Bestimmungen seines Testamentes entsprechend, Anniversarien gehalten. Ausstattung und Instandhaltung der Kapelle waren ebenfalls durch das Vermächtnis des Dompropstes gewährleistet. Nach der Aufhebung im Jahre 1810 war die Kapelle unbenutzt geblieben und verfallen. 1835 wurde sie auf Kosten des preußischen Königs wieder instandgesetzt und diente seit 1856 zur Abhaltung von Bibelstunden. Als Vorbild für die Stiftung könnte die Grabkapelle des Magdeburger Erzbischofs Ernst von Sachsen gedient haben, die 1494 derselben Patronin mit demselben Zweck und zusätzlich als Grablege gestiftet worden war.9)

Textkritischer Apparat

  1. venerabilis] Kürzung durch hochgestelltes l.
  2. prepositus] Kürzung durch hochgestelltes t und eine daran angehängte us-Kürzung.
  3. halberstadensis] Kürzungstrich durchstreicht den Schaft des Schaft-s und ein hochgestelltes Quadrangel.
  4. capellam] Kürzungsstrich durchstreicht die Schäfte der beiden l.
  5. horas] Kürzung durch ein reduziertes offenes a in Form zweier hochgestellter Quadrangel.
  6. virginis] Kürzung mittels eines durchstrichenen g.
  7. 1503] Ziffer 3 aus zwei vertikal übereinander angeordneten Quadrangeln, das untere ausgezogen.

Anmerkungen

  1. Die Gestaltung des Steines entspricht etwa der des Mittelschiffschlußsteins von 1486; vgl. Nr. 110.
  2. Quadriert, 1./4. in Grün (Blau?) ein goldener Adler (Dompropstei Halberstadt), 2./3. in Rot ein grüner (blauer?, eigentlich silberner) Schrägrechtsbalken (Neuenstadt); vgl. zu den eigentlichen Tinkturen Siebmacher Sa, S. 116 und Taf. 75.
  3. 1502 II 14; LHASA Magdeburg, Rep. U 5, XVIId, Nr. 13. Vgl. auch zum Folgenden BKD, S. 236 f., 511 f; Doering 1927, S. 39, Findeisen 1996, S. 86. Elis 1857, S. 108 nennt als Stiftungsjahr 1501; 1503 heißt es bei Elis 1883, S. 47; so auch nach dem Schlußstein Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 27; „1518 vollendet“ gibt Mülverstedt 1871 a, S. 397 an.
  4. Vgl. zu diesem Nr. 184, sowie weitere Stiftungen oder inschriftliche Erwähnungen Nr. 118, 137, 178, 179, 183. Siehe zu diesem und zur Kapelle auch Fuhrmann 2002 a, S. 209 f.
  5. Vgl. dazu und zum Folgenden Mülverstedt 1871 a, S. 397.
  6. Vgl. Elis 1857, S. 108; das Datum des Testaments, 1516 IV 4, nennt Mülverstedt 1871 a, S. 397; nur 1516 Elis 1883, S. 47; Hermes 1896, S. 28; Hinz 1964, S. 42; Flemming/Lehmann/Schubert 1990, S. 27.
  7. Schmidt 1886, S. 66 f.
  8. Vgl. auch zum Folgenden DKK 1853, S. 6 f.; Elis 1857, S. 108 f.; Schmidt 1886, S. 66 und passim.
  9. Vgl. Werner 1584, S. 117 zum Jahr 1493; Schubert 1984, S. 24; Rogge 2002, S. 40 und 50; Fuhrmann 2002 a, S. 203 mit Anm. 1, S. 213 mit Anm. 109.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 159 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0015904.