Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 141 Dom, Chorscheitelkapelle E. 15./A. 16. Jh.

Beschreibung

Flügelaltar, geschnitzt, Domschatz Inv. Nr. 401; ehemals vermutlich im südlichen Seitenschiff im fünften Joch von Osten;1) Holz, farbig gefaßt, die Flügel verloren, die außen wohl eine gemalte Verkündigung und innen geschnitzte Heilige aufwiesen, von denen 1817 allerdings schon einige fehlten,1) die Scharniere vorhanden. Als unterer Abschluß dient ein Zinnenfries, oben schließt ein Maßwerkschleier, der eine Baldachinarchitektur vorstellt, das Retabel ab. Die eingestellten Figuren vor einem ornamentierten Goldhintergrund über einer blau-rot-weiß gefaßten Balustrade (Turniereinfriedung). In der Mitte auf einer Konsole die Madonna im Strahlenkranz, in der Rechten ein Gefäß, mit der Linken das Kind haltend. Unter den Baldachinen oben links außen vor den Resten einer zugehörigen Architektur eine Heilige mit turbanartiger Kopfbedeckung, in der Linken ein aufgeschlagenes Buch, die Rechte fehlt, mit einer aufgemalten Buchstabenfolge als Gewandsauminschrift am Mantel. Daneben eine heilige Jungfrau, durch die fehlende Linke ohne Attribute. Darunter links außen Johannes d. Täufer mit Buch und Lamm darauf, innen die heilige Barbara mit Turm in den Händen. Rechts oben innen der hl. Vitus, auf der Linken einen Hahn haltend, außen eine Heilige mit Gebende und Schleier (Tuch), auf der Linken ein geschlossenes Buch, das andere Attribut fehlt. Darunter innen der hl. Stephan in eine Dalmatik gekleidet, mit der Linken Steine haltend, außen der hl. Cyriakus in Dalmatik mit der Linken ein geschlossenes Buch haltend, die Rechte auf einen zu seinen Füßen stehenden, gehörnten Teufel gelegt.

Maße: H. 129,5 cm, B. 151 cm, T. 16,1 cm, Bu. 0,4–0,5 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/2]

  1. · ANCMLFNC // MSRICBERBERAA // AOHPNCI // ASNMOH / AENLPFMONCVPD // ANXVPHFCADA

Kommentar

An der Innenseite der Schäfte, Balken oder Bögen sind oft Zierknötchen angebracht. Das flachgedeckte A weist einen überstehenden Deckbalken auf, dessen Enden nach unten abgeknickt sind. Oft kreuzt der nach unten gebrochene Mittelbalken an beiden Seiten die Schäfte. B kommt nur in der Minuskelform vor. Sein Schaft ragt nur wenig über den Bogen hinaus. Das epsilonförmige E ist durch starke gebogene Sporen an den Bogenenden, ähnlich wie am C gekennzeichnet. Der spitze Sporn am Balkenende des L ragt weit nach oben. Die Seitenhasten des M sind schräggestellt. Der Mittelteil ist stark verkürzt. Sämtliche N sind retrograd, die Schräghaste ist als Haarstrich ausgeführt. Die Bögen des O haben eine Schwellung an der Außenseite. Der Bogen des P kreuzt die Schaftmitte und ist an seinem Ende gespalten, derjenige des R kreuzt den Schaft im mittleren Verlauf. Die linksschräge Haste des X ist leicht geschwungen, die zweite, rechtsschräge beginnt mit einer Fahne und wird als angesetzter Haarstrich weitergeführt. Am Anfang der Buchstabenfolge befindet sich ein Ornament, das eine stilisierte Blüte darstellen könnte.

Nach dem Bildprogramm könnte es sich um das Retabel der Vikarie zu Ehren Unserer Lieben Frauen – die Rückseiten der Flügel wiesen wohl eine Verkündigung auf1) – und Aller Heiligen handeln, die 1478 XII 27 an einem bis dahin verwaisten Altar auf der Nordseite des Chors gestiftet worden war.2) Die nach dem Stil abweichende Figur der Heiligen mit der Gewandsauminschrift3) stammt entweder von einem anderen Altar oder von den Innenseiten der Flügel, die 1817 schon nicht mehr vollständig gewesen sind.1) Ein weiteres Indiz könnte sich aus dem zweiten Teil der sonst sinnlosen Buchstabenfolge ergeben, wenn man daraus den Namen BERBERA für Barbara herauslesen will, wozu zumindest die „gewulstete turbanartige Haube“4) und der Turm hinter der linken Schulter der Heiligen als Attribut passen würde. Dann würde in der fehlenden Rechten als Attribut ein Kelch mit Hostie zu erwarten gewesen sein und sich so eine Doppelung in der Darstellung derselben Heiligen ergeben. Auch die anderen Figuren sind nicht alle einheitlich und könnten Ergebnis einer Stückelung sein. Entsprechend schwierig ist die zeitliche Einordnung. Nach der Schriftform zu urteilen, ist eine Entstehung der die Inschrift tragenden Skulptur am Ende des 15. oder zu Anfang des 16. Jahrhunderts wahrscheinlich.

Anmerkungen

  1. Büsching 1819, S. 247.
  2. Magdeburg LHASA Rep. U 5, XVII e, Nr. 87 f.
  3. Siehe zu Gewandsauminschriften auch Kloos 1992, S. 45–48; Dalli Regoli 1991, passim; Goeltzer 1990, S. 37–39, 44, 46 f., 55, 59; Meurer 1997; sowie DI 29 (Stadt Worms), Nr. 318; DI 34 (Bad Kreuznach), Nr. 217; DI 35 (Stadt Braunschweig I), Nr. 197, 285, 327; DI 37 (Rems-Murr-Kreis), Nr. 54, 68, 81, 121, 126; DI 39 (Landkreis Jena), Nr. 69, 133; DI 41 (Landkreis Göppingen), Nr. 119, 120, 175, 187, 197; DI 42 (Stadt Einbeck), S. XXV (Sabine Wehking) und Nr. 34; DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis), Nr. 350, 382, 384; DI 45 (Stadt Goslar), S. XXIX und Nr. 72.
  4. LCI Bd. 5, Sp. 304–311 bes. Sp. 305 (L[eander] Petzoldt).

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 141 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0014105.