Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 106(†) Dom, Neuer Kapitelsaal um 1470
Beschreibung
Altarretabel der hl. Euphemia, Domschatz Inv. Nr. 385; die Mitteltafel und der linke Flügel Kriegsverlust, der rechte Flügel, Inv. Nr. 385 c, heute im Kapitelsaal, ehemals im zweiten Joch des südlichen Seitenschiffs;1) Holz; die Mitteltafel zeigte vor einem Vorhang mit Granatapfelmuster auf schachbrettartigem Boden stehend vier weibliche Heilige: links Euphemia mit Palmzweig in der Rechten, in der Linken ein aufgeschlagenes Buch haltend, rechts neben ihr die gekrönte Maria mit dem Jesuskind, rechts folgt Katharina, mit Kronreif, die Rechte auf das Rad gestützt, in der Linken das Schwert haltend, das sie durch die Speichen des Rades führt, rechts von ihr Dorothea, das Haupt mit einem Rosenschapel umwunden, in der Rechten ein Körbchen mit Rosen haltend. Auf den Innenseiten der Flügel das Martyrium der hl. Euphemia. Auf dem linken Flügel oben Euphemia vor dem auf einem Richtstuhl sitzenden Richter Priscus, der über seinem Haupt mit dem Titulus bezeichnet ist, im Hintergrund die Enthauptung dreier Christen sowie Euphemias Abführung ins Gefängnis, unten die Heilige von zwei Engeln gehalten über dem Rade schwebend, darunter der zerrissene Leib des Werkmeisters. Der erhaltene rechte Flügel stellt oben die Marter zwischen den Steinen dar und zeigt unten die unversehrte Euphemia in der Grube mit den wilden Tieren, deren zusammengelegte Schwänze ihr als Sitz dienen, bedroht von den Spießen zweier Henker. Auf den Außenseiten der Flügel war links der hl. Stephanus dargestellt, rechts der hl. Johannes der Täufer.2)
Inschrift nach Marburger Index, Archivnr. 87. 548.
Maße: H. 100 cm, B. 229 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.3)
priscus
Anmerkungen
- Büsching 1819, S. 247, der das auf dem Retabel dargestellte Martyrium jedoch irrtümlich für dasjenige der hl. Katharina hielt.
- Die Außenseite des erhaltenen Flügels konnte aus konservatorischen Gründen nicht autopsiert werden.
- Maße nach Gmelin 1974, S. 274 f., Kat. Nr. 74 mit Abb. und S. 294–296, Kat. Nr. 80 mit Abb. Nach Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 786 S. 238 Mitteltafel: 149 cm, je Flügel: 70 cm.
- Busch 1943, S. 71; Stange 1954, S. 128 mit Abb. 222; Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 786 S. 238.
- Gmelin 1974, S. 294–296, Kat. Nr. 80 mit Abb.
- Stange 1954, S. 128.
- Busch 1943, S. 71; Stange 1954, S. 128; Stange 1967–1978 Bd. 1, Nr. 786 S. 238; Gmelin 1974, S. 294 f., Kat. Nr. 80. Vgl. zur Euphemienlegende Legenda aurea, S. 951–954; Legenda aurea dt. Übers., S. 716–719.
- GEH, S. 87.
- Ebd., S. 121.
- UBHH Bd. 1, Nr. 645 S. 572–574, Bd. 2, Nr. 1320 S. 411 f., Bd. 3, Nr. 2141 S. 257 f., Bd. 4, Nr. 2678 S. 48–65; Magdeburg, Rep. U 5, XVII f Nr. 140 von 1510 II 27.
- Fitz 2003, S. 141.
Nachweise
- Marburger Index, Archivnr. 87548(00768c02).
- Stange 1954, Abb. 222.
- Gmelin 1974, Abb. S. 295, 297.
- Findeisen 1996, Abb. 83.
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 106(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0010606.
Kommentar
Busch und ihm folgend Stange sahen die Mitteltafel zusammen mit den Flügeln als Werk des Meisters des hannoverschen Marktkirchenaltars an und datierten sie um bzw. nach 1460.4) Gmelin folgt ihnen nicht und nimmt an, daß Mitteltafel und Flügel von zwei verschiedenen Meistern herrühren, datiert aber beide auf die Zeit um 1470.5) Stange wies außerdem auf eine stilistische Verbindung zur Halberstädter Johannestafel (vgl. Nr. 122) hin.6) Vor 1817 hatten sich beide Retabel auf benachbarten Altären in den beiden östlichsten Jochen des südlichen Seitenschiffs befunden.1) Auch die Schrift beider Altarbilder läßt eine gewisse Ähnlichkeit erkennen. Während Busch und Stange annahmen, daß auf den Flügelinnenseiten das Martyrium der hl. Katharina thematisiert worden sei, das zu einem Marien-Katharinen-Altar gehört habe, erkannte Gmelin, daß es sich um die Darstellung der Euphemienlegende handelt, die zu einem Marien-Euphemien-Altar gehört habe.7) Vermutlich schmückte das Retabel jedoch einen Altar, der nur der hl. Euphemia geweiht war. Schon 992 waren Reliquien der Heiligen im Hauptaltar geborgen worden8). Im Jahr 1205 hatte Bischof Konrad von Krosigk auch Reliquien heiliger Jungfrauen, darunter auch eine Hand und einen Arm der hl. Euphemia, nach Halberstadt gebracht.9) Schon drei Jahrzehnte später wurde ihr ein eigener Altar gestiftet, der auch in der Folgezeit immer wieder begabt wurde und an dem zur Feier ihres Namenstages geistliche Gesänge erklangen.10) Zu diesem Altar dürfte auch eine noch erhaltene Kasel aus der Mitte oder dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts gehört haben, die neben anderen die Gestalt der hl. Euphemia zeigt (vgl. Nr. 26). In der Chorscheitelkapelle des Domes ist der Heiligen eine der Scheiben des Fensters süd III gewidmet (vgl. Nr. 46), das um 1360 entstanden ist.11)